Chanson

Barbara, Göttingen

Barbara Chanson
Barbara, Chanson-Sängerin und Komponistin, im Jahr 1969 © dpa / picture alliance / AFP
Von Ralf Bei der Kellen und Susanne von Schenck · 28.05.2014
Ein Konzert in Göttingen 1964. Die Chansonsängerin Barbara überwindet die Barriere zwischen den einst verfeindeten Nationen. Ihr Lied "Göttingen" wurde zu einer Hymne der Versöhnung.
[Barbara singt "Göttingen"]
"Bien sûr, ce n'est pas la Seine,
Ce nʼest pas le bois de Vincennes,
Mais cʼest bien joli tout de même,
A Göttingen, à Göttingen.
Pas de quais et pas de rengaines
Qui se lamentent et qui se traînent,
Mais l'amour y fleurit quand même,
A Göttingen, à Göttingen."
Französin: "Ich wusste gerade mal, dass Göttingen eine kleine Stadt in Deutschland war. Barbaras Geschichte mit der Stadt kannte ich nicht, erst nachdem sie sie erzählt hat. Nein, Göttingen kannte ich nicht, aber man möchte es gern kennenlernen."
Reinhard Mey: "Alle Deutschen, die das gehört haben, werden es auch mit einer gewissen Erleichterung aufgenommen haben: Man hat uns trotzdem noch lieb, obwohl wir Deutsche sind, und – das kann man manchmal verdammt gut gebrauchen, dieses Gefühl."
[Barbara singt "Göttingen" deutsch]
"Was ich jetzt sage, das klingt freilich / für manche Menschen unverzeihlich / die Kinder sind genau die gleichen / in Paris wie in Göttingen..."
[Ausschnitt aus Gerhard Schröders Rede zu 40 Jahre Elysée-Vertrag 2003]
[Barbara singt "Göttingen" deutsch]
"Lasst diese Zeit nie wiederkehren / und nie mehr Hass die Welt zerstören / es wohnen Menschen, die ich liebe / in Göttingen / in Göttingen..."
Es ist der längste Zwischenapplaus, den ein Redner an diesem Tag erhält. Am 22. Januar 2003 feiern deutsche und französische Politiker in Versailles den 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags. Neben vielen politischen Marksteinen der deutsch-französischen Freundschaft zitiert der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder auch den Text jenes Liedes, das die damals kaum bekannte französische Sängerin Barbara 1964 verfasst hat:
"Was Barbara dort direkt in unsere Herzen hineingesungen hat, das war für mich der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen."
[Barbara singt "Göttingen" deutsch]
"Paris besingt man immer wieder / von Göttingen gibt's keine Lieder / und dabei blüht auch dort die Liebe / In Göttingen / in Göttingen."
Eine Französin besingt Paris und Göttingen in einem Lied. Einem kleinen Lied, das einen tiefen Graben überspringt. Den Graben Jahrhunderte langer sogenannter Erbfeindschaft: Deutscher Frankreichfeldzug und Okkupation im Zweiten Weltkrieg. Erster Weltkrieg: Verdun. Die Provokation der deutschen Kaiserkrönung im Spiegelsaal von Versailles 1871. Napoleons Herrschaft in den deutschen Landen.
Seit dem Dreißigjährigen Krieg durchzog eine Blutspur die deutsch-französische Geschichte. Diese Geschichte sollte – musste – gewendet werden: Davon waren maßgebende französische und deutsche Politiker nach 1945 überzeugt. Voran Charles de Gaulle, der Kopf der französischen Résistance gegen Nazideutschland, Präsident seit 1958, und Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Vier Monate vor der Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages betonte de Gaulle 1962 in einer Rede in Ludwigsburg, dass vor allem die nachwachsende Generation in dem neuen Geist guter Nachbarschaft aufwachsen müsse:
"Diese jetzt ganz natürliche Solidarität zwischen unseren beiden Völkern müssen wir selbstverständlich organisieren. Das ist die Aufgabe der Regierung. Vor allem müssen wir aber ihr einen lebenden Inhalt geben, und das ist insbesondere die Aufgabe der Jugend."
