Berühmtes Komponisten-Gemälde

Bachs Porträt kehrt nach Leipzig zurück

Sir John Eliot Gardiner, Präsident der Stiftung Bach-Archiv Leipzig, sitzt am 13.06.2014 bei einer Pressekonferenz vor einem Porträt des Komponisten Johann Sebastian Bach. Vom 13. bis 22. Juni 2014 findet das Bachfest Leipzig statt, das diesmal das Werk des zweitältesten Bach-Sohnes, Carl Philipp Emanuel Bach in den Mittelpunkt rückt. Bei rund 110 Veranstaltungen werden insgesamt etwa 70.000 Besucher erwartet. Foto: Sebastain Willnow/dpa
Das Bach-Porträt hing in seinem Elternhaus: Der britische Dirigent Sir John Eliot Gardiner © picture alliance / dpa / Sebastian Willnow
Sir John Eliot Gardiner im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 12.06.2015
Bach hängt wieder in Leipzig. Lange befand sich das 1746 von Gottlob Elias Haussmann angefertigte Gemälde in den USA in Privatbesitz. Nun wird es im Bach-Archiv präsentiert. Der britische Dirigent Sir John Eliot Gardiner kannte es schon als Kind: Es hing, gerettet vor den Nazis, zeitweilig in seinem Elternhaus.
Sir John Eliot Gardiner, weltbekannter Dirigent Alter Musik, Chorleiter und Präsident des Bach-Archivs ist hochbeglückt, einen alten Bekannten aus Kindertagen nun bald jederzeit in Leipzig besuchen zu können: Das wohl berühmteste Komponisten-Porträt der Musikgeschichte kehrt nach Deutschland zurück. Das Bach-Bildnis von Elias Gottlob Haussmann, das sich lange in den USA im Privatbesitz des 2014 verstorbenen William Scheide befand, wird nach 265 Jahren im Bach-Archiv Leipzig öffentlich präsentiert.
Das 1746 von Elias Gottlob Haußmann gefertigte Gemälde von Johann Sebastian Bach (1685-1750) ist nach Aussage des Bachhauses Eisenach das einzige überlieferte Bildnis des Barockmusikers, für das der Meister persönlich Modell gesessen haben soll
Johann Sebastian Bach, Porträt von 1746 von Elias Gottlob Haußmann, seit 2015 im Besitz des Bach-Archivs in Leipzig© picture alliance /dpa / Bachhaus Eisenach
Der Brite Gardiner ging als Kind jeden Tag an dem Bild vorbei, denn es hing einige Jahre lang – gerettet aus dem Besitz einer jüdischen Familie – im Haus seiner Eltern in der Grafschaft Dorset. „Ich bin unter den Augen von Johann Sebastian Bach aufgewachsen", scherzte Gardiner im Deutschlandradio Kultur. Als „sehr streng" habe er damals den Blick Bachs empfunden, der ihn als Kind täglich begleitete. „Das war die Zeit, in der ich die Bach-Motetten auswendig singen lernte", erinnert er sich. Die Aura des Thomaskantors Bach mit seiner steifen Perücke habe ihm Furcht eingeflößt. Viel später erst habe er einen anderen, viel entspannteren Eindruck von dem Porträt gewonnen: „Mund, Kinn und Lippen war viel freundlicher".
Dass der frühere Besitzer, William Scheide, das Gemälde dem Bach-Archiv überlassen hat und es nun anlässlich der Eröffnung des Bach-Festes in Leipzig wieder gezeigt werden kann, bezeichnet Gardiner als "Wunder" und als "größtes Geschenk, das das Bach-Archiv je bekommen" habe.

Das Gespräch im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: In Leipzig wird heute gefeiert! Das Bachfest wird eröffnet in der Nikolaikirche und das berühmte Johann-Sebastian-Bach-Porträt des Malers Elias Gottlob Haußmann, das kehrt nach 265 Jahren außer Landes an den Ort seiner Entstehung zurück. Wir haben uns dazu einen besonderen Gesprächspartner eingeladen, den bekannten Dirigenten und Chorleiter und einen der wichtigsten Persönlichkeiten der Alte-Musik-Szene, Sir John Eliot Gardiner. Und dafür gibt es noch weitere Gründe, denn Gardiner ist nicht nur der Präsident des Bach-Archivs in Leipzig, sondern quasi im Angesicht dieses Bach-Gemäldes aufgewachsen. Herr Gardiner, schönen guten Morgen!
