Carl Bechstein

Klaviere für die Ewigkeit

Bechstein-Klavier
Einzigartig: Dieses Bechstein-Klavier wurde 1870 extra für den russischen Zar angefertigt. © picture alliance / dpa / Foto: David Veis
Von Peter Kaiser  · 06.03.2015
Carl Bechstein, der vor 115 Jahren starb, hat eine der bedeutendsten deutschen Tradition begründet: den Klavierbau. Trotz der Konkurrenten Blüthner in Leipzig und Steinway&Sons in New York eroberten seine Klaviere die Konzertsäle dieser Welt.
"6:00 Uhr morgens, Auslieferungslager Piano-Express- Flügelhalle. LKW-Rattern im Hintergrund, dazu Arbeiten im LKW selbst, ein Klavier wird herausgeholt."
"Oh, nee…" / "Sascha, komm, Dicker, das schaffst Du." / "Jetzt!"
Sechs Uhr am Morgen in der Berlin-Tempelhofer Attilastraße: hier ist das Auslieferungslager der Firma C. Bechstein, Pianofortefabrik. An diesem Morgen ist viel zu tun für den Klavierträger Sascha und dessen Kollegen. Zwölf Flügel und Klaviere sind einzuladen und zu liefern. Eines geht nach Potsdam zur Evangelischen Grundschule.
"Also ich glaube, wir sind gegen 13:00 Uhr in Potsdam."
Vier Stunden später, gegen 10:00 Uhr am selben Morgen, setzt sich in der Berlin-Charlottenburger- Bechstein-Zentrale der technische Vizechef, Werner Albrecht, etwas ehrfürchtig an einen braun schimmernden Flügel.
"Ein Stück von Liszt kann ich jetzt leider nicht spielen, aber wir hören auf jeden Fall den Liszt-Flügel von 1862. Und hören uns mal diesen Klang an. Das ist ein ganz anderer Ton als den, den wir von unseren heutigen Konzertinstrumenten gewohnt sind."
Autor: "Ganz dunkel, ganz warm."
"Ja, wir bemühen uns schon bei den heutigen Konzertflügeln diese Wärme zu erhalten und auch diesen gesanglichen Ton. Haben aber trotzdem auch noch die Herausforderung, dass wir gegen ein sehr sehr großes Orchester uns als Klavier durchsetzen müssen. So dass wir dem Instrument noch mehr Kraft geben müssen, als das damals bei Liszt der Fall gewesen ist."
1862 wurde der Flügel an den Komponisten Franz Liszt geliefert. Zu sehen ist: er ist zierlicher als die modernen Flügel im Verkaufsraum. Werner Albrecht erklärt, dass er auch anders konstruiert ist.
"Der heutige Konzertflügel ist normal etwas länger als dieses Instrument hier, und ist noch mal sehr viel solider gebaut als dieses Instrument. Trotzdem war dieses (...) eines der ersten Instrumente, das Franz Liszt widerstanden hat, durchgehalten hat, weil er damals tatsächlich reihenweise Instrumente geschrottet hat, also Saiten sind gerissen, die Mechanik hat aufgegeben. Und damals in der Zeit haben sich verschiedene Klavierbauer, unter anderem Carl Bechstein, verpflichtet gefühlt Franz Liszt ein Instrument bauen, das seinem Spiel stand hält."
Extreme Anforderungen ans Klavier
Liszts H-Moll-Sonate ist nicht nur für den Pianisten ein mörderisches Stück, sondern auch für das Klavier. Die Oktavgänge am Ende stellen extreme Anforderungen an das Material.
"Wenn ein Komponist, ein Pianist, wirklich die Körperkraft in Hände und Arme überträgt, dann kann er mit einer ziemlichen Wucht auf die Tasten greifen und dementsprechend ist es notwendig, dass die Tasten und die entsprechenden Teile sehr stabil ausgeführt werden, denn sie haben wirklich Kräfte aufzunehmen."
Sagt der Chef des Unternehmens, der Klavierbaumeister Karl Schulze.
"Das Zweite ist sicherlich der Punkt: Liszt und Bechstein haben eng zusammen gearbeitet. Und bei dieser engen Zusammenarbeit kam es zur Verständigung: was muss ein Klavier bieten, damit ein Künstler seine Musik interpretieren kann?"