Reinhard Mey: "1962 habe ich alles andere zu tun gehabt, als mich mit de Gaulle zu beschäftigen – ich war ausschließlich an Mädchen und Musik interessiert."
... erinnert sich der Liedermacher Reinhard Mey, Jahrgang 1942. Seine Eltern waren bereits vor dem Krieg mit einem französischen Ehepaar befreundet und setzten diese Freundschaft nach dem Krieg fort:
"Zu dieser Zeit war ich mit einer Französin hier in Berlin befreundet und schrecklich verliebt, wir haben unsere deutsch-französische Verständigung und Freundschaft auf unsere Weise durchgeführt, und es war sehr schön. Ich habe natürlich dann mitgekriegt, dass das eine sehr wichtige Rede war und die Tatsache, dass er sie auf Deutsch gehalten hat, das hat mich schon beeindruckt. Und sicher hat ihm das bei den deutschen Zuhörern auch einen großen Kredit gegeben. Allein: da ist jemand, der sich die Mühe macht, sich sehr engagiert und sehr prononciert für die deutsch-französische Sache einzusetzen, ich glaub', das hat Eindruck hinterlassen."
Ein Eindruck, der von vielen als ein Zeichen der Versöhnung gedeutet wird. Nachdem es 300 Jahre lang immer wieder zu Kriegen gekommen war und nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts näherten sich Frankreich und Deutschland einander an. So wie der junge Reinhard Mey ab Mitte der 1950er Jahre immer wieder die Freunde seiner Eltern besucht und dort wie ein Familienmitglied aufgenommen wird, so unternimmt auch die Göttinger Studentin Sybille Penkert Ende der 50er-Jahre wiederholt Reisen nach Paris. Dort erlebt sie 1958 die damals noch unbekannte Sängerin Barbara in der Écluse, einem kleinen Lokal direkt am linken Seineufer. Die beiden lernen sich kennen und treffen sich noch einige Male in Paris, wo Sybille Penkert Barbara ein Konzert in Deutschland vorschlägt:
"Und dann hat sie mich eingeladen in die Wohnung, die sie dann hatte, am 23. November 1963 – es war nämlich der Abend der Ermordung Kennedys. Und da habe ich dann davon gesprochen, dass man das in dem kleinen Jungen Theater in Göttingen planen könnte. Da mit dieser Idee hab' ich sie dann verlassen an dem Abend – und überdies noch (lacht) mit einem Duzend Eier in einer Wollmütze. Weil ich bei einer Malerin wohnte und wir hatten natürlich wieder – die Malerin und ich – auch wieder kein Geld und waren ziemlich am Hungern."
Zurück in Göttingen trägt Sybille Penkert die Idee dem Betreiber des Jungen Theaters, Hans-Günther Klein, vor. Der reist daraufhin selbst nach Paris, um sich Barbara anzusehen. In ihren Memoiren "Il était un piano noir" erinnert sich Barbara an das Zusammentreffen:
"Anfang 1964 kommt der junge Theaterdirektor Günther Klein zu mir in die ‚Écluseʼ und möchte mich für ein Konzert engagieren. Ich lehne ab. Es kommt für mich überhaupt nicht in Frage, nach Deutschland zu gehen, um dort zu singen. Doch Günther besteht weiter darauf, beschreibt sein Theater mit hundert Plätzen, spricht von den Studenten."
- "Aber wer kennt mich in Göttingen?"
- "Die Studenten kennen Sie!"
- "Ich möchte nicht nach Deutschland."
Der Streik der Klaviertransporteure
Barbara, die mit bürgerlichem Namen Monique Serf heißt, ist Jüdin. Während der Zeit der deutschen Besatzung musste sie mit ihrer Familie vor den Nationalsozialisten fliehen und überlebte in der freien Zone. Ihre Zuneigung zu Deutschland hält sich daher in Grenzen. Ihre Zuneigung zu Günther Klein ändert aber ihre Antwort auf die Konzert-Anfrage: Sie verspricht zu kommen.
Barbara: "Ich reise also im Juli 1964 nach Göttingen ab. Allein und schon verärgert darüber, dass ich diesen Auftritt in Deutschland zugesagt habe."
