Zwölf Anzeigen, aber keine Bestrafung

Jürgen Polzehl und Hajo Funke im Gespräch mit Ulrike Timm · 07.07.2011
Der Ausländerbeauftragte von Schwedt, Ibraimo Alberto, hat die Stadt aus Angst um seine Familie verlassen. Bürgermeister Jürgen Polzehl äußert sein Bedauern. Der Politikwissenschaftler Hajo Funke glaubt, dass in vielen ostdeutschen Gemeinden einfach nicht genug gegen den "Alltagsrassismus", der sich nach der Wende dort mit Hilfe einer "sehr aggressiven, neonazistisch inspirierten Jugendbewegung" breit gemacht habe, angekämpft wird.
Ulrike Timm: Ibraimo Alberto, gebürtiger Mosambikaner und bis vor ein paar Tagen ehrenamtlicher Ausländerbeauftragter der Stadt Schwedt in Brandenburg, hat resigniert. 21 Jahre hat er in Schwedt gelebt, war SPD-Stadtverordneter, engagiert im deutsch-polnischen Jugendclub, vom Bundesinnenministerium ausgezeichnet als Botschafter für Demokratie und Toleranz, aber: Dazugehört hat er nicht, meint er.

Die Pöbeleien bis hin zu Prügeleien, die ständig spürbare Fremdenfeindlichkeit, die war ihm einfach zu viel. Jetzt lebt er in Süddeutschland und versucht einen neuen Anfang.

Gestern sagte er in unserem Programm, er konnte einfach nicht mehr. Und der Bürgermeister sei ein lieber Mann, er habe aber nichts ausrichten können gegen das Schweigen, auf das er, Alberto, mit seinen Sorgen stieß, und deshalb hätten die, die gegen ihn seien, jetzt gewonnen. Soweit Ibraimo Alberto, und der Bürgermeister von Schwedt, Jürgen Polzehl, ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!

Jürgen Polzehl: Guten Morgen, Frau Timm!

Timm: Herr Polzehl, dass da was gründlich schiefgelaufen ist, wird niemand bestreiten. Was ist denn aus Ihrer Sicht gründlich schiefgelaufen?

Polzehl: Einerseits bedaure ich natürlich den Weggang, ich bin mit Alberto, also mit Ibraimo per du. Wir hatten ihn in oder er ist integriert in dieser Stadt, er wurde von den Bürgern gewählt in die Stadtverordnetenversammlung, und engagiert sich auch als Ausländerbeauftragter.

Es gab aber auch diese Beleidigungen, die wir ständig zur Anzeige gebracht haben, und wir haben gemeinsam im Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit gewirkt. Wir haben präventive Projekte aufgelegt, zum Beispiel "Vielfalt tut gut".

Timm: Aber anscheinend hat all das nicht genützt, dagegen anzukommen, dass er dann doch bespuckt, angepöbelt – die Worte möchte ich jetzt nicht benennen – wurde, anscheinend hat das nichts genützt.

Polzehl: Es war der Versuch, dass wir wirklich ein Zeichen gesetzt haben nach außen, denn Ibraimo als Ausländerbeauftragter hat ja gerade die Wirkung der Stadt nach außen vertreten, dass wir gerade mit jemand mit schwarzer Hautfarbe auch sagen: Wir stehen zu Ibraimo, wir stehen hinter ihm. Und das war ja ein Signal, mit dem wir auch ganz gut in diesem Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit solchen Sachen immer wieder entgegengewirkt sind.

Timm: Anscheinend hat dieses Signal aber ihn nicht mehr erreicht oder nicht mehr erreichen können, weil ihm zuviel passiert ist. Hätten Sie ihn als Bürgermeister nicht stützen können? Zum Beispiel durch eine feste Stelle – denn dass man es als Schwarzer in einer brandenburgischen kleinen Stadt superschwer hat, das wussten Sie ja.

Polzehl: Das ist richtig. Das ist auch der entscheidende Punkt, wo viele Leute versucht haben, für Ibraimo einen Job zu bekommen. Weil er war mit anderen Projekten eigentlich gut unterwegs, aber es gab diese Festanstellung eben nicht. Und hier sind viele Gespräche geführt worden, aber es kam dann letztendlich auch zu keiner Einstellung, und das ist der Vorwurf, wenn die Frage lautet: Was ist schiefgegangen? Dann war das genau dieser Punkt, den wir vielleicht nicht konsequent genug verfolgt haben.

Timm: Böse gesprochen müssen Sie ja keine Konsequenzen ziehen, denn es gibt keine Schwarzen mehr in Schwedt. Tun Sie es trotzdem?

