Zwischen Blankoscheck und Aderlass

Wer sind die Player im Schuldengeschäft?

Schulden und Kredite - gibt es klare und nachhaltige Regeln?
Schulden und Kredite - gibt es klare und nachhaltige Regeln? © dpa/Ralf Hirschberger
Von Kristina Hille · 27.09.2016
Nicht tragfähige Verschuldung ist eines der größten Probleme der ärmsten Länder der Welt. Mit der Wirtschafts- und Finanzkrise rückte die Problematik der exorbitanten Staatsverschuldung auch in die Perspektive europäischer Politik. Was läuft da eigentlich im Kreditgeschäft? Und was läuft falsch?
Entschuldungen hochdefizitärer Staaten werden bisher nicht nach einem klaren internationalen Regelwerk - vergleichbar mit einem zivilrechtlichen Insolvenzverfahren - verhandelt. Die Verhandlungen unterliegen keiner unabhängigen Instanz. Je nach Fall wird unterschiedlich entschieden, meist nach den Regeln der Gläubiger – Banken und Fonds und IWF sind die großen Player.
Betroffene Länder sind teilweise jahrzehntelang dem Schuldendienst verpflichtet, die wirtschaftliche Erholung wird erschwert oder unmöglich gemacht. Spekulationen mit den Schulden verschlimmern die Situation. Der Versuch, ein internationales Staateninsolvenzrecht zu etablieren, ist bisher gescheitert. Kleine Fortschritte gibt es jedoch: Belgien hat ein Anti-Geierfonds-Gesetz verabschiedet.

Mauretanien. Auslandsschuldenstand: 3,5 Milliarden US-Dollar. Überschuldungsrisiko laut IWF: höchste Stufe.
Ghana. Auslandsschuldenstand: 17 Milliarden Dollar. Überschuldungsrisiko laut IWF : höchste Stufe.
Tadschikistan. Auslandsschuldenstand: 4 Milliarden Dollar. Überschuldungsrisiko laut IWF: höchste Stufe.

Für überschuldete Privatpersonen und Unternehmen gibt es in Deutschland seit den 1990er-Jahren eine Insolvenzordnung. Damit wurde erstmals möglich, dass Menschen nicht lebenslang ohne Perspektive an der Pfändungsgrenze verharren müssen. Der Schuldner muss in der Regel sechs Jahre am Limit leben, Einnahmen, die über das Existenzminimum hinausgehen, bekommen die Gläubiger. Danach kann der schuldenfreie Neustart beginnen.

Keine Insolvenzordnung für verschuldete Staaten

Für Staaten gibt es kein vergleichbares Verfahren, mit der Folge, dass in manchen Ländern Dauerkrise herrscht, weil sie zur Zahlung der alten Schulden immer weiter Kredite aufnehmen müssen. Ein Neustart wird so verhindert, obwohl die Staaten für die Ableistung des Schuldendienstes gravierende Einschnitte im Gesundheitswesen und anderen elementaren Bereichen vornehmen.

Senegal. Auslandsschuldenstand: 5,6 Milliarden Dollar. Über 20 Jahre Dauerschuldenkrise, permanente Schuldenverhandlungen mit den Gläubigern. Seit der globalen Finanzkrise sinkende Einnahmen. Steigendes Armutsrisiko, bei weiterem Schuldendienst.

