Boy & Bear

Mut zur Unvollkommenheit

David Hoskings, Sänger von Boy & Bear
David Hoskings, Sänger von Boy & Bear © dpa / picture alliance / Kabir Dhanji
Von Bettina Brecke · 04.11.2015
Gefühl geht über Perfektion: Ihr neues Album "Limit of Love" haben die Folkpopper von Boy & Bear zu großen Teilen live eingespielt. Ein paar kleine Fehler machen das Ergebnis erst richtig charmant.
"Es gibt den Song 'Breakdown Slow', bei dem ich total vergessen habe, was ich im Refrain spiele. Die Gitarre setzt also einfach aus und fängt dann in der Mitte des Refrains wieder an. Ich bin irgendwie bis ans Ende des Songs gekommen und habe zu den Jungs gesagt: Verdammt, ich habe es vermasselt. Wir können den Take nicht benutzen. Aber Ethan, unser Produzent, hat gesagt: Nein, wir haben es! Das war der Take. Den nehmen wir so."
Gefühl geht über Perfektion und macht die eigene Fehlbarkeit zur Nebensache – das hat die australische Band Boy & Bear auf ihrem neuen Album "Limit of Love" gelernt. Die Songs auf ihrem dritten Album wurden meist live eingespielt, auf Nachbearbeitung und mehrere Spuren hat man verzichtet – kleine Fehler gehören zum Gesamteindruck der Platte. Die Band hat jeglichen Ballast abgeworfen und auf ihre Live-Energie gesetzt.
Die Musik muss nicht tadellos klingen
Mit Hilfe von Produzent Ethan Johns, der bisher mit Künstlern wie Ryan Adams oder den Kings of Leon zusammengearbeitet hat, haben Boy & Bear sich auf ihrem neuen Album weiterentwickelt und frei von dem Gedanken gemacht, dass ihre Musik tadellos klingen muss. Gitarrist Killian Gavin schätzt vor allem Johns positives und ermutigendes Vorgehen.
"Ich bin ein sehr großer Fan seiner Arbeit. Er mag es eben sehr old school. Er bringt die Band in einen Raum, schließt einfache Mikros an und drückt auf Aufnahme. Für uns war Johns der Richtige. Ein Produzent hat natürlich auch den Drang zur Perfektion, aber was für Ethan zählt, ist das Gefühl. Er möchte Emotionen und Interaktionen einfangen. Und darum haben wir ihn an Bord geholt."
Eine weitere Veränderung auf "Limit of Love" war die Herangehensweise an die Texte. Die Band hat auf diesem Album schon von der ersten Idee an gemeinsam an den Songs gearbeitet. Sänger David Hoskings fühlte sich nach unzähligen Konzerten ausgebrannt und ideenlos. Er brachte nicht, wie sonst, schon Skizzen mit ins Studio, sondern traf sich mit der Band zum gemeinsamen Texten. So ist zum Beispiel die erste Single "Walk the Wire" ein Gemeinschaftswerk. "Walk the Wire" ist wohl auch das eingängigste Stück auf dem Album. Ein Pop-Song, der laut Killian Gavin ein wenig "cheesy" wirkt, aber trotzdem nicht die Grenze zum Kitsch überschreitet.
Tragend auf "Limit of Love" ist die Stimme von David Hoskings
"Dahinter steckt eine klassische 'Boy meets Girl'-Geschichte. Dave ist tatsächlich mal nicht zu einer Songwriting-Session aufgetaucht, also haben wir erstmal zu viert an ein paar Ideen gearbeitet. Und dann hat Tim diesen verrückten Synthie-Sound ausgepackt, den man jetzt auf 'Walk the Wire' hört. Wir waren fasziniert davon, alles im Songentwicklungsprozess zu vereinfachen, dazu gehörten auch die Themen in den Stücken. Ich finde es viel herausfordernder etwas Simples zu schreiben und außerdem denke ich, dass jeder diese Nervosität kennt, wenn du jemanden triffst den du magst und noch nicht weißt, wo ihr beide genau steht."
Tragend auf "Limit of Love" ist die Stimme von Sänger David Hosking – sie ist warm, etwas kratzig, unaufgeregt und umhüllt den Hörer. Auch stimmlich galt hier die Devise: Gefühl vor Perfektion. So war Hosking zum Beispiel nicht zufrieden mit seinem Gesang in dem Song "Fox Hole", da seine Stimme erschöpft und ausgezehrt klingt. Produzent Ethan Jones war da jedoch ganz anderer Meinung:
"Ethan hat einfach gesagt: Nein, der Song ist perfekt, fasst ihn nicht mehr an! An diesem Punkt war er oft besorgt die Aufnahme zu ruinieren, wenn man noch zu viel daran ändert. Die Songs sind eben sehr einfach und reduziert, im Grunde genommen eine Performance."
"Limit of Love" vereint eingängige Melodien mit Texten, die man sicher schon einmal in dieser Art und Weise gehört hat. Boy & Bear haben gelernt, dass weniger manchmal mehr ist und die alltäglichen Dinge genügend Stoff für ihre Songs hergeben. Die kleinen Fehler machen ihr drittes Album zu einem ungeschminkten Live-Erlebnis, voll von wunderschönem, schnörkellosem Folk-Pop, der sich zwar nicht weit hinauswagt, aber in seiner Unvollkommenheit das ein oder andere Herz erweicht.
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