Zypern

Wie junge Künstler der Teilung trotzen

Besucher einer Ausstellung von Kunstwerken zypriotischer Künstler am Famagusta Tor in Nikosia
Ist eine Wiedervereinigung realistisch (hier ein Besucher einer Ausstellung von Kunstwerken zypriotischer Künstler in Nikosia)? © dpa / picture alliance / Katia Christodoulou
Von Michael Frantzen  · 07.07.2015
Wenn die Griechen wissen wollen, wie eine Krise erfolgreich zu meistern ist, werden sie gleich in der Nachbarschaft fündig: Auch Zypern stand vor fast drei Jahren vor einer Staatspleite. Nun träumen zypriotische Künstler von einer Wiedervereinigung der geteilten Insel.
Für dieses Jahr erwarten die Statistiker ein Wachstum von 0,4 Prozent, auf dem Höhepunkt der zypriotischen Finanzkrise 2013 hatte es noch einen Einbruch von 6,8 Prozent gegeben. Das Land stand kurz vor dem Finanzkollaps, nervöse Kunden, allen voran russische Oligarchen, räumten ihre Konten leer. Solange, bis der Staat eingriff - und per "Kapitalverkehrskontrolle" dem monetären Exodus ein Ende bereitete. Das war einmal.
Im April hob das Finanzministerium die Kontrollen auf. Die Geschäfte und Cafes in Nikosia sind wieder voll, die Ledras-Straße, die traditionelle Einkaufsmeile, füllt sich wieder, es gibt auch wieder mehr Ausstellungen. Für zypriotische Künstler bieten sich neue Alternativen zur Ausreise. Der Zypern-Konflikt, die Teilung der Insel in einen griechischen und einen türkischen Teil, ist auch Thema ihrer Kunst und im Gegensatz zu ihren griechischen Landsleuten, die mehrheitlich nichts von einer Wiedervereinigung halten, träumen sie davon, Griechen und Türken zusammenzubringen.
Das ist gerade noch einmal gut gegangen. Um ein Haar hätte das Motorrad jetzt Antonis Antoniou umgefahren. Der Musiker zuckt an diesem frühsommerlichen Nachmittag nur die Schultern. So ist das nun mal in Nikosia, der Hauptstadt Zyperns: Die Gassen in der Altstadt sind eng - und die Testosteron-gesteuerten Motorradfahrer nicht gerade berühmt für ihre Rücksichtnahme.
Antonis: "Die Straße, auf der wir gerade unterwegs sind, ist typisch für Nikosia. Siehst du die Tonnen mitten auf der Straße?! Da geht es nicht weiter. Dort beginnt die Pufferzone. Direkt dahinter liegt der türkische Teil Nikosias. So ist es fast überall in der Altstadt. Ständig zwingen dich diese Dinger umzudrehen und woanders entlangzulaufen."
Nikosia ist das, was Berlin bis zum Fall der Mauer war: Eine geteilte Stadt. Inklusive Stacheldrahtzaun und Niemandsland, in denen die Häuser vor sich hingammeln, weil niemand rein darf, außer den UN-Blauhelm-Soldaten. Antonis kennt es nicht anders. Als der Leadsänger der angesagten Folk-Band "Monsieur Doumani" Ende der Siebzigerjahre zur Welt kam, war Zypern schon geteilt.
So ist es bis heute geblieben. Im Süden - ungefähr zwei Drittel der Insel - haben die griechischen Zyprioten das Sagen, im Norden seit der Invasion der türkischen Armee 1974 die Türken.
Die Demarkationslinie - Jahrzehnte lang blieb sie dicht, bis Mitte der 2000er die ersten Grenzübergänge öffneten. Antonis zeigt nach links. Hinter dem Dönerladen, der auf den programmatischen Namen "Berlin Zwei" hört, liegt der Checkpoint Ledras Straße. Von dort, meint der Mann mit dem Hipster-Bart, sind es exakt 85 Schritte bis zu dem Teil Nikosias, um den die meisten seiner Landsleute immer noch einen weiten Bogen machen.
"Das da gerade ist der Muezzin"
Antonis: "Das da gerade ist der Muezzin. Von der anderen Seite. Echt verrückt: Es tobt nicht nur ein politischer Kampf zwischen Türken und Griechen, sondern auch ein akustischer. Du kannst zwar beide Volksgruppen räumlich voneinander trennen und dafür sorgen, dass sie sich möglichst wenig zu Gesicht bekommen, doch du hörst den anderen.