Matthias Weik: "Wir sehen seit mehreren Jahren, dass Griechenland einfach pleite ist, es gibt keinen Superlativ von Pleite, es ist die größte Insolvenzverschleppung der Geschichte. Wir brauchen natürlich eine Insolvenzordnung, auch in Zukunft werden wir auch in Deutschland Banken sehen, die massiv in Schieflage geraten werden."
Marc Friedrich: "Ja, um das zu umgehen, dass wieder die Steuerzahler die Banken auffangen müssen, muss eine Insolvenzordnung für Banken, aber auch für Staaten endlich kommen, damit wir hier nicht wieder vor unlösbaren Problemen stehen."
Seit langem schon warnen Marc Friedrich und Co-Autor Matthias Weik vor einem neuen Finanz-Desaster. Mit Titeln wie "Der Crash ist die Lösung" oder "Kapitalfehler" landen sie regelmäßig auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Friedrich sagt, nach der Finanz und-Bankenkrisen habe es keinen Paradigmenwechsel gegeben. Nach wie vor habe die Finanzwirtschaft die Politik fest im Griff.
Friedrich: "Jeder Staat finanziert sich über Steuereinnahmen der Bürger auf der einen Seite und über Schulden. Die Schulden der Staaten, die Staatsanleihen, werden zu 99 Prozent aufgekauft, von Investmentfonds, von Versicherungen, von Banken."
Das Bundesfinanzministerium möchte zum Thema Fonds, Staatsanleihen und Insolvenzverfahren kein Interview geben, antwortet aber schriftlich auf Fragen.
"Die Bundesrepublik Deutschland refinanziert sich fast ausschließlich über Inhaberschuldverschreibungen, wie Bundesanleihen, Bundesobligationen, Bundesschatzbriefe und Unverzinsliche Schatzanweisungen. Bundeswertpapiere werden größtenteils in Auktionsverfahren begeben, in denen die beteiligten Banken der 'Bietergruppe Bundesemissionen' Bundeswertpapiere erwerben und diese in der Regel anschließend weiterverkaufen. Die Gläubiger der Bundeswertpapiere können daher weltweit gestreut sein und sind dem Bund nicht im Einzelnen bekannt."
Das Geschäft mit den Schulden ist unübersichtlich.
Das Bild zeigt den Schriftzug "Schulden", gebaut aus Scrabblesteinen.
Das Geschäft mit den Schulden ist unübersichtlich.© dpa / picture alliance / Jens Büttner

Fonds sind die Big Player im Schuldengeschäft

Kronberg im Taunus. Hier hat sich vor über 100 Jahren die Bankiersfamilie Mumm eine neobarocke Villa errichten lassen. Vor dem palastartigen Gebäude erstreckt sich ein großer Park, mit Blick auf die Bankenskyline in Frankfurt am Main. Heute ist die Villa Sitz der deutschen Niederlassung der Investmentgesellschaft Fidelity International. Fidelity heißt so viel wie Treue oder Ehrlichkeit.
Fonds gehören zu den einflussreichen Playern im Geschäft mit den Schulden. Aber sie reden nur ungern darüber, auf Anfragen erhält man keine oder abschlägige Antworten. Bei Fidelity ist man zum Interview bereit. Aktien, Anleihen, Mischfonds – das Angebot ist umfangreich.
Torsten Barnitzke, Sales Director Bank Distribution wirbt damit, dass Investmentfonds das Risiko streuen, weltweit in verschiedene Anlagen, wie Staatsanleihen oder Aktien investieren, und er erklärt den Vorteil des sogenannten aktiven Fondsmanagements.
"Dass Sie einen Portfoliomanager haben, der nicht nur in den Markt investiert, in den Index, der die Titel kauft, die man kennt, sondern eben über die eigenen Analysten den Markt bewertet, die Wachstumsaussichten, die Bilanzqualität und dann die aussichtsreichsten Titel auswählt."
Fonds werben auch mit dem Insolvenzschutz. Das Fondsvermögen der Anleger wird als Sondervermögen bei einer Depotbank aufbewahrt, der sogenannten Verwahrstelle, getrennt vom Geschäftsvermögen der Fondsgesellschaft also. Natürlich ist die Investition damit nicht gegen Anlage-und Marktrisiken geschützt. Es bedeutet nur: Geht die Gesellschaft oder Depotbank pleite, wird das Sondervermögen nicht Teil der Konkursmasse, die unter den Gläubigern verteilt wird.
"Wir haben eine Depotbank, da sind unsere Fondsanteile. Wichtig ist, dass es nicht im Vermögen von Fidelity ist, sondern separiert ist, in einer separaten Depotverwahrstelle, einer separaten Bank. Das sind Anteile, insofern gilt der Insolvenzschutz. Wir haben mit der FFB auch eine Fondsplattform, wo sie die Fondsanteile verwahren können."
Die FFB, das ist die hauseigene Fondsbank. Die Kunden, die in einen Fonds investieren, überlassen den Einfluss auf die Auswahl der Wertpapiere und Mitspracherechte dem Fondsmanager.
Max Otte: "Wenn Sie eine Einzelaktie kaufen, dann dürfen Sie theoretisch zur Hauptversammlung, dürfen sich dort auf Rednerlisten schreiben lassen, und können mitstimmen, wenn Sie das im Fonds machen, dann delegieren Sie das."
Max Otte hat 2006 das Buch "Der Crash kommt" veröffentlicht, ein Jahr vor der Finanzkrise. So wurde er einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Otte ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Fondsmanager. Er leitet den Vermögensbildungsfonds AMI und den Investmentfonds PI Global Value. Max Otte ist sozusagen Fonds-Mittelständler.

