Die Frau an Mozarts Seite

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 09.11.2005
Constanze Weber ist die Frau, die mit 20 Jahren Mozart heiratete und ihn mit 29 begraben musste. Sie ordnete die maroden Finanzen und umschmeichelte ihn mit ausgefallenen Gerichten. Lea Singer, die unter dem Namen Eva-Gesine Baur bereits eine Reihe von Sachbüchern zu Mozart verfasst hat, hat mit "Das nackte Leben" ein romanhaftes Porträt über sie entworfen.
Am 27. Januar 2006 begeht die Welt den 250. Geburtstag ihres größten musikalischen Genies, Wolfgang Amadeus Mozarts. Dieses Ereignis wirft auf dem Buchmarkt seine Schatten voraus, mit neuen Biografien und vielen musikhistorischen Abhandlungen. Natürlich gerät damit auch die Umgebung des Stars in den Blick, Vater Leopold, Schwester Nannerl, Mutter Anna und selbstverständlich auch die Frau, die neun Jahre an seiner Seite lebte: Constanze Weber. Die Tochter eines subalternen Kopisten am Mannheimer Hof war nicht Mozarts erste Wahl. Mit Beharrlichkeit aber verstand sie es, sich gegen ihre begabte und hübsche Schwester als Konkurrentin durchzusetzen, zuerst seine Aufmerksamkeit und schließlich seine Liebe zu gewinnen. Schon diesen Sieg legte man ihr als Schachzug und somit als Zeichen für einen schlechten Charakter aus. Man hat sie beneidet, man hat sie verachtet. Eitel, geldgierig, dumm sei sie gewesen. Freilich, die Mozartforschung hat schon beim letzten Jubiläum 1991, Mozarts zweihundertstem Todestag, mit diesem Vorurteil aufgeräumt.

Aus diesen Erkenntnissen hat Lea Singer ein romanhaftes Porträt entworfen über die Frau, die mit zwanzig Jahren Mozart heiratete und ihn mit 29 begraben musste. In diesen wenigen Ehejahren hat sie sechs Kinder geboren, von denen nur zwei überlebten. Sie ließ sich auf einen Künstler ein, der, als sie ihn kennen lernte, die Aura des Wunderkinds längst verloren hatte, der arm war und ohne jede Fortune, kein bisschen schön, mit ungehobelten Manieren, vorlaut, frech und bei allem Fleiß und rastloser Arbeitswut bedrohlich wenig realitätstüchtig.

Sie, die vom alles bestimmenden Vater als Schwiegertochter nicht wohlgelitten war, wird von Mozart damit schmackhaft gemacht, dass sie etwas von Hauswirtschaft verstehe. Das tat sie wirklich. Sie bewältigte an die 20 Umzüge, ordnete stets aufs Neue die maroden Finanzen, umschmeichelte den manisch Arbeitenden mit ausgefallenen Gerichten – gefülltem Kapaun, gesottenem Kalbszüngerl, Erdäpfelsuppe, Konfekt – und sorgte mit Klugheit und Sinnenfreude auch für das emotionale Wohl. Pragmatisch, zupackend und voller Vitalität begleitete sie den Gefährten durch alle Höhenflüge und Niederlagen. Selbst nach seinem Tod verwaltete sie unter hohem persönlichen Einsatz das musikalische Erbe. Eine Heldin des Alltags an der Seite des Genies.

Mit Sinn für Atmosphäre schafft die Autorin eine Welt des Rokoko, so wie sie fernab des höfischen Zeremoniells in Wien, Prag und Salzburg zu erleben war, auf Märkten in der Vorstadt, in Heurigenbeisln, im Prater, auf musikalischen Soireen. Und immer wieder zeichnet sie auf anrührende Weise die Spuren nach, die Constanzes Verhältnis zu Mozart in dessen Musik hinterlassen hat, in der Eifersuchtsszene in der Entführung aus dem Serail etwa, der Arie der Constanze, mit der sie ihre Treue beschwört - oder in den Schmerzensschreien während ihrer ersten Niederkunft, die Mozart direkt in sein Klavierkonzert in c-moll hineingeschrieben hat.

Wer Gegenbilder zu lange tradierten Vorurteilen aufstellt, gerät leicht in Gefahr, vom Schwung der Identifikation davongetragen zu werden. Und wer dafür nicht die Biographie wählt, in der Distanz und Räsonnement wesentlich die Gestalt bestimmen, vergrößert und verschönert seine Figuren gern zu wahren Helden. Lea Singer, die unter dem Namen Eva-Gesine Baur, auch eine Reihe von Sachbüchern verfasst hat, unter anderem über Mozarts Salzburg und Mozarts Küche, hat sich für den Roman entschieden.

Und der ist als Geschichte der Constanze Weber alias Mozart am Ende doch zu idealistisch geraten. Die "meistgehasste Frau der Musikgeschichte" fühlt, denkt und spricht, dank der Phantasie ihrer Erfinderin, ganz so wie man sie sich wünschte, empfindsam, gescheit, voller Witz und gut. Ein bisschen zu gut für das gewöhnliche, das nackte Leben, wie wir es kennen.

Lea Singer, Das nackte Leben. Deutsche Verlagsanstalt, München 2005. 378 Seiten, 18,90 Euro.