Zwischen Cloud-Computing und Startup

Von Michael Frantzen · 23.04.2013
Internationale Internet-Konzerne zieht es nach Finnland - allen voran Google, das dort ein Datenzentrum baut. Zugleich versuchen zahlreiche junge Startups sich am Markt zu etablieren und aus den Fehlern des einstigen Handygiganten und Vorzeigeunternehmens Nokia zu lernen.
Björklund: "Let me just open the computer … So: 10monkeys.com. And this is our front page ..."

Comic-Affen als kleine Mathe-Genies: Keine schlechte Idee, um Kinder davon zu überzeugen, dass Rechnen Spaß machen kann. Katri Björklund lächelt zufrieden in ihrem lichtdurchfluteten Büro über den Dächern Helsinkis, der finnischen Hauptstadt. Die Anfang 30-Jährige zeigt auf den Bildschirm ihres Laptops: Da! Das ist "Liisa", ihr Lieblingsaffe. Wenn man so will, ist das hellbraune Affenweibchen mit den Segelohren und Kulleraugen ihr virtuelles Baby, genau wie die neun anderen Affen der "10monkeys" – ihres jungen Startup-Unternehmens.

Björklund: "Mit 10monkeys wollen wir individualisiertes Lernen fördern. Das ist unsere Grundidee. Es ist längst erwiesen, dass jedes Kind sein eigenes Tempo hat. Durch digitale Lernprodukte wie unseres kann es das Tempo selbst bestimmen. 10monkeys ist eine spielerische Lernsoftware. Jeder Affe hat seinen eigenen Namen, seine eigene Geschichte. Das erleichtert den Kindern den Zugang. Wir haben bereits in der Testphase eng mit Lehrern und Schülern zusammengearbeitet. Sie fanden die 10monkeys ganz toll, auch die Lehrer: Unsere Software ist ja auch einfach zu bedienen, du musst nichts groß erklären. Und auf der Statistikseite kannst du sehen, wie jeder Schüler abgeschnitten hat."

Seit einem halben Jahr sind die "tenmonkeys" auf dem Markt, kümmern sich neben der Firmengründerin sechs Mitarbeiter darum, die zehn Affen möglichst populär zu machen.

Björklund: "”As you can see we have all the monkeys her in different posters.""

Die Affen-Poster an der Wand gibt es für die Schulen gratis dazu. So viel Marketing muss sein. Meint Katri Björklund – bevor sie die Eckdaten ihres digitalen Lernpakets wie auf Kommando abspult: Monatliche Kosten pro Schüler: Gut ein Euro 50; Große Schulen: bekommen einen Rabatt; Zahl der Nutzer: mehr als 20.000 Schüler. Und es sollen mehr werden: Neben Finnisch gibt es die "tenmonkeys" inzwischen auch auf Englisch: für den internationalen Markt. Von der globalen Ausrichtung des Startups zeugt auch ein wuchtiger Glasklotz im Regal neben den Postern, der sich bei näherem Hinsehen als "Innovationspreis des Saudi-arabischen Bildungsministeriums" entpuppt.

Björkland: "Wir waren in Saudi-Arabien auf einer großen internationalen Messe – zusammen mit 20 anderen finnischen Unternehmen aus dem Bildungsbereich. Unser Bildungssystem ist in Saudi-Arabien hoch angesehen. Weil wir so viel Wert auf individualisiertes Lernen legen. Und kritisches Denken fördern. Du sollst nicht einfach stur etwas auswendig lernen. Oder erwarten, dass der Lehrer dir die Antwort gibt. Das sollst du schon selbst tun. Für uns hat sich die Messe gelohnt: Wir haben dort einen Kooperations-Partner gefunden. Im Laufe des Jahres werden die 10monkeys auch in Saudi-arabischen Schulen eingesetzt. Wir lassen die Software gerade ins Arabische übersetzen."