Das Instrument von 1862, das an Franz Liszt geliefert wurde, war damals in seiner Bauweise neuartig. So waren etwa alle Saiten parallel angeordnet.
"Das Instrument erinnert noch etwas mehr in Richtung an einen Hammerflügel als unsere heutigen Instrumente, wo auch der Saitenbezug noch etwas stärker gespannt ist. Wir haben noch keine komplette gusseiserne Platte, sondern es ist ein metallener Anhang mit einzelnen Streben, die aufgeschraubt werden. Und von daher, der Klang ist auch noch etwas filigraner, feiner als die heutigen Flügel, die noch kräftiger gebaut werden, oder noch etwas kräftiger klingen als dieser Flügel hier."
Die Zierlichkeit und Anmut des Liszt-Flügels verleitet dazu, dass man dem Instrument wenig an Klang und Fülle zutraut. Doch da irrt man sich. Denn die Geschichte dieses einen Flügels ist eine von Kraft, Leidenschaft und Virtuosität. Und zugleich ist es die Geschichte von Carl Bechstein.
Doch man sollte etwas früher, als bei Franz Liszt und dessen Bechstein-Flügel, in die Geschichte einsteigen, damit man alles versteht, meint Karl Schulze. Darum sollte man wissen, dass das Klavierspiel um 1850 eine Art "Quantensprung" in der Virtuosität machte. Standen bis dahin vom Klavier begleitete romantische Sololieder von Komponisten wie Johannes Brahms, Robert Schumann oder Franz Schubert in Deutschland auf dem Spielplan, so eroberten um 1850 Komponisten wie Edward Grieg, Richard Wagner, Claude Debussy, Johannes Brahms, Maurice Ravel die Konzertsäle. Vor allem aber war es die Zeit von Franz Liszt.
Karl Schulze: "Das heißt, das, was das Cembalo oder das kleine Hammerklavier noch gebracht hat, war auf einmal nicht volumenstark genug. Und vielleicht auch nicht virtuos genug von der Mechanik. Und dementsprechend gab es Entwicklungen, die Spielfähigkeit des Instruments und die Klangstufen zu erweitern."
Franz Liszt traktierte seine Flügel derart, dass nach und nach die Saiten in den Instrumenten rissen, und die Tasten unter den wütenden Fingern des Komponisten regelrecht aufplatzten. Für einen einzigen Konzertabend verschliss der Komponist so mehrere Flügel. Und forderte, endlich ein Instrument zu besitzen, was seiner Anschlagskultur gewachsen war. Auch sein Schüler Hans von Bülow notierte in einem Brief vom April 1855, "dass es eine der schmerzlichsten Erfahrungen für einen Pianisten in Berlin sei, dass es einen absoluten Mangel an passablen Klavieren gebe". Diese Zeit ist nicht nur die Zeit der Komponisten, sie ist auch die Zeit der Klavierbauer.
So ist der deutsche Klavierbauer Carl Bechstein einer der vielen, die sich zu der Zeit aufmachen, das Klavier zu revolutionieren. Mit ihm, um nur einige zu nennen, der Leipziger Klavierbauer Julius Ferdinand Blüthner, oder Ludwig Bösendorfer in Wien, Frederic Neubauer in London, Carl Pfeiffer in Stuttgart, Steinway& Sons in New York und... und....
Ausbildung zum Klavierbauer in Erfurt
Der 1826 in Gotha geborene Carl Bechstein hat am 1. Oktober 1853, nach der langen Ausbildung zum Klavierbauer in Erfurt, dann später in London, Paris und Berlin, in der Berliner Behrenstraße 59 eine Werkstatt für Klaviere und Flügel gegründet. Seine Arbeit ist erfolgreich, in kürzester Zeit prosperiert die Werkstatt: 176 Instrumente liefert er in den folgenden sechs Jahren aus. Seine Klaviere und Flügel unterscheiden sich von den anderen, sie klingen nicht nur, sie singen...
Karl Schulze: "Es muss für den Hörer so ein bisschen ans Herz und an die Seele gehen, damit er es empfinden kann. Denn nur dann braucht er es. Kein Mensch, glaube ich, braucht einen Ton, der ihn nicht begeistert oder ihn nicht betreut."
Straßenumfrage
Frau: "Bechstein, ja kenne ich, da sind doch die Steinway-Flügel, oder?"