"Die Finanzlobby ist die mächtigste Lobby der Welt"

Die großen Player unter den Investmentfonds werden vertreten durch den Bundesverband Investment und Asset Management e.V., kurz BVI, mit Sitz in Frankfurt am Main.
Friedrich: "Die Finanzlobby ist die mächtigste Lobby der Welt, die investieren jedes Jahr 300 Millionen Euro in die Arbeit in Brüssel und in Frankfurt, um die Politik zu beeinflussen."
Mitglied des BVI sind die großen multinationalen Finanzkonzerne, auch Goldman Sachs, JP Morgan, Bank of America, die Deutsche Bank, BlackRock und Fidelity international.
Friedrich: "Wir reden nicht von der Volksbank um die Ecke. Und die machen dann Politik in Deutschland, über diesen Lobbyverband, da werden internationale Interessen weitergetragen ins Parlament, bis nach Berlin."
Neben den 40 Verwahrstellen bei Depotbanken gibt es auch eine sogenannte Zentralverwahrstelle. Dies ist die Deutsche Börse Tochter Clearstream International SA, mit Sitz in Luxemburg und die Clearstream Banking AG, Frankfurt. Anteile an der Deutschen Börse AG haben unter anderen: Ivesco, Franklin Mutual Advisers und BlackRock.
Werbung Fidelity:
"Es gibt Ideen, die selbst nach Jahrhunderten nichts von ihrem Charme verloren haben. So ist es auch bei Fonds. Abraham van Ketwich rief 1774 die erste Interessengemeinschaft ins Leben. Das Solidaritätsprinzip, das sich in vielen Bereichen der Gesellschaft bewährt hat, bietet auch beim Sparen viele Vorteile."
Eine Passage aus dem Pocket-Guide von Fidelity. Das klingt nach Solidargemeinschaft und kollektivem Sparstrumpf. Doch Direktinvestitionen kleiner Sparer sind bei Investmentfonds in der Minderheit, vor allem werden dort ganze Bündel von institutionellen Geldern angelegt und Fonds erlangen damit, wie Banken, Systemrelevanz.
In der Zeitung finden sich die Konditionen zum Beispiel von Bundesanleihen - und die Angaben zum Rating.
Konditionen von Anleihen in einer Zeitung.© picture alliance / dpa / tmn / Kai Remmers
Der BVI, der Interessenvertreter der Branche, sagt ein vereinbartes Interview ganz kurzfristig ab, beantwortet schriftlich einige Fragen. Zum Beispiel die nach den Anlegern.
"Die Fondsbranche verwaltet ein Vermögen von 2,8 Billionen Euro für private und institutionelle Anleger auf dem deutschen Markt. Davon entfallen 1,5 Billionen Euro auf Spezialfonds, ausschließlich für institutionelle wie Versicherungsunternehmen, Pensionskassen und andere Altersvorsorgeeinrichtungen, 418 Milliarden Euro auf freie Mandate, praktisch auch institutionelles Geschäft und 889 Milliarden Euro auf Publikumsfonds, die von Privaten und Institutionellen gekauft werden können; der Großteil aber sind Private."
Sofern dies in den Anlagebedingungen vorgesehen ist, dürfen Wertpapierfonds Aktien und Anleihen aus dem Sondervermögen im Wert von bis zu zehn Prozent des Fondsvermögens für einen befristeten Zeitraum an Dritte verleihen.
"Die Wertpapierleihe ist ein übliches Verfahren, um für die Fondsanleger einen Zusatzertrag zu erzielen."
Durch die vielen verschiedenen Stationen im Geldkarussell verliert man leicht den Überblick.