Als sie im Jungen Theater ankommt, steigert sich diese Verärgerung noch. Denn: Barbara hatte vertraglich festgelegt, dass sie auf einem Flügel spielen würde.
Barbara: "Als ich nach Göttingen kam, streikten die Klaviertransporteure. Auf einem einfachen Klavier wollte ich nicht spielen. Das machte ich nicht, um die Leute zu ärgern, aber mit diesem Klavier konnte ich das Publikum nicht sehen. Es waren ja nicht viele gekommen, denn ich war noch nicht bekannt. Aber trotzdem."
Sybille Penkert: "Es war kein Flügel da. Weil nämlich die Transportarbeiter streikten an dem Tag. Es war also nicht Günthers Schuld oder irgendeine Nachlässigkeit. Das konnte man ihr aber schwer erklären, denn sie war davon völlig erschossen und weigerte sich strikt, am Klavier zu spielen. Sank also so taschenmesserartig in sich zusammen, müssen sie sich so vorstellen, ging so an der Wand runter, und... aus."
Aber: Barbara hatte nicht mit dem Enthusiasmus der Göttinger Studenten gerechnet.
Sybille Penkert: "Und irgendeiner wusste auch, dass im Haus nebenan vom Jungen Theater ein Flügel stand, eine Dame einen Flügel hatte, im ersten Stock. Und dann habe ich gesagt: Herrschaften, also hier, (ein) Flügel hat vier Beine, acht Leute brauchen wir ungefähr, (lacht) wir gehen da jetzt hin, klopfen freundlich... und das taten wir dann auch: klingelten, klopften und sagten: wir brauchen sofort diesen Flügel! (lacht) Versicherung, gar nichts, man konnte nichts machen, ich' glaube, ich ein Papier unterschrieben. Dann wurden die Beine abgeschraubt und das Korpus, der ja ziemlich schwer ist, transportiert und wieder aufgestellt im anliegenden Haus. Und da hatten wir nun den Flügel. Ob der nun bespielbar war – keine Ahnung. Also, es war Gott sei Dank ordentlich, man konnte darauf spielen – und so begann das ganze dann."
Anderthalb Stunden nach dem für 20.30 Uhr angesetzten Beginn betritt Barbara die Bühne. Sie kommt, spielt und hat großen Erfolg. Günther Klein bittet sie um Zusatzkonzerte, und sie bleibt noch mehrere Tage. Sie entdeckt – wider Erwarten – eine Zuneigung zu diesem Land. Der in Paris lebende Journalist Georg Stefan Troller hat Barbara für das deutsche Publikum interviewt:
"Sie wollte nicht dahin, genau wie die Greco, das war nicht ihr Thema, sie hat darüber nicht gesprochen. Es muss nach Göttingen gewesen sein, weil sie mir sagte, wie entzückt sie gewesen war, in Göttingen so gut aufgenommen zu sein und ihr Misstrauen gegen die Deutschen war groß, aber ihre eigene Geschichte hat sie absolut nicht preisgegeben. Dass da immer sehr viel dahinter war, weiß man ja jetzt, auch möglicherweise eine frühe Vergewaltigung durch den Vater, den sie ja sehr geliebt hat."
Barbara: "Am letzten Nachmittag meines Aufenthaltes habe ich im kleinen angrenzenden Garten beim Theater das Chanson ,Göttingenʼ skizziert. Am letzten Abend – ganz um mich zu entschuldigen – habe ich den Text gelesen und zu einer unvollendeten Musik gesungen."
"Il savent mieux que nous, je pense / l'histoire de nos rois de France / Hermann, Peter, Helga et Hans... à Göttingen."
Sybille Penkert: "Il savent mieux que nous, je pense ... das ist also das Buch von Percy-Ernst Schramm über die Könige von Frankreich... Hermann, Peter, Helga et Hans ... und Hermann war ein Freund von mir, der ist dann später Pädagogik-Professor in Göttingen geworden, Hermann Gieseke, Peter Häring, Helga ist die zweite Frau meines Vaters, Helga Penkert, und den Hans hatte sie sowieso – ‚ans, da hatte sie mal ein Chanson gemacht über ‚Monsieur ‚Ans', das habe ich noch in Erinnerung. Aber ich glaube nicht, dass es noch irgendwo in Erscheinung tritt in ihren Plattensammlungen... und wo und wer dieser Monsieur 'Ans war, mögen die Götter wissen."
