Zwischen köstlich und abscheulich

10.09.2009
Kiwi macht glücklich, rauchen dünn, Rotwein pustet die Adern durch und wer schon im Mutterleib mit einer Speise in Kontakt kam, bleibt ihr ein Leben lang treu. Was ist dran an den populären Mythen?
In ihrem Buch "Die Psychologie des Essens und Trinkens", das nach der gebundenen Ausgabe vor einigen Jahren nun im Spektrum Verlag als Taschenbuch erschien, geht die renommierte New Yorker Ernährungs- und Verhaltenswissenschaftlerin Alexandra W. Logue einer Vielzahl von Themen auf den Grund, über die alle ein bisschen, aber selten jemand etwas Verlässliches weiß.

Zum Beispiel: Warum eigentlich essen wir, was wir essen? Sind unsere Vorlieben erworben oder bereits in unseren Genen beschlossen? Quer durch die Kulturen, so weiß die Autorin zu berichten, liebt der Mensch Süßes. Schon Neugeborene reagieren auf ein Tröpfchen Zuckerwasser mit einem Ausdruck wohliger Zufriedenheit. Dennoch zeigen Zwillingsstudien keine Erblichkeit für Süßpräferenzen - ein Widerspruch, den die Forschung noch nicht zu erklären weiß. Salziges Wasser können erst vier Monate alte Säuglinge erkennen - und reagieren dann, wie übrigens auch Tiere -, mit einer starken Vorliebe dafür. Bald schon greifen kulturelle Einflüsse: Mit zwei Jahren haben Kinder gelernt, wie in ihrer Kultur mit dem Salzstreuer verfahren wird und lehnen übersalzene Speisen ab.

Viele Seiten widmet die Autorin den leidvollen Themen Bulimie, Magersucht, Alkoholismus und Rauchen. Lustvoller wird die Lektüre im Kapitel "Küche und Weinkeller". Nationale Küchen, so berichtet Alexandra Logue, bilden sich in Abhängigkeit einer Vielzahl von Faktoren heraus: Was lebt und wächst dort, wo die Menschen siedeln? Wie schwierig, wie unkompliziert lässt es sich beschaffen? Gibt es religiöse Vorbehalte gegenüber einer Speise? Mit ihrer Liebe zur Genauigkeit fördert die Ernährungswissenschaftlerin immer wieder Überraschendes zu Tage. So lässt sich die Heilighaltung der Kuh in Indien sehr profan erklären: Zum einen ist der Dung für die indische Landwirtschaft unverzichtbar. Zum Zweiten sind die herrenlosen Tiere so etwas wie die stille Reserve der Bauern: Stirbt ein wertvoller und umhegter Arbeitsochse, wird eine Kuh von der Straße geholt und sorgt für Nachwuchs. Und drittens liefern die heiligen Kühe nach ihrem Ableben Fleisch für die Kaste der Unberührbaren.

Alexandra Logue ist, auch wenn sie allgemein verständlich schreibt, Wissenschaftlerin durch und durch: keine Behauptung ohne Belege, keine Vermutung, ohne alternative Gedankengänge aufzuzeigen. Wem sich die Lektüre - was je nach Interessenlage bisweilen passieren kann - zu sehr in Detailaspekte verästelt, kann mit dem Fazit Vorlieb nehmen, das die Autorin leserfreundlich am Ende jedes Kapitels platziert. Schön, dass die fundierte Gesamtschau über die Psychologie des Essens und Trinkens nun als erschwingliches Taschenbuch zu lesen ist - eine unbedingte Empfehlung an alle, die sich das menschliche Futterverhalten einmal auf gehobenem Niveau genüsslich einverleiben möchten.

Besprochen von Susanne Billig

Alexandra W. Logue: Die Psychologie des Essens und Trinkens
Übersetzt von Constanze Vorwerg
Spektrum Akademischer Verlag
520 Seiten, 14,95 Euro