Hedgefonds als Schuldenspekulanten

Torsten Barnitzke: "Wer sonst noch Investor ist neben mir, das können wir nicht genau sagen, was wir sagen können ist, dass circa 60 bis 65 Prozent des Investments über Banken vertrieben werden und 25 Prozent über Versicherungen und Finanzmakler und der Rest über weitere Institutionelle. Wer genau dahinter steckt, das wissen wir nicht, denn wir vertreiben unsere Produkte ja über eine Bank, und welchen Kunden die Bank beraten hat, wer unseren Fonds gekauft hat, das dürfen wir gar nicht wissen, das ist ja ganz klar, das ist ja das Bankgeheimnis."
Erklärt Torsten Barnitzke, Sales Director Bank Distribution bei Fidelity.
Durch die Auslagerung in verschiedene Finanzplätze kommen außerdem mehrere Aufsichtsbehörden ins Spiel, mit unterschiedlichen Standards. Max Otte zu den von ihm verwalteten Fonds:
"Es gibt einen Vermögensverwalter, der hat die Lizenz gegenüber den Aufsichtsbehörden und es gibt eine Fondsgesellschaft, die ist auch den Aufsichtsbehörden verantwortlich. Beim PI Global Value ist die Crediinvest der Verwalter, die Fondsgesellschaft ist die Independent Fund Management und die Depotbank ist die Neue Bank in Liechtenstein."
Friedrich: "Alle großen Finanzinstitute haben ihre Finger im Spiel, diejenigen, die aber am richtig großen Rad drehen, das sind die Hedgefonds, das sieht man schon allein daran, dass die Chefs und die Manager ein bis vier Milliarden pro Jahr verdienen können, da muss man sich überlegen, welche Summen die insgesamt bewegen, dass sie solche Gehälter verdienen können."
Marc Friedrich, Buchautor und Finanzexperte.
Bodo Ellmers: "Hedgefonds oder Geierfonds sind keine Investoren, die einem Staat Geld geliehen haben, sondern hier handelt es sich um Spekulanten, die auf den Finanzmärkten Schulden von Pleitestaaten billig aufkaufen, und dann auf dem Rechtsweg versuchen, die Zahlung des vollen Schuldenbetrags zu kriegen."
Bodo Ellmers, Mitarbeiter des europäischen Dachverbandes der Entschuldungsinitiativen Eurodad, empört sich über das Geschäftsmodell der Geierfonds.
"Statt dem Schuldner zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen, wird dieser Schuldner quasi ausgeweidet. Dann lässt man die abgenagten Knochen liegen, um sich den nächsten Schuldner vorzunehmen, daher auch der Name Geierfonds, das ist das Geschäftsmodell, ein extrem unverantwortliches Spekulationsmodell."
Blick auf Anzeigetafeln in der griechischen Börse in Athen.
Blick auf Anzeigetafeln in der griechischen Börse in Athen.© picture alliance / EPA / Orestis Panagiotou
Auch über Griechenland kreisten die Geier. Bodo Ellmers nennt ein Beispiel.
"Dann gibt es immer interne Abstimmungen unter den Haltern einer bestimmten Anleihe, ob man an einer Schuldenrestrukturierung teilnimmt oder nicht und Hedgefonds haben dafür gesorgt, dass die Anleihen unter englischem Recht nicht eingebracht werden konnten. Sehr aktiv auf Seiten der Hedgefonds war da vor allem Dart Management, die sehr stark in diese Anleihen investiert hatten."
Die sogenannten Holdout-Bondholders wurden 2012 mit rund 430 Millionen Euro ausbezahlt, 90% kassierte Dart. Hätten sie sich an der Lösung der Griechenlandkrise beteiligt und mit den anderen Gläubigern an einen Tisch gesetzt, dann hätten auch sie auf Forderungen verzichten müssen, wie alle anderen Gläubiger.
"Ein funktionierendes Insolvenzregime wäre der bestmögliche Schutz vor dieser Art von Investoren."
Die Griechenlandrettung wäre für den Steuerzahler wesentlich günstiger ausgefallen.