Mann: "Ja, Bechstein-Klaviere,ist doch ein Begriff. Das war hier?"
Manchmal lohnt ein Besuch an Geschichtsorten. So auch in der Berliner Behrenstrasse. Die Straße ist bemerkenswert. Sie liegt im Berliner Ortsteil Mitte, und verbindet die Ebertstraße mit dem Bebelplatz, alles unweit der Straße unter den Linden. Vor der Hausnummer 59 gehen die Menschen vorbei, keiner bleibt stehen.
Straßenumfrage
Mädchen:"Bechstein? Mir egal. Was ist das?"
Wegen der zentralen Lage der Behrenstrasse siedelten sich damals wie heute Banken, kulturelle Einrichtungen hier an, oder zogen Instanzen ein. So hatte in der Nummer 9/10 etwa das Ministerium des Inneren der DDR seinen Sitz. In der Nummer 17 bis 20 wird bald das "Palais Behrens" sein, und Sitz der Fernsehanstalten RTL und NTV. In der Nummer 36-39 residiert das luxuriöse "Hotel de Rome". Die Nummer 30 war einmal das Wohnhaus der Schriftstellerin Rahel Varnhagen. Ihr Nachbar war Wilhelm von Humboldt. Und Heinrich Heine wohnte in der Nummer 71/72, in der 73 der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, und... und....
Straßenumfrage
Junger Mann: "Bechstein-Klaviere sind mir seit meiner Kindheit ein Begriff, wir hatten zu Hause eines."
Hier also entstand jener Flügel, mit dem am 22. Januar 1857 Hans von Bülow im Rahmen eines gemischten Programms die Liszt-Klaviersonate in h-Moll uraufführt. Und dieser Flügel der enormen Kraftentfaltung des Pianisten von Bülow standhält. An dem Tag ist der Mythos der Bechstein-Klaviere und Flügel geboren.
Abdel Rahman El Bacha: "Ich habe Bechstein immer geliebt, wegen seiner Innigkeit, wegen seines zärtlichen Tones, dieses singenden Klanges...“
Der Konzertpianist Abdel Rahman El Bacha. Und der international bekannt Pianist Pavel Gililov sagt zu Bechstein-Instrumenten.
"Es ist ein sehr schöner leuchtender Klang, und man ist in einem Zwiegespräch mit dem Instrument."
Rene Martin: "Doch plötzlich ist es, als wäre die große Bechstein-Tradition des 19. Jahrhunderts wieder da. Als hätte man ein Geheimnis wiederentdeckt, das ist wie Zauberei."
Ein Klavier für die Stars
René Martin, Intendant des internationalen Klavier-Festivals im Jahr 2010 in La Roque d`Anthéron. Dieses Festival ist das größte seiner Art in Europa, mit fast 90.000 Konzertbesuchern.
Auch der bedeutende Pianist Vladimir Ashkenazy bevorzugte Bechstein, oder Artur Schnabel.
Zitat:
"Bei allen Bechstein-Instrumenten habe ich die gleiche unerschöpfliche Fülle, edle Schönheit und singende Tragfähigkeit des Tones, die Anpassungsfähigkeit an jegliche Art des Anschlags und der Technik, die gleiche, nie versiegende Zuverlässigkeit in unübertroffenem Maße vereint gefunden."
Albrecht: "Also wir werden jetzt mal ein bisschen an dem Instrument arbeiten, ein bisschen intonieren. Dazu bedarf es relativ profanen Werkzeugs. Wir stechen Hammerköpfe tatsächlich mit Nähnadeln. Der Hammerkopf ist ein Holzkern, wo mit viel Spannung gewalkter Filz herumgespannt wird. Und wir können mit Hilfe von Nähnadeln Spannungsverhältnisse im Hammerkopf verändern, können Masse verlagern und dadurch Dynamik festlegen. Wir können festlegen, mit welcher Kraft Sie welche Laufstärke erreichen. Und Sie können für jede Dynamikstufe die Klangfarbe festlegen. Das ist quasi die dynamische Entwicklung in der Vertikalen. Dann müssen Sie in der Horizontalen alles noch ausgleichen. Also jede einzelne Taste muss bei gleicher Anschlagsstärke die gleiche Lautstärke und die gleiche Klangfarbe entwickeln wie die Nachbartaste."