John Eliot Gardiner: Guten Morgen!
von Billerbeck: 1748 porträtierte Elias Gottlob Haußmann in Leipzig den Thomaskantor Johann Sebastian Bach. Das war ein Auftrag des Meisters, er war damals 60 Jahre alt. Und das ist Haußmanns zweites Bild von Bach, ein sogenanntes Amtsbild und das, was wir kennen vom alten Bach, das unser Bild von Bach quasi geprägt hat. Und das Bild hat einen langen Weg hinter sich. Erst erbte es Bachs Sohn, Carl Philipp Emanuel Bach, es war in Hamburg ausgestellt. Und dann gelangte es im 19. Jahrhundert in den Besitz der Familie Jenke. Aber für Sie, da kommen wir dann zur jüngeren Geschichte, für Sie hat das Bild auch den Wert als Kindheitserinnerung, denn dieses Bild hing in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, in Ihren Kindertagen also, in Ihrem Elternhaus, dem Landsitz Ihrer Familie in Dorset. Wie kam es dahin?
Gardiner: Das ist eine komische Geschichte. Es ist durch Walter Jenke zu meinem Elternhaus gekommen. Er ist weg von Breslau 1936 aus politischen Gründen, die Familie Jenke hatte jüdische Vorgänger. Und Jenke ist auf einem Fahrrad nach England gekommen. Er war sehr gut befreundet mit meinem Vater. 1939 war Jenke interniert, und er hat zu meinem Vater gesagt: Bitte, kannst du das Porträt in Sicherheit halten? Und mein Vater hat natürlich ja gesagt. In diesem Maße bin ich unter den Augen von Johann Sebastian Bach aufgewachsen.
von Billerbeck: Das heißt, Sie mussten quasi Musiker werden!
"Ich war ein bisschen ängstlich, als ich vorbeiging jeden Tag"
Gardiner: Das fand ich etwas besonders und nicht ganz bequem, denn jeden Tag musste ich fünf-, sechsmal an dem Porträt vorbeigehen. Und als junger Musiker schon, Sänger damals hatte ich auch die Bach-Motetten auswendig gelernt. Und für mich war es nicht einfach, das zu .... (Anmerkung der Redaktion: Wort unverständlich): dieses etwas grimmige Porträt vom Thomaskantor und diese freudenhaft-wunderschöne, tänzerische Musik. Ich war ein bisschen ängstlich, als ich vorbeiging jeden Tag, denn diese große Perücke, die Augen, die sehen so streng aus. Später, viel später hatte ich eine ganz andere Beziehung zu diesem Porträt. Ich glaube, das ist viel freundlicher, als ich damals meinte. Und ich glaube, dass von der Nase oben man diese sehr strenge Ansicht von Johann Sebastian Bach sieht, aber beim Mund, das Kinn und die Lippen sind viel menschlicher, viel freundlicher. Und vielleicht gilt dieses Paradox auch für seine Musik: Auf einer Seite ist es sehr intellektuell, sehr kompliziert, fast pädagogisch. Auf der anderen Seite ist seine Musik so tänzerisch und er hat so viel Freude und so viel Swing. Und das gefällt mir sehr!
von Billerbeck: Das Besondere an diesem Porträt ist ja auch, dass es wirklich nach dem Leben gemalt worden ist. Kein späteres Abbild eines Bildnisses von Bach...
Gardiner: Ja, das ist keine Kopie, es ist wirklich ein neues Porträt.
von Billerbeck: Und er hat vermutlich dafür sogar Modell gesessen. Bedeutet Ihnen das was? Sie sind ja auch ein Experte für historische Aufführungspraxis. Können Sie als Verfechter einer solchen originalgetreuen... an diesem Originalbildnis über dessen Persönlichkeit herauslesen?