Geordnetes Staaten-Insolvenzverfahren zur Entschuldung nötig

Jürgen Kaiser: "Wenn wir darüber reden, dass wir eine kohärente Lösung brauchen, dann muss man tatsächlich alle Forderungen auf den Tisch legen, sonst schafft man free rider, Geier und andere, die dadurch profitieren, dass kooperative Gläubiger auf etwas verzichten."
Jürgen Kaiser von "Erlassjahr". Das Bündnis engagiert sich für Schuldenerlass und für eine verantwortliche Kreditaufnahme und –vergabe.
"Bei einer privaten Insolvenz würde kein Insolvenzrichter auf die Idee kommen, zu sagen, wir stellen die Solvenz wieder her, indem wir den Gläubiger zur Kasse bitten, den anderen lassen wir laufen. Das wäre vollkommen irrsinnig."
Bei einem geordneten Staateninsolvenzverfahren wäre es unmöglich, dass einige Gläubiger sich einfach weigern mitzumachen. Bisher existiert eine derartige Regelung aber nicht, das gibt Anreiz zu unverantwortlichem Verhalten, um höhere Gewinne einzufahren. Wenn alles schief läuft, dann springen ja die Steuerzahler ein.
"Als Frau Merkel und wenige andere die Entscheidung getroffen hatten, wir lösen diese Krise nicht, wir finanzieren sie, wir refinanzieren den privaten Schuldendienst der Griechen an die privaten Gläubiger, von dem Moment hat ein Prozess eingesetzt, der dazu geführt hat, dass die Privaten ausbezahlt wurden und die griechischen Schulden von den Privaten auf die öffentlichen Gläubiger verlagert wurden sind."
In einem rechtstaatlichen Verfahren dürften sich Gläubiger außerdem nicht das Gewand des Richters anziehen und darüber urteilen, wie viel ein Schuldner zahlen kann.
"Das wäre gar nicht vorstellbar, dass jemand, der selber Gläubiger ist, gutachtet, ob der Schuldner zahlen kann, das ist irrsinnig, aber unter Staaten wird es gemacht."

Es fehlt eine unabhängige Instanz für Schuldenumstrukturierung

Momentan verläuft eine Schuldenumstrukturierung völlig ungeordnet, es gibt keine unabhängige Instanz, bei der ein Schuldner seine gesamten Schulden in einem Prozess mit den Gläubigern verhandeln kann. Die privaten Schulden, wie Anleihen, muss der Schuldner mit verschiedenen Anleihehaltern verhandeln, bei öffentlichen Schulden mit dem Pariser Club oder dem IWF.
Bodo Ellmers: "Diese Fragmentierung führt dazu, dass sich die Lösung von Schuldenkrisen über Jahre hinwegziehen kann, weil mit verschiedenen Gläubigergruppen verhandelt werden muss."
In der Griechenlandkrise weigerten sich die Geier nicht nur, überhaupt an der Verhandlung teilzunehmen, sie mussten die Schuldner nicht einmal auf Rückzahlung ihrer Schulden verklagen, da sie sich staatlicher Hilfen sicher waren.
Ellmers: "Das war für die Geier gar nicht nötig, vor Gericht zu ziehen, sondern sie sind einfach mit den Krediten, die Griechenland von der EU, dem IWF bekommen hat, ausgezahlt worden."
Das Logo des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Das Logo des Internationalen Währungsfonds (IWF).© picture alliance / dpa / Jim Lo Scalzo
Um auf keinen Fall Verluste zu machen, wollen Geier ein internationales Insolvenzverfahren mit allen Mitteln verhindern.
Max Otte: "Wenn ein Staat insolvent ist, dann gibt es auch jetzt schon Verhandlungen, der Stärkste setzt sich durch und das ist in der Tat vielleicht besser, das in einem ordentlichen Verfahren zu regeln, natürlich auf Kosten der Sparer und Geldvermögensbesitzer, aber in der Situation sind wir, da kommen wir auch anders nicht mehr raus."