Polzehl: Ja, natürlich wird es hier eine Auswertung geben. und ich denke, wir haben auch noch Mitbürger mit schwarzer Hautfarbe. Das ist doch klar, dass solche Ereignisse hier nicht spurlos vorbeigehen an der Tagespolitik.

Timm: Verzeihen Sie, das klingt für mich ein wenig nach Achselzucken, ist passiert, kann man nix machen, tut uns leid. Wie lässt Sie dieser Vorfall zurück?

Polzehl: Er macht mich sehr nachdenklich, weil auf der einen Seite haben wir wirklich gut zusammengearbeitet in dieser Stadt. Und wir haben Erfolge hinsichtlich einer toleranten, lebenswerten Stadt, und auf der anderen Seite ist ein Ereignis eingetreten, dass man dem Ausländerbeauftragten keine feste Arbeitsstelle geben konnte, er jetzt den Standort gewechselt hat und wir uns jetzt auseinandersetzen müssen, ob wir da alles getan haben, um ihn da noch mal umzustimmen.

Timm: Der Bürgermeister von Schwedt in Brandenburg, Jürgen Polzehl. Vielen Dank, Herr Polzehl! Und zugeschaltet ist uns jetzt der Politikwissenschaftler Hajo Funke. Herr Funke, wer im Fall Ibraimo Alberto wann wo wie in den letzten 21 Jahren Fehler gemacht hat, das können wir beide jetzt nicht klären. Aber eines fällt einfach auf: Solche Dramen gibt es immer wieder, und meistens spielen sie in Ostdeutschland. Und dann heißt es oft: Historisch bedingt leben da nicht so viele Ausländer, man sei sie dort einfach nicht so gewohnt. Reicht das als Erklärung?

Hajo Funke: Nein, das reicht natürlich nicht. Es ist so, dass wir in Ostdeutschland eine sehr schwierige Nach-Wende-Situation hatten, in der es eine sehr breite subkulturelle, sehr aggressive, neonazistisch inspirierte Jugendbewegung gegeben hat. Und die hat dazu beigetragen, dass der Alltagsrassismus – wie soll ich sagen – sehr präsent geblieben ist, insbesondere in Fußballstadien. Und der 12. März, wo ein Vorfall, den Sie auch beschrieben haben, stattgefunden hat, wo der eigene Sohn als Negerhurensohn beschimpft und mit Morddrohungen überschüttet worden ist, das hat Herrn Alberto gereicht und er gesagt, das ist zuviel. Das ist der Alltagsrassismus, der sehr gewalttätig in der Sprache, aber auch zuweilen in physischen Angriffen daherkommt.

Timm: Nun sind ja gerade Mosambikaner in Ostdeutschland gar nicht so unbekannt. Viele kamen als Vertragsarbeiter in die DDR – warum hat das trotzdem nicht geklappt mit der Integration, warum resigniert ausgerechnet jemand, von dem man meinte, sagen zu können: Na ja, der gehört wirklich dazu. Das hat ja anscheinend in einem Maße nicht gestimmt, was wirklich überaus bestürzend ist!

Funke: Ja, das ist ein Drama, und es ist hochtraurig. Und ich glaube, der Bürgermeister hat das indirekt auch ausgedrückt. Das ist eine Katastrophe für eine Integrationsarbeit, die in Brandenburg, wie überall in Ostdeutschland, sehr schwer ist. Wie gesagt, einen Kern für diesen Alltagsrassismus finden wir in den frühen 90er-Jahren, als er sich sehr, und auch sehr aggressiv, ausgebreitet hat. Und es gibt natürlich weitere Faktoren, nämlich eine gewisse Distanz und Isolierung der Vertragsarbeiter durch die Zeit der DDR, sodass zwar viele Mosambikaner da waren, aber sie doch sehr isoliert leben mussten.

Timm: Das heißt, sie waren da, und sie waren nicht da.

Funke: Genau.

Timm: Herr Funke, es ist objektiv und vielfach nachgewiesen für einen Schwarzen gefährlich, nachts zum Beispiel einen Bahnhof in Mecklenburg oder in Sachsen-Anhalt aufzusuchen, und das wissen wir seit Jahren. Und irgendwie ändert es sich seit Jahren nicht, warum?