Made in Finland
Eine digitale Erfolgsgeschichte made in Finland wie die der "tenmonkeys" – das ist auch ganz nach dem Geschmack von Elina Uutela. Die 24-Jährige studiert seit zwei Jahren Kommunikationswissenschaft an der angesehenen Aalto Universität in Espoo, der Nachbarstadt Helsinkis. Eigentlich, meint die Frau mit den schwarz-lackierten Fingernägeln und den schwarzen Chuck-Turnschuhen aus den USA – und hebt die Hände. Ihr Studium ist in der letzten Zeit etwas zu kurz gekommen – wegen der "Startup Sauna". Letzteres ist ein von Studenten ins Leben gerufenes Programm, das jungen Finnen dabei helfen soll, ein Startup zu gründen. Elina ist seit einem Jahr mit dabei. Fast täglich kommt sie in die umgebaute Backsteinhalle mit den verstellbaren Bürocontainern und bunt gemalten Leitungen am Rande des Campus; so wie an diesem sonnigen, kalten Morgen.

Uutela: "”As you can see: We also have a sauna container.""

Die Sauna darf nicht fehlen – in einem Land, in dem Geschäfte zuweilen schwitzenderweise besiegelt werden. Elina macht die Tür des vermeintlichen Schwitzkastens auf: Statt heißer Luft strömt eine Gruppe von vier Studenten heraus, alle ganz normal angezogen. Die Sauna ist eine Attrappe – und in Wirklichkeit ein Besprechungszimmer. Finnish sense of humor – finnischer Humor, meint Elina trocken. Besucher wundern sich da schon mal – so wie letztens die Delegation aus dem kalifornischen Silicon Valley.

Uutela: "Der Unterschied zwischen dem Silicon Valley und Finnland ist: Bei uns ist es nicht OK zu scheitern. Da heißt es sofort: ‚Oh! Du bist pleite gegangen?! Dann lass es lieber bleiben!‘ Das ist natürlich fatal. Es tötet jeglichen Unternehmergeist. Wir von der ‚Startup Sauna‘ versuchen das zu ändern. Wir haben ganz gezielt nach jungen Finnen gesucht, die mit einer Geschäftsidee gescheitert sind; es erneut versucht haben: Wieder gescheitert sind. Bis sie irgendwann die richtige Idee hatten und jetzt Riesenerfolg haben. Wir wollen zeigen: Du kannst aus deinen Fehlern lernen. Deshalb organisieren wir dieses Jahr auch zum dritten Mal am 13. Oktober den ‚Tag des Scheiterns‘. Einfach, um zu zeigen: Du bist nicht der einzige ‚Versager‘. Ist schon OK.”"

Schlechtes Vorbild: Nokia
Den letzten "Tag des Scheiterns" hat Elina mitorganisiert, genau wie im Dezember "Slush", die größte Startup-Konferenz Nordeuropas. 500 Jungunternehmer und 200 potenzielle Investoren kamen nach Helsinki. Auch der finnische Premierminister Jyrki Katainen zeigte Flagge. Der mit seinen 41 Jahren noch relativ junge Regierungschef pries sein Land als Standort für Startups und Risiko-Kapitalanleger gleichermaßen. Letztere erhalten Steuererleichterungen, die Startups wiederum können gleich eine Reihe von Fonds und Programmen anzapfen. Ins Leben gerufen hat "Slush" vor fünf Jahren Peter Vesterbacka von "Rovio", den Machern der "Angry Birds". Das Handy-Spiel mit den wütenden Vögeln ist ein Welterfolg. Experten schätzen den Wert Rovios auf gut sieben Milliarden Euro. Ab und zu, erzählt Elina, lässt sich Vesterbacka in der "Startup Sauna" blicken. Davon zeugen nicht zuletzt knallbunte, riesige Plüsch-Kissen in Form der "Angry Birds". Für die Studentin ist Rovio ein Vorbild. Anders als Nokia, das alte Vorzeigeunternehmen, das vor lauter Erfolg so satt wurde, dass es den Trend mit den Smartphones verschlief. Und jetzt bis Ende des Jahres allein in Finnland 3700 Stellen streichen muss. Elina schüttelt den Kopf – und zeigt aus dem Fenster nach links: Bis zum Hauptquartier des angeschlagenen Handyherstellers sind es keine zwei Kilometer.

