"Ehrenmord" in der Darmstädter Ahmadiyya-Gemeinde

Spezielle Moral einer Parallelgesellschaft

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Die Ahmadiyya-Gemeinde ist einer der vielen muslimischen Gemeinden in Deutschland © picture alliance / dpa / Ronald Wittek
Von Ludger Fittkau · 01.12.2015
Ein streng religiöses muslimisches Ehepaar ist in Darmstadt zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Vater und Mutter hatten die erwachsene Tochter umgebracht, weil diese einen Freund hatte. Auch die Gemeinde müsse nun reflektieren, ob ihr Geschlechterbild solche Verbrechen begünstige, kommentiert Ludger Fittkau.
Lebenslang für ein streng religiöses muslimisches Ehepaar mit pakistanischen Wurzeln. Verurteilt wurde das Paar für den gemeinschaftlich geplanten heimtückischen Mord an ihrer 19 Jahre alten Tochter.
Dass die Mutter im Prozess versucht hatte, die Täterschaft ausschließlich ihrem Ehemann zuzuschieben, hat das Darmstädter Landgericht nicht akzeptiert.
Zurecht.
Das Elternpaar hat die Tat an ihrer Tochter gemeinsam geplant. Hat gemeinsam im Aufzug ihres Wohnhauses das Auge der Überwachungskamera zugeklebt. Der Mann hat die Tochter im Schlaf zu Tode gewürgt, seine Frau sah dabei zu. Gemeinsam wurde die Tote umgekleidet, die Leiche im zuvor geliehenen Rollstuhl am frühen Morgen in ein Waldstück gebracht und dort eine Böschung runter geworden.
Das Motiv: Die gerade volljährig gewordene junge Erwachsene musste sterben, weil sie außerehelichen Sex mit einem 24-Jährigen hatte. Weil ihre Eltern Angst hatten, dass dieser selbstbestimmte Sex zweier Erwachsener in der hermetischen Welt ihrer Religionsgemeinschaft bekannt würde und sie von dieser möglicherweise verstoßen würden.
"Ehrenmorde" lehnt die Gemeinschaft ab
Das Täterpaar war wie das Mordopfer Mitglied der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinschaft, die Sex vor der Ehe ablehnt. Aber auch "Ehrenmorde" lehnt die Gemeinschaft ausdrücklich ab. Sie empfahl dem jungen Paar, durch eine schnelle Eheschließung ihre Beziehung zu legalisieren. Doch das konnte den Mord nicht mehr verhindern.
Mord und Totschlag, so das Gericht heute in Darmstadt bei der Urteilsbegründung, gäbe es auch in anderen Kulturen. Da müsse man sich hierzulande nicht aufs hohe moralische Ross setzen. Doch der geplante Mord an der eigenen Tochter durch das Ehepaar sei Ausdruck der speziellen Moral einer "Parallelgesellschaft", konstatierte die Strafkammer. Diese Parallelgesellschaft könne sich dem herrschenden Recht jedoch nicht entziehen. Hierzulande darf eben nicht aus Angst vor der Verletzung der Familienehre gemordet wird.
Punkt.
Dafür geht man lebenslänglich ins Gefängnis.
Doch damit ist diese Geschichte noch nicht zu Ende erzählt. Religionsgemeinschaften wie die Ahmadiyya-Gemeinschaft müssen reflektieren, ob ihr Geschlechterbild solche Verbrechen wie den Darmstädter Tochtermord begünstigt. Man hört, dass der Fall in der Gemeinschaft tatsächlich eine rege Diskussion ausgelöst hat. Nicht die Religion sei schuld, sondern ultra-patriarchale Traditionen etwa in Pakistan, wo das heute verurteilte Ehepaar einst herkam, lautet ein Argument.
Vater war nicht "normal sozialisiert" worden
Wie gesagt, die Gemeinschaft distanziert sich klar von Morden im Namen der Familienehre. Das ist gut so. Doch wie ist es möglich, dass ein Mann wie der nun verurteilte Vater jahrzehntelang in Deutschland lebt und immer noch – wie heute im Gerichtssaal – teilweise einen Dolmetscher braucht, um den Prozess zu verfolgen? Dieser Mann war auch jahrelang in der Darmstädter Ahmadiyya-Gemeinde aktiv.
Sein Anwalt sprach im Prozess davon, dass der geständige Vater der ermordeten Tochter nicht "normal sozialisiert" worden sei und im "Glaskasten seiner Gemeinde" gelebt habe. Dem Gericht ging es ganz deutlich heute darum, nicht irgendeine moralische Normalität zu propagieren. Man könne Sex vor der Ehe ablehnen, so die Kammer. Man könne dann aber seinem Kind sagen: "Hau ab", so der Richter heute.
Heimtückisch ermorden kann man es aber eben nicht.
Die religiöse Gemeinschaft, in deren Glaskasten jemand – aus welchen Gründen auch immer – sitzt, hat die Pflicht, diesen zivilisatorischen Grundsatz an ihre Mitglieder zu vermitteln. Die Ahmadiyya-Gemeinschaft hat sich das jetzt fest vorgenommen. Erst wenn das konsequent umgesetzt wird, ist diese tot-traurige Geschichte wirklich ganz zu Ende erzählt.
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