Eigentlich komisch, dass noch keine Glocken läuten. Ich weiß gar nicht, wie oft ich es schon erlebt habe, dass die Kirchen auf unserer Seite wie wild anfangen zu bimmeln sobald der Muezzin ruft. Sie versuchen sich gegenseitig zu übertönen. Selbst da müssen sie ihren Konflikt austragen."
Antonis biegt nach rechts, rein in die Diogenous-Straße. Frisch gestrichene Garagen üben sich hier in friedlicher Koexistenz mit Abbruchhäusern voller Graffitis. Das meiste ist politisch: Gegen das "Scheiß Militär"; die "neoliberalen Ausbeuter".
Der Musiker und DJ hält kurz inne. Bis vor ein paar Jahren hat er direkt um die Ecke gewohnt, in einem Altbau nahe der Markthalle aus den Achtzigerjahren. Sie ist unglaublich hässlich - und unglaublich günstig. Billigeres Obst und Gemüse gibt es nirgendwo sonst in Nikosia. Noch.
Antonis: "Die Gegend wird immer teurer. Ich kann es mir schon längst nicht mehr leisten hier zu wohnen. Dafür brauchst du ein dickes Konto. Das Viertel hat sich schleichend verändert.
Da die Baustelle zum Beispiel: Da zieht die Stadtverwaltung das neue Rathaus hoch. Das wertet die ganze Gegend zusätzlich auf. Schon jetzt renovieren sie die ganzen heruntergekommenen und ehemals besetzten Häuser. Damit alles schön sauber wird."
So ändern sich die Zeiten: Vor zwei, drei Jahren wäre der Rathausneubau undenkbar gewesen, wegen der Krise, die im griechischen Teil der sogenannten Insel der Aphrodite wütete. Doch es geht wieder aufwärts in Zypern. Für dieses Jahr erwarten die Statistiker ein Wachstum von 0,4 Prozent. Immerhin.
Letztes Jahr schrumpfte die Wirtschaft noch um 2,8 Prozent, 2013, auf dem Höhepunkt der zypriotischen Finanzkrise, sogar um 6,8 Prozent. Das Land stand kurz vor dem Finanzkollaps, nervöse Kunden, allen voran russische Oligarchen, räumten ihre Konten leer.
Solange, bis der Staat eingriff - und per "Kapitalverkehrskontrolle" dem monetären Exodus ein Ende bereitete. Das war einmal. Im April hob das Finanzministerium die Kontrollen auf, sind die Geschäfte und Cafés in der Ledras-Straße, der traditionellen Einkaufsmeile Nikosias, wieder voll. Antonis verzieht das Gesicht. Konsum als Allheilmittel – das behagt dem Klangtüftler gar nicht.
Antonis: "Ein Song unserer neuen CD heißt 'That's what the kitten wants'. Das Kätzchen will es so. Das ist ein Spruch bei uns. Du sagst es, wenn dich jemand um einen Gefallen bittet, du dazu aber keine Lust hast. Jeder denkt doch nur an sich. Jeder ist ein verwöhntes Kätzchen. Diese Einstellung ist bei uns weit verbreitet.
Auf die Art und Weise kannst du natürlich alles und nichts entschuldigen. Besonders, wenn du keine Verantwortung übernehmen willst - wie unsere Banker in der Finanzkrise. Alle unsere Songs haben diese anti-kapitalistische Note."
Es ist Abend geworden. Draußen taucht der Vollmond Europas letzte geteilte Hauptstadt in mildes Licht, drinnen, in der "Weaving Mill", der alternativen Altstadtkneipe, hat sich Antonis auf ein Bier zu Angelos gesetzt, seinem Band-Kollegen. Hinter dem 38-Jährigen liegt ein langer Arbeitstag.
"Monsieur Doumani" mag zwar inzwischen auch außerhalb Zyperns Erfolge feiern: Von der Musik leben kann keiner aus dem Trio, auch nicht Angelos. Deshalb sein Job bei einem Lebensmittellieferanten. Nichts Weltbewegendes, meint er lapidar und nimmt einen Schluck Bier. Halt genug, um über die Runden zu kommen.
Vor zehn Jahren schien die Wiedervereinigung greifbar nah
Seine Leidenschaft ist die Musik. Er strahlt. Allein der Auftritt letzten Herbst vor dem Lidras Palast in der Schutzzone, dem verwitterten Luxushotel, in dem einst Brigitte Bardot abstieg und heute die UN-Blauhelme einquartiert sind: Einfach genial.