Uutela: ""Wenn wir uns die finnische Startup-Szene anschauen: Ich denke, die Probleme, die Nokia hat, waren ein Weckruf. Wir können uns als kleines Land nicht einfach auf ein großes Unternehmen verlassen. Bis vor kurzem war es Nokia, davor waren es ein, zwei Unternehmen aus der Papier- und Metallindustrie. Wir haben lernen müssen: Um weltweit an der Spitze zu bleiben, müssen wir ständig neue Ideen entwickeln. Wer weiß: Vielleicht hätte Nokia seine Probleme besser in den Griff bekommen, wenn Finnland schon früher ein funktionierendes Startup-Ökosystem gehabt hätte. Was wäre gewesen, wenn sie ein paar junge, erfolgversprechende Startups hätten aufkaufen können? Wäre die Situation heute anders? Besser?"

Geht es Nokia schlecht, geht es Finnland schlecht: Die Faustregel gilt immer noch, auch wenn der Anteil des Handyherstellers am Bruttosozialprodukt innerhalb von zehn Jahren von 4 auf 0,5 Prozent gesunken ist. Im letzten Jahr schrumpfte die finnische Wirtschaft um 0,2 Prozent. Abhilfe schaffen sollen nicht zuletzt junge, wendige High-Tech-Unternehmen. "Flowdock" im Westen Helsinkis ist eines davon. Die Straßen hier sind gleichförmig, genau wie die Bürogebäude. Dafür sind die Mieten günstig, meint Firmengründer Otto Hilska am Eingang im dritten Stock, ehe er sich seinen Weg bahnt über eine Batterie leerer Pepsi-Flaschen und einem Haufen Schuhe. Schuhe aus: Das gehört sich so in Finnland. Der 28-Jährige ist das, was man in der Internet-Szene einen "Nerd" nennt: Ein Programmierer, der schon mit zwölf anfing, eigene Computerspiele zu entwickeln - und auf Äußerlichkeiten keinen Wert legt: Schlabberhose, Halbglatze, die Brille: ein älteres Modell. Alles nebensächlich. Denn Hilska lebt für sein Startup, mit dessen Software sich mehrere Programmierer gleichzeitig austauschen können, ohne dafür extra Eins-zu-eins miteinander kommunizieren zu müssen. Ein erfolgreiches Modell; so erfolgreich, dass "Flowdock" Anfang des Jahres vom US-Konkurrenten "Rally Software" aufgekauft wurde. Mit Amerikanern habe er nur gute Erfahrungen gemacht, betont Hilska.

Hilska: "Als wir vor ein paar Jahren unser Startup gegründet haben, haben wir gar nicht erst groß nach finnischen Investoren gesucht. Unsere Software-Dienstleistung ist sehr speziell. Entweder kannst du dir darunter etwas vorstellen oder nicht. Im Silicon Valley gibt es bereits eine Reihe erfolgreicher Software-Unternehmen wie unseres. Potenzielle Investoren können also vergleichen. In Finnland fehlt dieses Wissen. Aber es tut sich langsam etwas. Unsere Startup-Szene entwickelt sich. Finnische Startups wie unseres mussten sich ihr Startkapital noch im Ausland besorgen, aber je mehr wir werden, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass lokale Investoren einspringen. Und ausländische Risikokapital-Anleger nach Finnland kommen, um zu investieren. Tun sie auch schon. Das haben sie traditionellerweise vorher nicht getan."

