Diskussion um Stasi-Unterlagen-Behörde

Plädoyer für ein modernes Archiv mit Gedenkstätte

Von Stephan Hilsberg · 13.04.2016
Aus dem Nachlass der Staatssicherheit der DDR müssten ein modernes Archiv und zugleich eine Gedenkstätte entstehen - als eigenständige Institution, nicht aber ins Bundesarchiv eingegliedert, fordert Stephan Hilsberg, ehemals Bürgerrechtler und Mitbegründer der ostdeutschen SPD.
Eine alte Diskussion beginnt neu. Was soll mit der Hinterlassenschaft des ehemaligen Geheimdienstes der DDR geschehen? Und was mit dem Erbe der friedlichen Revolution 1989/90, welche seinerzeit die Öffnung der Stasi-Archive erzwang?
Drei Aufgaben stellt das Stasiunterlagengesetzes in den Mittelpunkt: Einsicht in die Akten, Überprüfung von Politikern und Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes sowie Aufbau eines modernen Archivs. Das Recht, das Material einzusehen, ist durchgesetzt und wurde inzwischen Vorbild für die meisten der ehemaligen kommunistischen Staaten Ost- und Mitteleuropas.
Die Überprüfung der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes gelang mittelprächtig; im Osten Deutschlands zwar fast flächendeckend, im Westen allerdings nur partiell, weil es dem Ministerium für Staatssicherheit gelungen war, große Teile seiner Akten zu vernichten, und das selbst noch in den Tagen der ersten demokratischen Regierung der DDR.

Bislang kein leistungsfähiges Archiv

Doch zum echten Desaster entwickelte sich, dass der Nachlass der Stasi nicht in ein leistungsfähiges Archiv umgewandelt werden konnte, wobei allen drei Beauftragten der Unterlagenbehörde Versäumnisse attestiert werden müssen, angefangen bei Joachim Gauck, über Marianne Birthler bis heute zu Roland Jahn.
Hinzu kommt, dass sich die behördeneigene Forschungsabteilung nicht mehr als Dienstleisterin für Wissenschaftler und Journalisten versteht, sondern eher als erste und maßgebliche Interpretin der Stasiakten. Das ist auch deswegen misslich, weil es den Ruf fördert, das historische Material sei besser im Bundesarchiv untergebracht. Und diesen Schritt empfiehlt auch die Expertenkommission.
Wie gesagt, diese Diskussion hatten wir schon einmal. 1990 – kurz nach der Wende – sorgten sich Mitglieder der Bürgerkomitees und der SED-Opposition, die erkämpften Akten würden den Ostdeutschen gleichsam enteignet, wenn sie im Fundus einer westdeutschen Institution verschwänden.

Singularität als größtes Museum für DDR-Geschichte

Heute - 26 Jahre danach - ist die Singularität der Archivbestände zum Argument geworden: sie stellen das größte Museum zur Geschichte der DDR dar, das es überhaupt gibt. Und müssten eigentlich in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen werden.
Die Erstürmung der Stasi-Zentrale und ihrer regionalen Filialen begleitete ja die friedlichen Revolution im Herbst 1989 von Anfang. Sie war ein bespielloser Akt der Emanzipation der DDR-Bevölkerung, die ja genau wusste, dass ohne die Offenlegung der geheimen Archive der Staatssicherheit die Macht der SED nicht wirklich gebrochen werden konnte.
Der Stopp der Aktenvernichtung, die Sicherung der Ordner und Papiersäcke sowie die individuelle Einsicht ins Material sind in erster Linie den Demonstranten zu verdanken. Und deshalb kann man sagen, dass die heutige Stasiunterlagenbehörde als authentischer Ort der friedlichen Revolution und des Unterdrückungsregimes der SED die lebendigste und wichtigste Gedenkstätte ist, die wir von der DDR überhaupt haben.

Plädoyer für eine eigenständige Institution

Künftig wären also zwei Ansprüche zu erfüllen: ein modernes, öffentlich zugängliches Archiv zu schaffen, das zugleich als Symbol der revolutionären Wende gestaltet wird – nicht nur virtuell, sondern real als eigenständige Institution. Deren Bestände sind wahrlich nicht schöngeistiger Natur. Und dennoch - oder gerade deswegen - sei darauf verwiesen, es gäbe ja als Modell die Bundesstiftung Preußischer Kulturbesitz.
Diese Dimension hat die Expertenkommission nicht erfasst. Ihre Empfehlungen sind allzu sehr von internen Problemen der heutigen Behörde des Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes beeinflusst. Sie hat bei allem Bemühen nicht nur das Thema verfehlt. Sie hat es gar nicht erst gesehen.
So liefert sie nur einen Diskussionsbeitrag und bietet keinen runden Entwurf für die Zukunft des geheimdienstlichen Nachlasses der DDR an. Das wird der Bundestag nun selber machen müssen.

Stephan Hilsberg, 1956 im brandenburgischen Müncheberg geboren, arbeitete in der DDR als Informatiker. Ende der 80er Jahre engagierte er sich in der Friedensbewegung der Evangelischen Kirche. Am Beginn der friedlichen Revolution 1989 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der ostdeutschen SPD, war ihr erster Sprecher und später Geschäftsführer.
Hilsberg gehörte der letzten und frei gewählten Volkskammer 1990 an. Anschließend war er Bundestagsabgeordneter bis 2009 und in dieser Zeit u. a. bildungs- und forschungspolitischer Sprecher seiner Fraktion, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und zwei Jahre lang Staatssekretär im Verkehrsministerium. Heute ist er selbständig als Autor und Publizist tätig.

Stephan Hilsberg, DDR-Bürgerrechtler und SPD-Begründer in der DDR
© imago/Müller-Stauffenberg
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