Barbara: "Ich habe dieses Chanson in Paris fertig gestellt, und Claude Dejacques entschied, als er es hörte, dass ich es auf meinem nächsten Album aufnehmen sollte."
Barbaras Produzent hat den richtigen Riecher: Das Chanson erscheint 1966 und wird ihr erster großer Hit in Frankreich.
Barbara: "Ich verdanke also dieses Chanson der dickköpfigen Beharrlichkeit von Günther Klein, zehn Studenten, einer mitfühlenden alten Dame, den blonden Kindern von Göttingen, einem tiefen Wunsch nach Versöhnung, nicht aber nach Vergessen. Wie immer verdanke ich auch dieses Chanson dem Publikum, in diesem Fall dem wunderbaren Publikum des Jungen Theaters."
Deutschland wurde salonfähig und von Frankreich hofiert
Troller: "Das ,Göttingenʼ-Lied traf den Nerv der Zeit, die Zeit der Elysée-Verträge, der Besuch Adenauers in Paris bei de Gaulle usw. Das stimmte ja überein. Zum ersten Mal wurde Deutschland salonfähig, ja hofiert, auch von Frankreich hofiert. Frankreich von Deutschland ja schon immer. Da passierte was in diesem Moment."
So verortet Georg Stefan Troller Barbaras Erfolg im Geist der Zeit. 1967 kehrt Barbara nach Göttingen zurück. Ihr Auftritt – diesmal in der Stadthalle – wird wieder ein Triumph. Radio France berichtet von ihrem Besuch und überträgt das Konzert. Nachdem sie "Göttingen" gesungen hat, beschenkt das Publikum sie mit hunderten roter Rosen. Und wieder überrascht Barbara ihr Publikum: Sie singt – trotz einer starken Grippe – erstmals eine deutsche Version des Liedes. Sie stellt dem Publikum Dieter vor, einen der Studenten, die bei ihrem ersten Besuch den Flügel mitgetragen haben.
Barbara: "Dieter est un des étudiants qui a porté le piano le fameux soir de Göttingen... Je l'ai emmenné parce que j'ai peur vous ne compreniez pas très bien ce que je dis. Pour la première fois je vais essayer de chanter ,Göttingenʼ en allemand, pardon (schnieft). Alors je voudrais que tu traduise, je suis obligée de mettre mes lunettes et tu restes avec moi, ça me donne du courage."
Dieter: "Also: Barbara wird jetzt für Sie zum ersten Mal das Lied ,Göttingenʼ in deutscher Sprache singen, und Sie bittet Sie, zu entschuldigen, dass sie den Text ablesen wird und eine Brille aufsetzen wird, aber leider (Zwischenapplaus), leider kann sie nicht so gut Deutsch, dass sie es Ihnen auswendig vorsingen könnte."
Barbara: "Tu restes et tu me le tiens (schnieft). Excusez-moi, vraiment. Le rhume, l'émotion. Je suis dans tous les eaux de la mer. Alors, tu tiens comme ça que je vois quand même mon piano. Si tu peux le tenir comme ça c'est merveilleux. On fait une petite cuisine. Je vais la chanter en allemand mais je pense que Dieter sera obligé de vous le traduire parce que je chante très mal en allemand."
[singt] "Gewiss, dort gibt es keine Seine..."
Das Publikum ist begeistert. Ironie des Schicksals: An diesem Abend zerbricht etwas zwischen Barbara und Göttingen. Sybille Penkert besucht die Sängerin nach dem Auftritt im Hotel:
"Dann ist mir eben spät, aber gegen null Uhr eingefallen, dass ich ja vielleicht doch noch mal was tun musste, hab' ich ne Rose aus dem Garten gerupft und bin mit dem Fahrrad hin zum Hotel – und da saß sie ja so, als wartete sie auf das Ereignis des Abends – dass aber nicht kam. Nämlich nicht auf mich sicherlich (lachte), sondern auf Günther Klein. Der aber auch nicht kam. Es wäre doch normal gewesen, krank wie sie war, sie zieht sich auf's Zimmer zurück und ich geb' das ab beim Portier, schöne Grüße und so, an mehr hatte ich da eigentlich nicht gedacht. Wieso sitzt man da im Empfangsraum – denn sie kann ja nicht wissen, dass ich da um null Uhr ankomme – und andere Menschen waren da gar nicht mehr – es war doch viel zu spät für Göttingen..."