"Das Geschenk an die Stadt Leipzig ist ein Wunder"
Gardiner: Das ist schwer. Aber für mich ist als Geschenk an die Stadt Leipzig – ich finde es absolut ein Wunder. Ich bin der Familie Scheide sehr, sehr dankbar, dass sie es ermöglicht haben, dass das Porträt zurück nach Leipzig kommt. Es ist ein sehr großes Happening für uns Bach-Forscher und auch persönlich für mich. Ich habe eine neue Möglichkeit, das Porträt nach 60 Jahren zum ersten Mal wirklich neu kennenzulernen.
von Billerbeck: Dann müssen wir den Weg noch bis zur Familie Scheide nacherzählen: Das Bild wurde versteigert und gekauft hat es eben der eben schon erwähnte amerikanische Philanthrop, Bach-Kenner und -Enthusiast William Scheide. Und in dessen Wohnzimmer hing es, in Princeton, und da haben Sie es auch gesehen.
Gardiner: Ja.
von Billerbeck: Und er hat verfügt, dass dieses Bild an seinem 100. Geburtstag, am 6. Januar 2014, an das Bach-Archiv in Leipzig übergeht. Er ist inzwischen selbst verstorben, heute ist nun der Tag, an dem das Bild zurückkehrt nach Leipzig. Haben Sie William Scheide überzeugt oder war das schon immer sein Wunsch?
Gardiner: Ich glaube, es war immer sein Wunsch, dass das Porträt eventuell zurück nach Deutschland kommen sollte. Aber es war nicht geplant, dass es nach Leipzig kommen sollte. Früher in seinem Nachlass, glaube ich, sagte er, es soll zurück nach Berlin, zum Preußischen Kulturbesitz. Ab 1989 hat er das geändert und sagte, nein, es soll nach Leipzig kommen. Aber nicht als Geschenk, es sollte gekauft sein. Und es war 2013, dass ich zu Tisch saß mit Judith Scheide, die Frau Scheide. Ich fand es wunderschön, dass das Porträt eventuell nach Leipzig zurückkommen sollte, aber ich habe es ganz klar gesagt: Ich glaube, wir haben nicht das Geld, das zu kaufen. Und Judy sagte, ich bin bereit, mit Bill Scheide, meinem Mann, zu sprechen. Und dank Judy, sie hat ihn überzeugt, es als Geschenk dem Bach-Archiv und Bach-Museum zu geben. Und ich finde es großartig und sehr großzügig von seiner Seite.
von Billerbeck: Hat dieses Bild eigentlich auch eine Bedeutung für die Forschung im Bach-Archiv?
Gardiner: Ja, sicher, aber was genau und in welcher Form, das wissen wir noch nicht. Aber es ist das größte Geschenk, das unser Bach-Archiv je bekommen hat, das ist ein Wunder.
Willkommenskonzert für das berühmte Porträt
von Billerbeck: Heute zur Eröffnung des Bachfestes wird das Bild ja zu sehen sein in der Leipziger Nikolaikirche, erstmals öffentlich. Und danach zieht es dann in die Schatzkammer des Bach-Museums nach Leipzig und ersetzt dann dort die Kopie des Bildes, die aber auch noch Haußmann selbst gemalt hatte. Was denken Sie, wie oft werden Sie versuchen hinzugehen, um sich zu erinnern und vielleicht an Ihre Kindertage unter diesem Bild zu denken?
Gardiner: Ja, ich freue mich darüber! Und mein Chor, der Monteverdi-Chor, eine kleine Kerngruppe vom Chor wird auch einen Choral vor dem Porträt singen, genau wie vor zwei Monaten in Princeton als Abschiedsfeier.
von Billerbeck: Konzert für das Bild?
Gardiner: Ja.
von Billerbeck: Und nun begrüßen Sie es wieder in Leipzig.
Gardiner: Eben.
von Billerbeck: Sir John Eliot Gardiner war das, Dirigent und Präsident des Bach-Archives. Mit ihm habe ich gesprochen über die Rückkehr des Bach-Bildes von Haußmann nach Leipzig. Ich danke Ihnen!
Gardiner: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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