"Zwischen blutigen Bildern herrschte eine ungeahnte Heiterkeit"

Von Ulrich Breitbach · 13.09.2010
Ernst Jünger, der 1998 im Alter von fast 103 Jahren starb, war ein hoch geehrter, aber über den Tod hinaus auch äußerst umstrittener Schriftsteller. Heute vor 90 Jahren erschien sein Rückblick auf den Ersten Weltkrieg, an dem er als Stoßtruppenführer beteiligt war.
"Endlich kam der ersehnte Befehl. Wir zogen in langer Reihe nach vorn, von wo verschwommenes Gewehrfeuer prasselte. Es wurde Ernst. Um Wasser flehende Verwundete kauerten am Straßenrand. Rechts und links stampften Granaten den weichen Boden. Mitten im Weg lag ein totes Pferd mit riesigen Wunden. Zwischen den großen und blutigen Bildern herrschte eine wilde, ungeahnte Heiterkeit."

Faszination empfand der Kriegsfreiwillige Ernst Jünger im April 1915 in seiner ersten Schlacht. Seine Erlebnisse verarbeitete er in einem Buch, das am 13. September 1920 unter dem Titel "In Stahlgewittern" erschien. Es war im Wesentlichen eine hymnische Feier des Krieges. Kriegsursachen und Kriegsziele - etwa der von Deutschland beabsichtigte Griff nach dem nordfranzösischen Erz - blendete der Leutnant Jünger völlig aus. Er sah im Krieg die mystische Begegnung mit archaischen Kräften, die er sakral stilisierte.

"Es war eine Einweihung, die nicht nur die glühenden Kammern des Schreckens öffnete, sondern auch durch sie hindurchführte."

Selbst der Tod war hier kein Verrecken im Schützengraben, sondern die Erfahrung höchster Erfüllung:

"Nun hatte es mich endlich erwischt. Als ich schwer auf die Sohle des Grabens schlug, hatte ich die Überzeugung, dass es unwiderruflich zu Ende war. Und seltsamerweise gehört dieser Augenblick zu den ganz wenigen, von denen ich sagen kann, dass sie wirklich glücklich gewesen sind. In ihm begriff ich, wie durch einen Blitz erleuchtet, mein Leben in seiner innersten Gestalt."

Die rechtsradikalen Kräfte in der Weimarer Republik zollten dem Werk rasch Anerkennung. Josef Goebbels notierte 1926:

"Ein glänzendes, ein großes Buch. Einer aus der jungen Generation ergreift das Wort über das tiefe seelische Ereignis Krieg und verrichtet Wunder innerer Darstellung."

Ernst Jünger war ein entschiedener Gegner der Demokratie von Weimar. Hitler hat er als "nationalen Führer" begrüßt. 300.000 Exemplare seiner Weltkriegserinnerungen wurden bis 1943 in Deutschland verkauft, der Autor arbeitete "In Stahlgewittern" noch mehrmals um. "Sachliche Freude an der Gefahr" und "ritterlicher Drang zum Bestehen eines Kampfes" – diese Ideale hat er darin propagiert. Sie halfen den Nationalsozialisten, die Jugend auf den nächsten, noch schrecklicheren Weltkrieg abzurichten.

Wegen der rassistischen Verfolgung der Juden ging Jünger ab 1938 auf Abstand zu Hitler und veröffentlichte ein Jahr später unter dem Titel "Auf den Marmorklippen" eine Erzählung, die vielfach als verschlüsseltes Dokument der Opposition gegen die Tyrannei gelesen wurde. Doch sein Verhältnis zu den Nazis blieb zwiespältig, wie ein Interview aus dem Jahr 1985 zeigt:

"Natürlich war eine Reihe von sehr guten Gedanken da. Deshalb hatten sie auch den großen Zulauf. Zum Beispiel. dass sie die Folgen des Versailler Vertrages weitgehend rückgängig machen wollten. Das leuchtete mir natürlich ein."

Später hat er sich auch von den "Stahlgewittern" distanziert und sie als eine Art Jugendsünde betrachtet:

"Ja, für mich gewinnt das zunehmend historischen Charakter. Und das ist auch das Angenehmste, was man darüber sagen kann. Ich war ja 23 Jahre alt, als ich mit den Stahlgewittern abschloss."

Bis ins hohe Alter blieb Ernst Jünger literarisch produktiv, veröffentlichte Tagebücher, Essays und erzählende Schriften. Demokrat ist er auch nach 1945 nicht geworden, sondern fühlte sich der bis 1918 in Deutschland herrschenden Monarchie verbunden. In einem Interview mit dem SPIEGEL erklärte er 1982:

"Meine Frau und ich, wir sind loyale Bundesbürger, aber keine begeisterten. Für uns ist das Deutsche Reich die Realität."

Ungeachtet dessen ist er in seinen letzten Lebensjahrzehnten hoch geehrt worden, erhielt das große Bundesverdienstkreuz ebenso wie den Goethepreis der Stadt Frankfurt. Kritiker rühmten seine sprachliche Brillanz, die bereits in den "Stahlgewittern" aufschien, und seinen "stereoskopischen Blick," der hinter den Erscheinungen deren Wesen sichtbar mache. Politische Repräsentanten wie Helmut Kohl und François Mitterand gaben sich bei ihm die Klinke in die Hand. Sie bewunderten im Hochbetagten den "Zeugen des 20. Jahrhunderts" – und blickten darüber hinweg, dass er als Propagandist des Krieges auch Täter gewesen ist.