Warum Günther Klein nicht kam, lässt sich heute nicht mehr sagen. Er selbst kann keine Auskunft mehr geben – er starb 1984. Für Sybille Penkert ist es kein Zufall, dass das Hotel in Göttingen "Zur Sonne" hieß – und dass Barbara im Jahr darauf ein Chanson mit dem Titel "Le soleil noir", "Die schwarze Sonne", veröffentlichte.
"Nichts nehme ich mit, ich kehre einsam zurück", singt sie, sie sei müde, ihre Sonne habe sich verfinstert und sie sei voller Verzweiflung.
Le soleil noir
Je ne ramène rien, je reviens solitaire,
Du bout de ce voyage au-delà des frontières,
Est-il un coin de terre où rien ne se déchire,
Et que faut-il donc faire, pouvez-vous me le dire,
S'il faut aller plus loin pour effacer vos larmes,
Et si je pouvais, seule, faire taire les armes,
Je jure que, demain, je reprends l'aventure,
Pour que cessent à jamais toutes ces déchirures,
Je veux bien essayer,
Et je veux bien y croire,
Mais je suis fatiguée,
Et mon soleil est noir,
Pardon de vous le dire,
Mais je reviens ce soir,
Le cœur égratigné,
Et j'ai le désespoir,
Le cœur égratigné,
Et j'ai le désespoir...
Aber: Barbara wird ihrem Deutschland gewidmeten Lied und seiner Botschaft deshalb nicht untreu. Selbst auf ihren letzten Konzerten singt sie es noch. Im November 1997 stirbt sie im Alter von 67 Jahren in einem Vorort von Paris.
Ein Kranz aus Göttingen, jedes Jahr
Susanne Boutler: "Als Barbara gestorben ist, da wollte die Stadt Göttingen gerne, weil sie die Ehrenbürgerschaft der Stadt Göttingen hat, wollte sie etwas machen und hatte die Botschaft gebeten, im Namen der Stadt Göttingen, und auch weil sie die Verdienstmedaille bekommen hat, also es war nicht nur Göttingen, auch etwas für die deutsch-französische Verbindung."
... erinnert sich Susanne Boutler. Die gebürtige Göttingerin heiratete 1970 einen Franzosen:
"Da sagte die Botschaft, wir können ja nicht zu jedem auf dem Friedhof gehen. Und da ich früher Stadtführerin in Göttingen war, haben sie sich an mich erinnert und haben gesagt, ob ich das machen könnte, haben mich 5 vor 12 angerufen. Und dann habe ich es noch geschafft, einen großen Rosenstrauß mit Goldbuchstaben Göttingen zu organisieren, war dann hier bei der Beerdigung, wurde umringt von Reportern und Fotografen, um etwas über Barbara hier in Göttingen zu sagen."
Susanne Boutler: "Seit 1997 bringe ich also regelmäßig von der Stadt Göttingen hier die Blumen aufs Grab von Barbara."
So auch am 24. November 2012, Barbaras 15. Todestag. Noch immer finden sich an diesem Tag Fans der Chansonnière an ihrem Grab ein. Und erinnern sich an ihre Lieder – natürlich auch an "Göttingen", das man immer noch manchmal höre, wie eine Frau sagt:
"In die Konzerte, in denen wir waren, sang sie jedes Mal ,Göttingenʼ, sie sang auch auf Deutsch. Ich denke, es ist eine kleine Stadt, nicht mit Hochhäusern, sondern kleinen Häusern. Ich war aber nie da. Die Kinder sind die gleichen, in Paris wie in Göttingen, singt sie. Damit löscht sie alles aus, was war an Feindlichem und bringt die Menschen zusammen."
