Der Komponist Theophil Richter

Im Schatten des Sohnes und Starpianisten

Der Pianist Swjatoslaw Richter sitzt in einem Wohnzimmer auf einer Couch.
Der Pianist Swjatoslaw Richter äußerte sich kaum öffentlich über seine Familie. © imago / ITAR-TASS
Von Philipp Quiring · 16.04.2015
Swjatoslaw Richter wurde zuletzt zu seinem 100. Geburtstag als Ausnahmepianist ausführlich gewürdigt. Kaum bekannt ist, dass bereits sein Vater Theophil am Klavier glänzte und auch selbst komponierte. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa hat das nun geändert – und die erste Einspielung eines seiner Werke überhaupt auf den Markt gebracht.
November 1988: Das Borodin-Quartett spielt ein Stück von Theophil Richter – sein F-Dur Streichquartett. Es ist eine der wenigen Aufführungen des Stücks im kleinen Rahmen. Unter den Konzertbesuchern befindet sich auch ein Mann, der zu diesem Zeitpunkt schon auf eine Weltkarriere zurückblicken kann: der Starpianist Swjatoslaw Richter. Über das Werk von Theophil Richter, über das Werk seines Vaters notiert er direkt nach dem Konzert:
"Ich liebe dieses Werk wegen seines Charmes und seiner Ungekünsteltheit"
Worte, die die Achtung gegenüber dem Vater zum Ausdruck bringen und seine kompositorische Leistung würdigen. 43 Jahre nach dem Tod Theophils, Jahre, in denen sich Sohn Swjatoslaw öffentlich bedeckt hält was seinen Vater angeht und selbst Stücke mit pianistischer Beteiligung nie Einzug in seine Konzertprogramme finden.
Ein Mann der heutigen Zeit, der sich intensiv mit Theophil Richter und - soweit die Quellen Informationen es hergeben - mit der Familie Richter befasst hat, ist Klaus Harer vom Deutschen Kulturforum östliches Europa in Potsdam:
"Swjatoslaw Richter hat sich über seine Herkunft, über seine Familienverhältnisse eigentlich nur sehr zurückhaltend geäußert. Und dann ganz am Ende des Lebens, hat er vor allem gegenüber seinem Interviewer Bruno Monsaingeon ein bisschen offener gesprochen. Das kann ein bisschen damit zu tun haben, dass man in der Sowjetunion natürlich überhaupt mit der Geschichte der eigenen Familie sehr vorsichtig umging, weil man nie wusste, was das für Folgen haben könnte. Andererseits hatte Swjatoslaw Richter vielleicht auch einen Grund, einen Grund für seine Zurückhaltung, denn sein Vater war von der Herkunft her russlanddeutsch, was nicht immer gut war für die eigene Biografie und sein Vater war vor allem verurteilter Volksfeind."
Die Eltern aus den Augen verloren
Theophil Richter, ein "Verurteilter Volksfeind", der 1941 unter der Anschuldigung der Spionage, vom sowjetischen Geheimdienst der NKWD hingerichtet wurde: Tod durch Erschießung. Sohn Swjatoslaw Richter war zu diesem Zeitpunkt Student bei Heinrich Neuhaus am Moskauer Konservatorium und bekam von dieser Tragödie nichts mit!
Noch 1971, 30 Jahre später, nach dem er sein erstes Konzert in der Bundesrepublik spielte und dem Spiegel ein Interview gab hieß es: "Als der Angriff der Sowjetunion begann, verlor Richter seine Eltern aus den Augen. Sein Vater gilt als verschollen."
Doch wer war überhaupt "der Vater"? Theophil Richter war Russlanddeutscher und von Beruf Klavierstimmer und Kirchenmusiker. 1916 wurde er Organist an einer der bedeutendsten Kirchen im Lutherischen Reich. An der St. Pauluskirche in Odessa spielte er eine große Orgel der Ludwigsburger Firma Walker, unterrichtete am Odessaer Konservatorium und war Mitglied des Opernorchesters.
Kultur der Deutschen in der Sowjetunion
Zum Arbeitsbereich von Klaus Harer vom Deutschen Kulturforum östliches Europa zählt die Kultur der Deutschen, die heute oder früher in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten lebten und leben. Er hat zu Theophil Richter weitere Nachforschungen angestellt:
"Wir wissen jetzt, dass Theophil Richter in Wien studiert hat. Er ist in Dschitomir aufgewachsen, einer ukrainischen Provinzstadt im damaligen russischen Reich. Ging nach Wien, hat da ein doppeltes Studium gemacht, erst als Pianist, bei dem Pianisten Fischhoff studiert und dann bei dem wirklich sehr bedeutenden Kompositionslehrer Robert Fuchs. Was dann war, wissen wir nicht so genau. Swjatoslaw Richter hat erzählt, dass sein Vater über 20 Jahre in Wien war, also so von 1890 bis 1912 und dort befreundet war mit seinen Studienkollegen Franz Schreker, und so weiter. Wir wissen darüber nicht viel."
Eine prägende Zeit, die auch in der Musik des Komponisten ihre Spuren hinterlässt, wie in dem eben zu hörenden Walzer in f-Moll in Form eines Wiener Walzers.
Nach der Wiener Phase, kehrt Theophil Richter zurück in die Sowjetunion. Die russische Pianistin und Adelige Anna Pawlowna Moskaljowa wird seine Schülerin und später seine Frau. Aus der Ehe mit Anna geht Sohn Swjatoslaw hervor.
Eine Familie, die den Ersten Weltkrieg sowie Revolution und Bürgerkrieg überlebte, ehe 1941 dem Vater sein deutscher Hintergrund zum Verhängnis wurde.
Zugriff auf Vermächtnis verweigert
Dass im Jahre 2015 nur ein Stück in Notenform vorliegt, ist hingegen weniger politisch bedingt, sondern rechtlich. Der in Paris lebende Richter-Erbe verweigert den Zugriff auf das kompositorische Vermächtnis Theophils und so kann durch die Pioniertat des Deutschen Kulturforums östliches Europa anhand der Einspielung des F-Dur Streichquartettes lediglich erahnt werden, welche Schätze der Allgemeinheit verborgen bleiben. Alles Weitere ist Spekulation:
"Es heißt, es gibt Klavierwerke. Ist ja auch anzunehmen. Er war ja auch Organist, sicher hat er über die Orgel geschrieben und auch viel improvisiert. Wir haben nichts davon gesehen. Es liegt vielleicht einiges davon im Archiv von Swjatoslaw Richter, das nicht zugänglich ist. Das einzige Werk, von dem wir wissen und das wir kennen, ist das Streichquartett. Das hat Swjatoslaw Richter noch zu seinen Lebzeiten, vor seinem Tod 1997, dem Borodin-Quartett in Moskau nahgelegt. Und es gibt in seinem Tagebuch Aufzeichnungen, in denen er berichtet von einem Probespiel in seiner Wohnung. Und das zeigt ja, dass er sich sehr darüber freut, dass die Borodins das jetzt spielen und er hofft, dass das ins Programm aufgenommen wird oder ins Repertoire und solche Dinge."

Am 6. April ist zusammen mit dem Label Günter Hänssler die erste Einspielung einer Komposition von Theophil Richter überhaupt auf den Markt gebracht worden: das Streichquartett in F-Dur, gespielt vom Odessa String Quartett.

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