Google baut ein riesiges Datenzentrum
Nicht nur ausländische Risikokapital-Anleger haben Finnland für sich entdeckt: Im März 2009 kaufte der Internet-Riese Google eine alte Papierfabrik in der rund 150 Kilometer östlich von Helsinki gelegenen Hafenstadt Hamina. Ziel ist dort ein Datenzentrum für das Cloud-Computing-Business, bei dem IT-Infrastrukturen über Netzwerke zur Verfügung gestellt werden zu errichten, das auch andere Internetdienste nutzen können. Bis Februar 2014 will das US-Unternehmen 350 Millionen Euro investieren. Gelockt haben Google Energiepreise, die um die Hälfte billiger sind als beispielsweise in Deutschland. Und dass es hier das ganze Jahr über kalt genug ist, um mit Meerwasser die gigantischen Rechner zu kühlen. Groß an die Glocke gehängt hat Google das alles nicht – im Gegenteil. Auf Verkehrsschildern rund um Hamina sucht man den Namen vergeblich, wer sich dem Werksgelände am Rande der Stadt nähert, wird vom hauseigenen Sicherheitsdienst in Empfang genommen. Kein Zutritt! Erst recht nicht für Journalisten: E-Mail-Anfragen bleiben unbeantwortet, telefonische verlaufen im Nichts.

In Hamina kennt man das schon. Die Geheimniskrämerei des Suchmaschinen-Monopolisten hat dazu geführt, dass die Gerüchte sprießen. Wie das, wonach Google angeblich Minen im Meer versenkt haben soll, um Fischer daran zu hindern, von der See aus auf das Gelände vorzudringen. Jan Sturgold hat auch schon davon gehört. Da ist nichts dran, wiegelt der Leiter von "Cursor" ab, der kommunalen Entwicklungsgesellschaft von Hamina und der Nachbargemeinde Kotka – und tippt sich an die Stirn. Für den gestriegelten Wirtschaftsmann ist Googles Präsenz Zeichen der neu gewonnenen Attraktivität der Region. Papier und Stahl – das waren traditionellerweise die wichtigsten Industrien hier. Doch in Zeiten der Globalisierung und EU-Wirtschaftskrise trägt das nicht mehr. 60.000 Industriejobs gingen in den letzten vier Jahren in Finnland verloren, darunter Tausende entlang der zerklüfteten Küste zwischen Hamina und Kotka. Aus der Misere helfen sollen neben Google nicht zuletzt Hersteller von Computerspielen. Ein zweites Rovio, warum nicht auch in der finnischen Provinz? Davon träumt Jan Sturgold. 20 Spielehersteller sind in den letzten zwei Jahren in Hamina und Umgebung an den Start gegangen – und haben mehr als 100 neue Arbeitsplätze geschaffen.

Sturgold: "Es gibt da eine Besonderheit, die uns von anderen Ländern unterscheidet. Ich habe mich intensiver mit britischen Computer-Spieleherstellern beschäftigt: Die schotten sich ab, keiner redet miteinander. Die haben alle Angst voreinander. Das ist bei uns in Finnland anders. Wir tauschen uns permanent aus: Kontakte, Erfahrungen, Wissen. Die finnischen Spielehersteller kommen sich kaum in die Quere. Unser Heimatmarkt ist zu klein, bleibt nur der internationale Markt. Und der ist groß genug für alle. Ich glaube, diese Offenheit ist ein Grund, warum finnische Spielehersteller so erfolgreich sind. Das entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie, weil: International gelten wir Finnen ja als verschlossen und wortkarg. Doch das stimmt nicht. Wir sind ziemlich gesprächig und tauschen uns aus."

Noch verdient das Gros der finnischen Computerspiele-Hersteller sein Geld mit Spielen, die eher zerstreuen sollen. 165 Millionen Euro waren es 2011, 2012 soll nach Schätzungen die 200-Millionen-Marke geknackt worden sein. Nicht die schlechtesten Aussichten für die finnische Startup-Szene.