Auch wenn man Barbara 1988 das Bundesverdienstkreuz verlieh – in Deutschland ist sie selbst und ihr Lied heute weitgehend in Vergessenheit geraten. In Frankreich ist "Göttingen" dagegen ein Evergreen und gehört zum kulturellen Erbe des Landes. Von Ex-Präsidentengattin Carla Bruni bis zur Teilnehmerin von "Frankreich sucht den Superstar" – jeder, so scheint es, singt irgendwann dieses Lied.
Wenn dieser Tage ein weiteres Mal des Elysée-Vertrags gedacht und der 50. Jahrestag mit entsprechendem Pomp gefeiert wird, so zeigt die Geschichte um dieses Lied, dass Verträge zwar Grundlagen schaffen können, aber dass zu Freundschaft und guter Nachbarschaft mehr gehört als die Tinte, der Händedruck und die Umarmung von Staatsmännern. Reinhard Mey:
"Die Begegnung von Politikern deutscher und französischer Herkunft ist gar nicht so wichtig, die sitzen da und essen Schnittchen, trinken Champelchen und reden über irgendwas und dann gehen sie wieder nach Hause. Das bringt Völker nicht wirklich zusammen. Aber das, was sie zusammenbringt, das ist vielleicht, dass sie eine Basis schaffen, dass es Schüleraustausch gibt, dass in dem anderen Land die Sprache gelehrt wird, damit die Leute sich kennenlernen – die machen die Verständigung zwischen den Ländern: die Bürger, die sich begegnen, die die Grenzen überschreiten, die sich anfreunden, Freundschaft kann man nicht diktieren, auch nicht mit einem Vertrag. Freundschaft entwickelt sich von alleine. Aber man muss den Völkern die Möglichkeit geben, sich kennenzulernen, miteinander zu sprechen, sich dann anzufreunden, vielleicht dann sich zu verlieben, zu verheiraten – alles ist möglich."
Kein Nationalstolz, keine Erbfeinde
Reinhard Meys erste Frau war eine Französin. Als "Frederik" war er in Frankreich bereits bekannt, bevor ihn das deutsche Publikum entdeckte.
Susanne Boutler heiratete einen Franzosen und zog von Göttingen nach Frankreich.
Georg Stefan Troller, Sohn einer jüdischen Familie aus Wien, kam 1949 nach Paris und berichtete von dort über Frankreich.
Sie alle sind Brückenbauer. Sie alle hatten Wirkung. Die deutsch-französischen Verhältnisse haben in den letzten 50 Jahren viele Formen angenommen. Eine ganz besonders emotionale Wirkung aber hatte jene stets schwarz gekleidete Sängerin, die sich nach ihrer jüdischen Großmuter "Barbara" nannte und die, trotz ihrer Familiengeschichte und der daraus folgenden Abneigung gegenüber Deutschland, den Bewohnern einer deutschen Kleinstadt eine Liebeserklärung machte. "Göttingen" war ein Glücksfall für die deutsch-französischen Beziehungen, meinen der Journalist Georg Stefan Troller und der Liedermacher Reinhard Mey:
Troller: "Hat sie Wirkungen gezeigt? Ja, wahrscheinlich mehr in Frankreich als in Deutschland. Dass da bei ihr keine Fanfarenklänge sind, keine Bezüge auf Nationalstolz oder Erbfeinde oder was immer, dass das Ganze aus einer Stellungnahme herausgeht, dass es nicht mehr drauf ankommt, dass es das nicht mehr gibt. In diese Zeit wurde sie hineingeboren, ob sie darüber gesungen hat oder nicht, aber das fand statt, dieses gegenseitige Verständnis zwischen den beiden Ländern fand statt und sie war ein Teil davon. Wer kann mehr verlangen als das?"
Mey: "Ja, genau, es ist ein perfektes Lied. Und wenn man Zweifel daran hat, ob Musik und ob Lieder irgendetwas bewegen können, dann räumt dieses Lied diese Zweifel aus, weil – es hat wirklich etwas bewegt. Es ist den Menschen in den Verstand und in die Herzen gegangen, sie konnten diese Geschichte nachvollziehen. Und es hat mit Sicherheit ein gutes Gefühl in den Menschen freigesetzt: Verständigung, Verbrüderung, Freundschaft – darauf kommt es an. Und ich glaube, das haben alle verstanden, die dieses Lied gehört haben."