80 Jahre Billboard Charts

Wie Hitparaden Beliebtheit erzeugen

Ein leeres Siegerpodest für die Plätze eins bis drei, aufgenommen bei den Eisschnelllauf Deutsche Meisterschaften am 02.11.2014 im Sportforum Hohenschönhausen in Berlin.
Die erste Hitparade vor 80 Jahren umfasste gerademal drei Bestseller. © picture-alliance / dpa / Soeren Stache
Von Laf Überland · 04.01.2016
Am 4. 1. 1936 veröffentlichte das US-Fachblatt "Billboard" die allererste Hitparade: eine Orientierungshilfe für Plattenhändler und Jukebox-Bestücker. Der Sinn der Charts drehte sich im Lauf der Jahrzehnte - und aus der Dokumentation der Beliebtheit wurde ihre Erzeugung.
Heute vor 80 Jahren veröffentlichte das amerikanische Billboard Magazin die erste sogenannte Hitparade: mit den drei Bestsellern der drei größten Plattenfirmen.
Natürlich gab es immer, zumindest für Künstler, auch andere Kriterien als die Pole-Position der Billboard-Charts.
"The Cover of the 'Rolling Stone'…"
Aber meistens galt doch der Spitzenplatz der Charts als Karriereziel, zumindest für die finanzierenden Plattenfirmen.
Die Erfindung der Hitparaden
Witzigerweise hatte das Zentralorgan für Statistik in der Unterhaltungsindustrie als Werbemagazin angefangen. Zwei auf große Werbeplakate spezialisierte Plakatdrucker hatten, um an neue Kunden zu kommen, ein Magazin zusammengebastelt, indem alles auftauchte, das mit Volksfest-Unterhaltung zu tun hatte und mit Werbung auf Stellwänden neben der Straße – mit sogenannten "Billboards"also. Und so hieß dann auch das Werbemagazin: "Billboard". Bald berichteten die Drucker über alle Aspekte des Belustigungswesen, und am 4. Januar 1936 stellten sie in einer Parade die drei Spitzenreiter der drei großen Plattenfirmen nebeneinander, und das war die erste veröffentlichte Hitparade der Phonographen-Ära.
Die technische Entwicklung beflügelte das Amüsierwesen. 1940 gab es beinahe eine halbe Million Jukeboxen in den Vereinigten Staaten, und Billboard fing an, die Drückgewohnheiten der Kneipengäste zu analysieren und daraus hilfreiche Listen der populärsten Titel im Land zu erstellen, erfasst in Tabellen - in Charts also: Pop-Charts!
Dann holte Billboard die Einsatzmeldungen der Radiodiskjockeys dazu und die Verkaufszahlen von ausgesuchten Plattenläden und brachte ab 1958 schließlich wöchentliche Charts heraus. Zuerst als Orientierungshilfe für Plattenhändler und Jukebox-Bestücker gedacht, drehte sich der Sinn der Charts allerdings nach und nach, und aus der Dokumentation der Beliebtheit wurde die Erzeugung von Beliebtheit - entsprechend veränderte sich das Wesen der Popmusik.
Wichtig für die Verbreitung des Rock'n'Roll
In der Zeit der frühen Indies - also der kleinen Plattenlabels, die die neue Musik hervorbrachten – waren die Billboard-Charts tatsächlich grundlegend für die Verbreitung des Rock'n'Roll. Denn die Radioleute, denen zum Beispiel Sam Phillips vom Sun-Studio die Singles seines neuen Stars Elvis Presley vorbeibrachte, gaben beim Billboard an, dass sie diesen neuen heißen Scheiß so oft gespielt hatten, wie keine andere Musik. Und die Radioleute außerhalb von Memphis, Tennessee, kümmerten sich darum, dass sie die Singles auch bald spielen konnten, und die Musikbox-Bestücker orderten sie für ihre Automaten.
Nach einer Weile aber spielten die Musikboxen zunehmend das, was im Radio kam, und im Radio lief das, was in den Jukeboxen gedrückt wurde, und die jugendlichen Musikfans kauften dasselbe Zeug für zu Hause, und so wandelte sich der große bunte Popmarkt, zumindest was die Charts betraf, in ein inzestuöses Geschmuse ohne große popkulturelle Relevanz – aber aufgelockert durch regelmäßige Manipulation: durch Bestechung von Radiomoderatoren, riesige Werbekampagnen oder das Aufkaufen der halben Singleauflage. Aber geholfen hat das der Musikindustrie nur vorübergehend.
Seit den 90ern werden Verkaufszahlen und Radioeinsätze superexakt direkt elektronisch erfasst - und übrigens nicht nur in den USA, auch hierzulande wird das so gemacht. Nach und nach hat das Billboard-Magazin seine Chartserhebungen auch an die neuen Vertriebswege von Musik angepasst, zählt digitale Downloads, Streaming und zuletzt sogar YouTube-Klicks mit. Und alles wird minutiös in fast hundert Charts erfasst - nach Genres, klar, aber auch nach "Hot 100 Airplay", "Hot Digital Tracks"und "Hot Radio-Wieder-Einsteiger" bis hin zu Klingeltönen ...
Massenweise statistische Schnapschüsse
Aber die Wirkung dürfte sich zusehends in Bits und Bytes auflösen, denn inzwischen gibt es an jeder Ecke eigene Charts – Campus-Charts, YouTube-Charts, Spotify- und iTunes-Charts und die Playlisten der Facebookfreunde.
Doch sowieso waren, im Grunde, Chartspositionen schon immer lediglich statistische Schnappschüsse - ohne inhaltliche Bedeutung. Oder musste man etwa davon ausgehen, dass das "Dark Side Of The Moon"-Album von Pink Floyd wichtiger oder gar besser war als "Sgt. Pepper" von den Beatles, nur weil "Dark Side" länger auf Platz eins in den Billboard-Charts war?
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