Zu niedrige Zinsen, zu billiges Geld

Friedrich/Weick: "Die aktuelle Krise entstand durch zu niedrige Zinsen und somit zu viel billigem Geld. Bekämpft wird diese Blase mit weitaus mehr billigem Geld und historisch niedrigen Zinsen. Dadurch entsteht aktuell eine weitaus größere und noch bedrohlichere Blase — die Staatsanleihenblase. Die Frage ist nicht, ob diese Blase platzt, sondern wann."
Schreiben die Autoren Friedrich und Weik auf ihrer Webseite.
Die Zinspolitik in den reichen Ländern hat auch Auswirkungen auf arme Länder. Denn niedrige Zinsen stellen für alle, die Zahlungsverpflichtungen übernommen haben und diese durch Kapitalerträge finanzieren müssen, etwa Pensionsfonds, ein großes Problem dar. Infolge dessen investieren viele Fonds wieder vermehrt in den sogenannten globalen Süden.
Kaiser: "In diesem Kontext ist es dann für solche Investmentfonds attraktiv, die können gar nicht anders, als ins Risiko zu gehen und zu sagen, okay, Ghana bietet uns 7%, dann investieren wir eben nicht in italienische oder französische, sondern in ghanaische Staatsanleihen."
Das Sparbuch ist out. Zinsen ebenfalls. Also werden auch traditionelle Sparer zunehmend dazu aufgefordert ihr Geld nicht mehr direkt bei der Bank anzulegen, sondern in Fonds zu investieren. Investiert wird auch in Anleihefonds, auch in Schwellenländern.
Barnitzke: "Und wir hoffen, dass wir das Geld zurückbekommen, wir bekommen höhere Renditen, als wir sie vielleicht bei deutschen Schuldnern bekämen, da ist auch das aktive Fondsmanagement gefragt, zu schauen, in welcher Verfassung ist das Land, kann es auch künftig die Schulden und auch die Zinsen bezahlen, täglich zu analysieren, was sie als Privatperson nicht tun können, das ist auch ein Vorteil von Fidelity, weil wir eben die Analysten direkt vor Ort haben."

Fonds müssen Rendite bringen

Der Fonds muss Rendite bringen, um seine Kunden zufriedenzustellen. Immer mehr Bürger zahlen in Fonds ein, sparen beispielsweise für die Altersvorsorge. Laut BVI haben 50 Millionen Deutsche investiert.
"Entweder direkt mit so genannten Publikumsfonds etwa über Fondssparpläne und staatlich geförderte Riester-Fondsverträge oder indirekt etwa über Versicherungen und Versorgungswerke, die wiederum in so genannte Spezialfonds investieren."
Am Ende schüttet der Fonds eine Dividende aus, die wird größer oder kleiner ausfallen. Das hängt auch davon ab, inwieweit der Fonds ins Risiko gegangen ist.
Kaiser: "Wenn er nicht ins Risiko gegangen ist, dann underperformed er, das heißt, die Rendite, die sie da kriegen, ist geringer als beim Konkurrenzfonds."
Auch Fidelity will höchstmögliche Rendite erzielen, um die Anleger zufriedenzustellen.
"Wir haben eine Vielzahl von Fonds, die besser sind als der jeweilige Index. Wir sagen, dass wir den Anspruch haben, den Index, also den Markt zu übertreffen, besser zu sein und damit einen Mehrwert für den Kunden darstellen zu können."
Kaiser: "In dieser Situation fließt seit etwa 2011, 2012 in großem Stil Geld in eine Reihe von Ländern, von denen man vor 10 Jahren noch gesagt hätte, sie sind nie und nimmer kreditwürdig. Länder haben unter dem Anlagedruck in den reichen Ländern sich Kredite teilweise im wahrsten Sinne des Wortes aufschwatzen lassen."
50.000 Demonstranten gingen 2010 in Dublin gegen den Rettungsplan für die Banken und das Austeritätsprogramm auf die Straße.
50.000 Demonstranten gingen 2010 in Dublin gegen den Rettungsplan für die Banken und das Austeritätsprogramm auf die Straße.© imago/GranAngular
Für viele Länder des globalen Südens wird die exorbitante Verschuldung in dem Moment zum Problem, in dem die Zinsen wieder steigen und das Geld abfließt, dann geraten diese Länder erneut in eine massive Schuldenkrise.
Bodo Ellmers: "Sich verantwortlich bei der Prävention als auch bei der Lösung von Schuldenkrisen zu verhalten, das ist bei der letzten großen Krise nicht passiert, die hat Anfang der 1980er-Jahre begonnen und die Lösung hat bis Mitte 2000 gedauert, fast 20 Jahre."