Funke: Es gibt Möglichkeiten, dies zu ändern – und zwar dann, wenn sehr viel entschiedener das Schweigen, das Zuschauen, das De-facto-Zustimmen bei solchen Aggressionsakten verändert wird. Wenn das Schweigen aufgebrochen wird, wenn in der Situation gesagt wird, nicht mit uns in dieser rassistischen Gewaltsprache. Und wenn das vor Ort die Öffentlichkeit tut, wenn das die Presse tut, und wenn das der Bürgermeister tut, und wenn die Polizei dahinter ist und sagt: Ihr macht das nicht! Dafür gibt es Strafen! Und dies ist in Teilen Brandenburgs sehr wohl geschehen, sodass sie von Ort zu Ort unterschiedliche Eindämmungen dieses Alltagsrassismus haben. Und Schwedt ist da nicht sehr weit, offenkundig.

Timm: Das war ja auch, was Ibraimo Alberto uns gestern hier in der Sendung sagte, dass es vor allen Dingen dieses Schweigen war, was ihn fertiggemacht hat, dass er das als Zustimmung gedeutet hat – man sollte vielleicht noch einfügen, der Mann war Boxer, vor physischen Angriffen hat er sich nicht so gefürchtet, aber er hatte Angst um seinen Sohn, um seine Familie, um das ganze Klima, und er meinte: Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten! Das ist ein dermaßen resigniertes Fazit, dass man doch den Eindruck hat, diese Situation war zumindest für ihn unveränderbar.

Funke: Ja. Es ist für ihn eine wirkliche Tragödie, denn er galt und gilt als jemand, der kämpft, der sagt, ich will, dass wir uns sozusagen von gleich zu gleich begegnen, und er ist an dem Schweigen – und ich würde auch sagen, an der Angst der vielen, aufzufallen – gescheitert. Also, aufzufallen, zu sagen: Ich stehe auf der Seite dieses "fremden Schwarzen". Und das ist zu wenig geschehen. Das hat er ja sehr genau beschrieben. Zwölf Anzeigen, und keine hat zu einer wirklichen Bestrafung, Ahndung von Vorfällen geführt. Das ist ein Skandal auf der Polizei vor Ort!

Timm: Sie mahnen ja auch – wenn Sie sagen, es gibt Beispiele, wo es besser war – ein anderes Klima an. Wenn Sie fordern, Polizei, Verwaltung und auch der ganz normale Bürger, der sonntags auf den Fußballplatz geht, müssen zusammenhalten. Warum ist das so unglaublich schwer?

Funke: Wir müssen davon ausgehen, dass es diesen Alltagsrassismus seit den frühen 90er-Jahren verbreitet gegeben hat, so eine richtige Bewegung, dass er gesteuert war oder unterstützt, wie Sie wollen, von Neonazionalsozialisten, und dass er auf einen Resonanzboden stieß, der zum Beispiel sagt zu knapp 20 Prozent: Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten. Das ist das Milieu, gegen das dann sozusagen alles aufgeboten werden sollte, demokratisch, was in einer Kommune aufgeboten werden kann. Und wenn das über Dauer passiert, dann verändert sich in der Tat etwas, dann sagen sie in einem Fall in Brandenburg in einer Stadt, die Rechtsextremen: Da herrschen ja die linken Zecken, nur deswegen, weil die Öffentlichkeit sagt: Diesen Rassismus dulden wir nicht!

Timm: Ich bleibe mal bei ihrem schönen Wort Resonanzboden, diesen tendenziell fremdenfeindlichen Resonanzboden, den es in weiten Teilen Ostdeutschlands gibt. Begründen Sie den also nicht aus der Mentalität, sondern aus den Strukturen?

Funke: Weder Mentalität, noch Strukturen, sondern die Bewusstseinsverfassung der Leute, natürlich unterstützt durch die Erschütterungen, die sozialen Erschütterungen – das ist häufig so – der Nach-Wende-Zeit, wie gesagt, in den 90er-Jahren, die für viele Familien schwer aushaltbar waren und für die nächste Generation noch weniger. Und dann kamen eben Szenen, die sagten: Ich zeige euch, wogegen ihr eure Wut, eure Unzufriedenheit ausrichten könnt – gegen alle Ausländer. Und haben damit Neonaziargumente aufgegriffen.

Es ist ja ein Neonationalsozialismus im Hintergrund, im Untergrund. Und das macht es auch so schwer! Die Kader, die freien Kräfte tun, was sie wollen. Sie sind mal mit Gewalt und mal ohne Gewalt, aber ideologisch gewalttätig in ihrem ganzen Auftreten. Und das ist zu spät eingedämmt worden, in allen Ländern Ostdeutschlands. Und da, wo es besser geschehen ist, hat es auch Erfolge gehabt!

Timm: Der Politikwissenschaftler Hajo Funke zur Fremdenfeindlichkeit, die in Ostdeutschland immer wieder hohe Wellen schlägt. Ich danke Ihnen herzlich fürs Gespräch!

Funke: Bitte schön!

Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.


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