Angelos: "Als wir da gespielt haben, habe ich mich vor allen eines gefühlt: Frei. Frei von all den Zwängen, die auf unserer Insel lasten. Es war ein tolles Gefühl. Ich glaube fest daran, dass du mit Musik Grenzen überwinden kannst.
In dieser Nacht spielte es keine Rolle, ob du türkischer oder griechischer Zypriot bist. Alle tanzten zusammen. Alle kannten die Melodien – auch die Türken. Sie mögen vielleicht unsere griechischen Texte nicht verstanden haben: Die Melodien aber – die kennen sie. Es sind schließlich die Melodien Zyperns."
Das mit dem Bildgebungs-Radiospektrometer Moderate-resolution Imaging Spectroradiometer (MODIS) der NASA erzeugte Bild zeigt die Insel Zypern.
Vor zehn Jahren stand Zypern kurz vor der Wiedervereinigung.© picture alliance/dpa/NASA/Modis
Griechische und türkische Zyprioten friedlich vereint: Vor rund zehn Jahren sah es fast so aus, als ob daraus überall auf der Insel Realität werden könnte. Die Wiedervereinigung schien greifbar nah. Bis die griechischen Zyprioten beim Referendum mehrheitlich gegen den „Annan-Plan" stimmten, den vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan vermittelten Kompromiss. Aus der Traum. Angelos kann er es immer noch nicht fassen.
Angelos: "Es ist doch lächerlich: Meine Landsleute können mit allen möglichen Menschen friedlich zusammen leben, nur nicht mit den türkischen Zyprioten?! Das macht doch keinen Sinn. Ich meine: im Ausland, in den USA. Da kommen griechische und türkische Einwanderer wunderbar miteinander aus. Oder wenn sie in Großbritannien zusammen studieren: Auch kein Problem.
Nur in Zypern geht das nicht?! Das soll mir mal einer erklären. Ich rede jetzt von den ganz normalen Leuten, nicht von irgendwelchen Politikern und Militärs. Uns verbindet doch so viel mit unseren türkischen Nachbarn. Allein schon unsere gemeinsame Kultur. Ich verstehe wirklich nicht, warum wir nicht friedlich miteinander auskommen sollten."
So wie Angelos denken die wenigsten griechischen Zyprioten. Laut einer aktuellen Umfrage wollen zwei von drei von einer möglichen Wiedervereinigung nichts wissen.
Anders das Bild bei den türkischen Zyprioten: Im Nordteil ist eine knappe Mehrheit dafür die Schlagbäume abzubauen. Angelos schaut zu Antonis rüber; dem selbst ernannten "notorischen Optimisten". Sein Optimismus ist in der letzten Zeit auf eine harte Probe gestellt worden:
Antonis: "Ich glaube nicht, dass sich in nächster Zeit etwas tut. Es ist alles komplizierter geworden - nicht nur wegen der Finanzkrise. Viele meiner Landsleute haben Angst, dass die Türken ihnen die Jobs wegnehmen könnten. Zu allem Überfluss ist jetzt noch vor der Küste Zyperns Gas gefunden worden. Da gibt es auch Ärger: Griechen und Türken pochen darauf: Das gehört allein uns.
So ganz aber habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Wir müssen einen langen Atem haben. Vielleicht ist es das Beste, die Politik außen vor zu lassen – und auf persönliche Kontakte zu setzen. Unsere Band zum Beispiel: Wir haben Freunde auf der anderen Seite, wir machen gemeinsam Musik, mit jungen türkischen Musikern. Vielleicht kann daraus ja etwas wachsen."
Griechen und Türken zusammenbringen - das will am liebsten auch Antonis' Bekannte Ionna Philippou. Die junge Illustratorin betreibt zusammen mit ihrer Schwester Simone in einem der schöneren Vororte Nikosias "INTOTO", eine Mischung aus Designbüro und Galerie. In dem ehemaligen Warenlager zeugen filigrane Leinen-Malereien von Reisen nach Indien und eine rosafarbene 60er-Metallbox für ein Faible für österreichische Haselnusswaffeln.
Dass bei "INTOTO" alles so kosmopolitisch wirkt, ist kein Zufall. Ioanna hat in den USA Illustration studiert und als Designerin in Florida gearbeitet. Eine tolle Zeit, meint die aufgeschlossene Anfang 30-Jährige. Doch irgendwann wollte sie zurück nach Hause. Aus Heimweh.