Die Intonation, also die Tongebung der fertigen Instrumente, ist das Arbeitsgebiet von Werner Albrecht. Die Intonation geschieht nach dem Stimmen. Denn beim Stimmen wird die Spannung der Saiten verändert. Der Intoneur aber nimmt durch die Bearbeitung des Hammerkopfes einen wesentlichen Einfluss auf die Klanggestaltung ohne die Saitenspannung zu verändern.
Albrecht:"Ich fange meistens an mit dem Pianoton, und versuche Töne herauszufinden, die etwas herausstechen. Da merken wir schon, der ist etwas… es sind einzelne Töne, die rauskommen, einfach weil das Instrument auch gespielt wird. Diese Töne, wenn ich jetzt diesen nehme zum Beispiel nehme ich mir den vor… Kontrolliere, ob eine der drei Saiten vielleicht lauter ist als die andere... Hier ist der Fall, wir haben jetzt zum Beispiel die rechte Saite frei. Und die linke Saite klingt nicht ganz so kräftig… So dass ich die Anpassung auch erst mal nur an einer der drei Saiten vornehme…
Ziehe dazu das gesamte Spielwerk raus, so dass ich es vor mir habe, und jetzt haben wir festgestellt, die rechte Seite des Hammerkopfes ist etwas härter als die linke Saite. Dadurch wird die rechte Saite mit etwas mehr Energie angeregt, und ich versuche jetzt erst mal nur auf der rechten Saite des Hammerkopf etwas zu bearbeiten. Und steche dafür mit einer, wir nennen das Intoniernadelhalter, also einem Werkzeug in den Filz hinein, und schiebe dann das Spielwerk wieder rein, und höre mir mal die Veränderung an… Passt jetzt schon sehr viel besser wieder rein. Ich kann dann auch kontrollieren... Ist auch ausgeglichener zwischen rechts und links."
Fertigung in Zittauer Gebirge
Schon lange ist die Behrenstraße 59 nicht mehr die Produktionsstätte der Bechstein-Instrumente. 1992 erwarb die Firma Bechstein von der Treuhand die traditionsreiche Sächsische Pianofortefabrik im 8000-Seelen-Städtchen Seifhennersdorf am Zittauer Gebirge, nahe der tschechischen und polnischen Grenze. Grund für die Verlagerung der Produktionsstätte ist zum einen die Tradition des Sächsischen Klavierbaues, hier produzierte früher der VEB Deutsche Piano Union, und die damit verbundene Kompetenz der Mitarbeiter. Zum anderen sitzt das Gros der Zulieferer für den neun Monate dauernden Bau eines Flügels in Tschechien und Polen. Heute werden in Seifhennersdorf in den europaweit modernsten Produktionsanlagen für Klaviere und Flügel pro Jahr rund 1500 Instrumente gefertigt.
Abdel Rahman el Bacha: "Wenn es eine enge Beziehung zu einem Flügel gibt, fast könnte man es eine Liebesbeziehung nennen, dann wird das zu einer Fusion zwischen dem Interpreten und dem Instrument."
Der Starpianist Abdel Rahman el Bacha.
"Für mich ist die Musik Poesie. Ich kann kein Instrument gebrauchen, was einfach nur gut funktioniert und gut gestimmt ist. Ich will ein Instrument, das mich in eine andere Welt entführt, und es ist auch gewissermaßen meine künstlerische Absicht, meine Zuhörer gleichermaßen zu entführen. Ein Instrument ist dann großartig, wenn es diese Fähigkeit besitzt, diese andere Welt zu suggerieren."
Die Entführung in eine andere Welt, ob sie auch bei den Potsdamer Grundschülern gelingt, die als Nummer 6 auf der Lieferliste des heutigen Tages stehen?
"Kannst Du mal festhalten, bitte!" / "Viel Spaß!" / "So, dann ist alles fertig, schönen Tag noch, Tschüss Kinder. " / "Tschüss!!"
Auf die Frage, ob es schwer war, das Klavier heute im engen Grundschul-Treppenhaus nach oben zu hieven, lächelt Sascha.
"Das ist ein ganz normaler Transport gewesen. Also das haben wir drei Etagen hochgetragen, ganz normales Treppenhaus, war kein Problem, war ok."