Zweiter Weltkrieg

Die Grenzen zugemacht für Tausende

Der Coach, Referent und Autor Johannes Czwalina war 15 Jahre Pfarrer in Basel, bevor er seine Pfarrstelle aufgab.
Der Coach, Referent und Autor Johannes Czwalina war 15 Jahre Pfarrer in Basel, bevor er seine Pfarrstelle aufgab. © picture alliance / dpa / Horst Galuschka
16.06.2014
Kindheitserinnerungen an Polizeiwagen voller Juden motivierten den früheren Pfarrer Johannes Czwalina dazu, eine Gedenkstätte für jüdische Flüchtlinge im schweizerischen Riehen zu gründen. Es ist die erste im Land.
Der Besuch von drei alten Männern in seinem Bahnhofshäuschen in Riehen am Rande von Basel motivierte den ehemaligen Pfarrer Johannes Czwalina dazu, eine Gedenkstätte für jüdische Flüchtlinge zu eröffnen. Als Kinder hatten die drei in diesem Haus am Bahnübergang gelebt und zwischen 1942 und 1945 durch das Fenster häufig Mannschaftswagen der Polizei beobachtet - voller Menschen. Und die Mutter sagte ihnen: "Das sind nur Juden, die werden jetzt wieder zurückgebracht."
"Das war ein intuitiver Impuls"
"Dieses und andere Geschichten (…) erfuhr ich sukzessive durch Nachbarn, durch alte Leute (…), und das hat mich einfach innerlich bewegt und auch bedrückt - so, dass ich mir überlegt hatte, dass ich außerhalb des ursprünglichen Gedankens eines Gästehauses auch einen kleinen Platz des Gedenkens einrichten müsste. Das war einfach ein intuitiver Impuls. Ich habe nicht geahnt, dass es die erste und einzige Gedenkstätte angesichts doch vieler Tausender abgewiesener Juden in der Schweiz überhaupt ist."
Johannes Czwalina, in Berlin geboren und seit 1973 in der Schweiz, wunderte sich über das Desinteresse der Schweizer an der Aufklärung ihrer eigenen Versäumnisse. Vom Berliner Centrum Judaicum wurde er eingeladen, sein Buch "Das Schweigen redet" vorzustellen, das die Vergangenheitsbewältigung der Generation des Zweiten Weltkriegs thematisiert.
"Wenn ich es mal etwas despektierlich sagen könnte: Die Schweiz stellt sich gerne dar als Rettungsanker Europas im Zweiten Weltkrieg. Und dieses Bild wird natürlich durch eine Gedenkstätte (…) irgendwie tangiert. (…) Man möchte nicht gern daran erinnert werden, dass die Schweiz ja für Tausende Flüchtlinge die Grenzen zugemacht hat und gerade auch die Juden nicht als politische Flüchtlinge anerkannt worden waren, die Schweiz proaktiv darum gebeten hat, dass man die Passporte der Juden mit einem dicken 'J' stempelt, damit man sie schneller aussortieren kann, dass der Bundesrat seit 1942 genau wusste, was mit den Juden passierte und dass er trotzdem diese Menschen abgelehnt hatte."
Aus eigenem Vermögen finanziert
Seine Erfahrungen zeigten ihm, "dass die Aufarbeitungskultur, wenngleich die Schweiz auch nur am Rande dabei war, wesentlich weniger ausgeprägt ist, als in Deutschland."
Von öffentlicher Hand wird Johannes Czwalina bis heute nicht unterstützt, er finanziert den Gedenkort aus eigenem Vermögen.
"Mir war ganz klar, wenn nicht einer den Mut hat, das zu gründen, wenn nicht einer bereit ist, ein materielles Opfer zu bringen, dann wird es nie geschehen - und deswegen habe ich diesen Alleinakt begonnen."
cwu