Achim Reichel: "Raureif"

Endlich wieder eigene Songs

Der Musiker Achim Reichel spielt am 08.10.2010 in Hamburg in seinem Tonstudio auf einer seiner 25 Gitarren.
Achim Reichel spielt in seinem Hamburger Tonstudio auf einer seiner 25 Gitarren. © picture-alliance / dpa / Angelika Warmuth
Von Uwe Wohlmacher · 23.01.2015
"Raureif" heißt das 28. Soloalbum von Achim Reichel. Der Hamburger glänzt darauf mit einer nie dagewesenen Stilvielfalt. Und diesmal hat der Musiker – nach langer Unterbrechung – auch wieder neue eigene Songs beigesteuert.
(Musik: "Dolles Ding")
16 Jahre mussten die Fans von Achim Reichel auf neue, eigene Songs des Hamburger Musikers warten, die nun mit seinem neuen Album "Raureif" vorliegen. Von einer langen kreativen Pause kann allerdings nicht gesprochen werden, denn in dieser Zeit entstanden immerhin fünf CDs mit alten Volksliedern, Vertonungen deutscher Gedichtkunst, ein Livealbum seines 40-jährigen Bühnenjubiläums und der Mitschnitt seiner überaus erfolgreichen Storyteller-Tournee.
"Ich hab ja dann ja irgendwann nach Volksliedern und Balladen diese Storyteller-Sache an den Start gebracht und das war derartig erfolgreich, also 100 Konzerte in fünf Jahren damit gemacht hab. Danach hab ich gedacht. Das könnte es ja eigentlich gewesen sein."
Musiker mit Herz und Seele
Doch dafür ist Achim Reichel zu sehr Musiker mit Herz und Seele. 100 Konzerte erforderten eine längere Auszeit und neue Kräfte, die der Hamburger Musiker auf einer Mittelmeerinsel erst einmal wieder tanken musste:
"Und was das mit einem tut, wenn man da so keine Verpflichtungen hat und ja - so einfach nur die Seele baumeln lassen kann, da kommen einem ja dann auch wieder Ideen, ob man’s will oder nicht und ich verreise ja auch nie ohne Gitarre und insofern entstanden die ersten Songs in diesem viertel Jahr. Und als ich dann merkte, ey, da bahnt sich was an, da hab ich dann natürlich, als wir wieder zurück waren, nachgeschaut, was hast du denn da eigentlich noch zu liegen. Und so kam es dann zu diesem Album."
(Musik: "In der Hängematte")
"Raureif", das neue Album von Achim Reichel, präsentiert neben den eigenen Texten auch eine im Archiv abgelegte Idee von Jörg Fauser, der für Achim Reichel in den 80er-Jahren nicht zuletzt den Titel "Der Spieler" dichtete und dem Musiker auch einen gehörigen Schub versetzte.
"Also, von dem Fauser hab ich so viel gelernt. Ich glaub, wenn ich den nicht kennengelernt hätte, dann wäre ich viel zurückhaltender mit der Ambition texten zu wollen. Also, wir haben ja Nächte verbracht und wir haben diskutiert, wie könnte man was darstellen und so weiter und so fort. Von dem Mann hab ich mir einfach eine Scheibe abschneiden können."
(Musik: "Herz der Dinge")
"Also, es war genau so, die Komposition, die ist wirklich noch aus der Zeit, als ich mit Jörg Fauser zusammen gearbeitet habe. Nur damals hab ich gedacht, Moment mal, 'Wer weiß, wie lange wir noch haben'. Jörg, wir sind Ende 30, was soll der Quatsch! Aber jetzt mittlerweile finde ich, ist er sehr passend."
Latin, Folk und Reggae mischen sich
Waren es zuletzt überwiegend akustische Instrumente, mit denen er alten Volksliedern ein neues Gesicht gab, sind nun, neben dem üblichen Rockmusik-Instrumentarium, Bläsersätze, klassische Streicher und Frauenchöre im Einsatz, die der Musik Reichels eine ungemein spannende Atmosphäre verleihen. Latin-Flair trifft auf irische Einflüsse, kalifornischer Sixties-Blues-Rock auf Akustik-Folk und Laid-Back-Gitarren vermischen sich gekonnt mit karibischem Reggae. Achim Reichel glänzt auf seinem neuen, mittlerweile 28. Soloalbum mit einer nie da gewesenen Stilvielfalt.
"Ich hab mich einfach immer nur danach gerichtet, also was ist das jetzt für ein Song. Also kann der dieses und jenes vertragen. Lass uns doch mal was ausprobieren. Und das Ausprobieren bedeutet auch manchmal, das man hinterher sagt: Ach nee, lieber nicht. Aber es war hin und wieder so, zum Beispiel die Bläser bei 'Dolles Ding', das war gar nicht so geplant. Ursprünglich hab ich noch gedacht, das spiel ich mit der Gitarre. Und als ich das von der Posaune hörte, da hab ich gedacht, wow, das langt ja sowas von hin. Ja ich bin immer noch einer, der gerne Dinge probiert und nicht mit fertig ausformulierten Dingen ins Studio geht."
(Musik: "Es geschah am helllichten Tag")
"Raureif" erzählt Geschichten, die so nur das echte Leben schreiben kann. Wenn Reichel sich zum Beispiel in "Dolles Ding", dem ersten Song seines neuen Albums an eine Autofahrt erinnert, die ihn in einer einsamen Nacht im Nirgendwo an eine rote Ampel führt, bleibt er ganz in seiner eigenen Tradition, Alltagsbeobachtungen humorvoll, aber immer nachdenklich umzusetzen. Ein gutes Beispiel dafür, dass es in seinen Texten häufig um das Verhältnis von Menschen untereinander, um Liebe oder gescheitert Existenzen geht.
Reimender Beobachter seiner Umgebung
Achim Reichel ein Beobachter seiner Umgebung, der sich ungern in Fantasien ergeht:
"Ja klar, das ist er schon. Jaja, natürlich soweit es ihm möglich ist und es fallen einem ja auch zu allen Beobachtungen dann gleich irgendwie Reime und Texte ein. Aber Dinge, die ich nicht erlebt habe oder die reine Fantasie sind und sonst gar nichts, also da bin ich dann immer eher zurückhaltend. Wenn ich denn sagen soll, na ja, hat mit mir nichts zu tun, aber ist doch ganz gut, oder? So bin ich nicht. Also ich möchte schon, das ich das bin."
(Musik: Der Abschiedsbrief)
Die vielleicht größte musikalische Überraschung hört man am Ende des Albums in dem Song "Der Abschiedsbrief", bei dem Achim Reichel mit sinfonischen Streichern überrascht.
"Damit, muss ich zugeben, hab ich mich selbst auch ein bisschen überrascht, weil es war Kiev Stingl, der mit dem Text ankam. Und ich find ja diese Zeile: 'Wie liebevoll du meinen Namen schriebst, als wenn du mich noch immer liebst.' Da hab ich echt gedacht: Wow, da musst du aber auch erst mal drauf kommen. Und dann hab ich gedacht, was fängst du damit an. Und dann hab ich erst mit der Akustik-Gitarre so’n bisschen herum probiert. Ja, und dann weiß ich auch nicht, wer mich da geküsst hat oder ob ich das eigentlich selber war. Keine Ahnung. Jedenfalls kam ich auf die Idee, so ein symphonisches Orchester-Sample da einzubauen. Und als ich dann merkte, das sich das nahtlos einfügt, als wenn das von Anfang an so geplant wäre, da hab ich wirklich gedacht, wow, das sollte so ein."
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