Deutschland verhinderte Regeln für Staateninsolvenzverfahren

Um Krisen künftig zügiger lösen zu können, legte im Sommer 2015 die Gruppe der 77 in den Vereinten Nationen eine Resolution zur Abstimmung vor. Thema: Regeln für ein internationales Staateninsolvenzverfahren und Restrukturierungsmechanismen.
Kaiser: "Deutschland hat in dem Prozess eine bestürzend negative Rolle gespielt, eines der wenigen Industrieländer, die sich tatsächlich gegen einen solchen Prozess gewehrt haben."
Gegen die Resolution stimmten neben Deutschland und Großbritannien auch die USA, Israel, Japan und Kanada. Warum stimmte Deutschland dagegen, anstatt sich zu enthalten, wie die restlichen EU-Mitglieder? Die Antwort aus dem Bundesfinanzministerium:
"Diese Prinzipien erscheinen zum Teil problematisch. So wird unter anderem der sogenannte bevorzugte Gläubigerstatus der internationalen Finanzinstitutionen wie zum Beispiel des Internationalen Währungsfonds in Frage gestellt, was deren Kreditvergabemöglichkeiten einschränken würde."
Kaiser: "Dazu muss man wissen, dass die UN ein Forum ist, das nach dem Prinzip ein Land, eine Stimme funktioniert, während der IWF funktioniert, wie eine Aktiengesellschaft, da haben alle Industrieländer eine klare Mehrheit und können Debatten verhindern, was sie auch schon getan haben."
Die stärkste Stimme im IWF sind die USA, die als einzige über eine Sperrminorität verfügen, gefolgt von Japan, China und Deutschland.
Bundesfinanzministerium:
"Zudem wären zum Beispiel 'unabhängige' Schiedsgerichte, die rechtsverbindlich über Schuldenrestrukturierungen entscheiden können sollen, problematisch; ihre Entscheidungen wären einer parlamentarischen Kontrolle durch den Bundestag entzogen. Insofern erscheint ein internationales formelles Staateninsolvenzverfahren derzeit rechtlich wie politisch nicht realisierbar. Die Bundesregierung ist grundsätzlich auch weiterhin offen für Empfehlungen zu einer Verbesserung der bestehenden Lösungsansätze bei Staatsschuldenkrisen; das betrifft insbesondere die Einbindung aller Gläubiger - auch privater - und aller Schuldenkategorien."
Das Bundesfinanzministerium begründet das deutsche Nein damit, dass Schiedsgerichte mit unabhängigen Richtern die Kontrollfunktion des Parlaments aushebeln und dass Deutschland an Einfluss verlieren würde, wenn die Verhandlungen über Umschuldungen nicht mehr im IWF geführt werden.
Marc Friedrich hat eine andere Erklärung.
"All die Länder, die damals dagegen stimmten, haben die größten Finanzmarktplätze der Welt. Wir reden von Tokio, der Wall Street, von London, Frankfurt. Weil die Finanzplätze die ganzen Papiere handeln, die Staatsanleihen, die geben den Ländern das Geld, die verleihen das und keine Bank möchte auf den Schulden sitzen bleiben und diese abschreiben, möchte Rückzahlungen haben, inclusive Zins und Zinseszins."
Nicht die Interessen der Steuerzahler und der ärmsten Länder waren bei der Abstimmung ausschlaggebend, sondern die der Finanzlobby.