Bereut hat sie ihre Rückkehr nicht. Es läuft ja auch nicht schlecht. Letztes Jahr wurde Ioanna eingeladen, bei einer Gruppenausstellung anlässlich des 40. Jahrestages des Bürgerkrieges teilzunehmen.
Ionna: "Das Thema lautete: Erinnerung. Der Krieg von 1974 ist ein großes Thema in den Schulen. Du wirst von klein auf damit bombardiert. Schon als Kind siehst du diese Bilder der Gefallenen und Verschwundenen. Das habe ich in meiner Karikatur aufgegriffen: da oben; die schwarz gekleideten Mütter. Sie suchen nach ihren verschwundenen Kindern."
Die Sprechblasen stehen für die bösen Gedanken, die wie ein Schleier über ihnen liegen. Die untere Hälfte des Bildes zeigt den Alltag heute. Kinder werden geboren. Junge Leute wie Simone und ich sitzen im Café - fast schon ein bisschen unbekümmert. Doch das täuscht. Der Krieg ist immer noch präsent. Die bösen Gedanken. Konstruktiv ist das nicht. Wir müssen schauen, dass wir uns mit den türkischen Zyprioten versöhnen."
"Langsam geht es in Zypern wieder bergauf"
Sonderlich lukrativ war die Teilnahme an der Sammelausstellung nicht. Doch Ioanna war das egal. Geld verdient die junge Frau mit dem schwarzen Haar mit anderen Sachen. Sie klickt auf ihren Mac.
Ein paar Sekunden später hat sie die Datei gefunden, nach der sie gesucht hat. Ihr neustes Projekt: Lauter bunte poppige Logos und Trickfiguren tauchen auf. Das alles ist für eine zypriotische Molkerei, die Bio-Produkte auf den Markt bringen will: Milch, Kefir, den berühmten Halloumi-Käse.
Ioanna: "Es läuft besser als letztes Jahr. Aber ehrlich gesagt: Die meisten unserer Kunden kommen gar nicht aus Zypern. Simone und mir war von Anfang an wichtig, dass wir unsere Kunden nicht nur zu Hause suchen. Nikosia ist ein super Standort, wir leben gerne hier, aber wir sind international aufgestellt. Das hat uns auch in der Krise geholfen.
Langsam aber geht es in Zypern wieder bergauf: Unsere Kunden kaufen zwar noch nicht im selben Umfang wie vor der Krise unsere Kunst, aber es wird mehr. Wir hatten im Dezember eine Show, da haben wir ganz gut verkauft. Das hat uns echt überrascht."
Das nennt sich Arbeitsteilung: Vorsichtig drückt Ionnas Schwester Simone die Drucker-presse nach unten, während Ionna gebannt zuschaut. Die beiden können sich ein Lachen nicht verkneifen. Das Ungetüm hat ihnen einen schlimmen Muskelkater eingebrockt.
Stolze zwei Tonnen wiegt die gusseiserne Presse aus dem Jahr 1846. Als sie vor ein paar Jahren aus Großbritannien angeliefert wurde, trommelten die Schwestern all ihre Freunde zusammen, um mitanzupacken. Der Aufwand hat sich gelohnt. Wenn man so will, ist die Druckerpresse ein Alleinstellungsmerkmal. Nur wenige auf Zypern stellen so filigrane Siebdrucke her wie Simone. Gerade bei Leuten in ihrem Alter kommt das gut an.
Simone: "Was positiv ist: In der letzten Zeit bekommen wir mehr und mehr Anfragen junger Kunden. Das hat zugenommen. Meist sind es Firmengründer, die ein Logo von uns wollen. Oder dass wir ihren Arbeitsplatz designen.
Es ist gut zu wissen, dass da eine neue Generation an den Start geht, die die Krise überwinden - und neue Jobs schaffen will. Du merkst, dass da was hinter steckt. Sie haben sich Gedanken gemacht. Sie wollen ihre Sache gut machen."
Ihre Sache gut machen will auch Simone. Letzte Woche erst war sie in London, um sich ein paar Ausstellungen anzuschauen. Sie inspiriert das: das internationale Flair an der Themse, die ganzen Museen und Galerien. Doch dort noch einmal leben, wie zu Studienzeiten: Das kommt für die junge Zypriotin nicht in Frage.
Simone: "Wenn es nach mir geht, bleibt unser Studio genau da, wo es ist. In den nächsten 50 Jahren soll es wachsen, langsam, Stück für Stück - und genau hier bleiben - in Nikosia."
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