Belgien bringt Anti-Geier-Gesetz auf den Weg

Einen nicht unbedeutenden Schritt, um sich aus den Krallen der internationalen Finanzmacht zu befreien, unternahmen mutige Politiker im kleinen Belgien. Denn dort wurde ein nationales Anti-Geierfonds-Gesetz verabschiedet.
Das belgische Gesetz verhindert vor allem, dass Geierfonds über Gerichtsurteile mehr Gelder herausholen können, als sie ursprünglich für die Anleihen am Finanzmarkt gezahlt haben. Damit wird das Geschäftsmodell unattraktiv.
"Das Gesetz enthält eine Reihe von Kriterien, die klar definieren, was ein Geierfonds ist, um den Richter bei der Urteilsfindung zu unterstützen. Der Richter kann dann, wenn er nachweist, dass die Aktion illegitim war, den Fonds daran hindern, einen Vorteil herauszuschlagen. Das erste und das wichtigste Kriterium ist der Unterschied zwischen dem Preis, zu dem der Fonds den Titel kaufte und der Summe, die er von dem betroffenen Staat zurückverlangt."
Benoît Dispa ist Bürgermeister der Stadt Gembloux und Parlamentsabgeordneter. Sein Terminkalender ist voll. Doch er nimmt sich viel Zeit, um der deutschen Journalistin zu erklären, warum das Gesetz so wichtig ist.
Dispa sitzt für die cdH, eine christlich-soziale Partei, in der belgischen Abgeordnetenkammer. Gemeinsam mit Parlamentariern anderer Parteien hat er das Gesetz auf den Weg gebracht.
"Es hat sich gezeigt, dass alle Parteien aufeinander zugehen konnten, weil man merkte, dass hier wirklich ein reales, ernsthaftes Problem besteht."
Schon während der Ausarbeitung des Gesetzes bekam die internationale Finanzlobby davon Wind und mobilisierte sofort zum Widerstand.
"Es gab von Anfang an Gruppen, die das Parlament an dieser Arbeit hindern wollten. Vor der Abstimmung lag bei uns ein Schreiben vom Institute of International Finance."
Das Institute of International Finance, kurz IIF ist die globale Lobbyorganisation der Banken. Lange hatte der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Bank, Joseph Ackermann, den Vorsitz. Mitglieder sind unter anderem Finanzinstitute wie Commerzbank, Deutsche Bank, Allianz, Société Générale, Credit Suisse, Spanish Banking Association, National Bank of Greece, Mitsubishi Corporation, Qatar National Bank, Bank of China, Goldman Sachs, JP Morgan Chase, Standard&Poors, World Bank Group, Franklin Tempelton und BlackRock.
Belgien hat ein Gesetz gegen sogenannte Geier-Fonds erlassen.
Belgien hat ein Gesetz gegen sogenannte Geier-Fonds erlassen.© picture alliance / Hans Joachim Rech

Fonds klagt gegen belgisches Gesetz

Vertreter des IIF saßen auch am Tisch, als es um die Lösung der Griechenlandkrise ging und stellten zur Bedingung, dass der öffentliche Sektor in die Lösung einbezogen wird.
Dispa: "Der Fonds, der die Aktion startete, war NML Capital, ein Fonds, der bereits in der Vergangenheit Aktionen gegen Staaten durchgeführt hat, größere Aktionen, weil es ein Fonds ist, der zu Elliot gehört, einer einflussreichen Gesellschaft. Sie versuchen, das belgische Gesetz zu kippen, auch um zu verhindern, dass in anderen Ländern derartige Gesetze erlassen werden."
Das belgische Anti-Geierfondsgesetz wurde im Juli 2015 mit großer Mehrheit in der Abgeordnetenkammer beschlossen. Inzwischen hat NML Capital gegen das Gesetz Klage eingereicht. Bodo Ellmers von Eurodad:
"Die Reaktion von Seiten der Zivilgesellschaft ist, dass nun auch drei NGOs hier aus Belgien sich einen Anwalt genommen haben, um als Nebenverteidiger aufzutreten."
Dispa: "Es ist wichtig, dass die großen internationalen Akteure zusammenarbeiten und das Problem lösen und Kerneuropa soll das Zugpferd sein, Belgien kann nur den Motor anwerfen, aber es ist ganz wichtig, weil weltweit eine Kraft die Politik übernimmt, die Staaten in die Knie zwingt."
Obwohl Belgien nicht zu den wichtigsten Finanzstandorten der Welt zählt, scheint die Finanzindustrie, in der ersten Reihe die Geierfonds, ein Interesse daran zu haben, dass Gesetz zu kippen. Es könnte ja Schule machen. Für Benoît Dispa ist es nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einem internationalen Insolvenzrecht.
"Das belgische Parlament wird das Problem alleine nicht lösen, aber es hat seine Pflicht erfüllt. Jetzt sind die Parlamente der anderen EU-Staaten in der Pflicht, damit die Arbeit effizienter wird. Es ist nicht das Ende der Geschichte, sondern der Anfang. Dieser Kampf ist notwendig und gerecht!"
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