Zweitausendeins

Abschied vom Raumschiff der Gegenkultur

Bücher stehen in einer Kiste vor einem Antiquariat in Berlin
Bücher stehen in einer Kiste vor einem Antiquariat in Berlin © picture alliance / dpa / Foto: Wolfram Steinber
Von Edelgard Abenstein  · 06.02.2015
Der legendäre Kulturhändler Zweitausendeins schließt nun auch in der Berliner Kantstraße sein Geschäft und setzt auf den Online-Versand. Für die Kulturjournalistin Edelgard Abenstein ist das Anlass für eine nostalgische Grabrede.
Jetzt fällt also auch Berlin. Nach 40 Jahren gehen auch im Flaggschiff auf der Berliner Kantstraße morgen die Lichter aus. Wie vorher schon in Freiburg und Stuttgart, Frankfurt und München. 30 Prozent Nachlass auf alles, Treichels "Der Verlorene" kostet so viel wie eine Briefmarke, "Ich, Tarzan" geht für den Wert eines Capuccinos über den Tresen. Ach, seufzt die treue Stammkundschaft: Eine Ära ist zu Ende, eine Ära aus kulturell Hochprozentigem und sensationell billigen Preisen.
Wilde Medienmischung
Zweitausendeins, benannt nach dem psychodelischen Science-fiction Film von Stanley Kubrick, war ein Raumschiff der Gegenkultur. Da hatte vieles Platz. Eine wilde Medienmischung aus Büchern, Platten, Plakaten und Buttons. Als die Feuilletons noch gewissenhaft über die Reinheit der E- Kultur wachten, standen hier schon E und U in freundlichster Koexistenz nebeneinander, Erich Frieds Shakespeare-Übersetzungen neben amerikanischen Comics, Arno Schmidt in direkter Nachbarschaft zu kubanischen Revolutionshymnen. An der Kasse stapelte sich Günter Amendts "Sexfront" in roter Schrift auf Kanariengelb neben dem schwarz-leinenen Nobelreprint sämtlicher Jahrgänge der Literaturzeitschrift "Akzente".
Für Sammlerseelen mit haltlosem Hang zur Vollständigkeit
Es wimmelte von Sonderangeboten. Wer im augenpulvrigen Merkheft die brandneuen Angebote studiert hatte, eilte am Erscheinungstag von Bernward Vespers "Die Reise" mit Hunderten anderen in den Kantstraßenladen. Hatte man ein Exemplar ergattert, röhrte Leonard Cohen "I'm your man" aus den Lautsprechern dann mitten in den Jubel hinein. Sammlerseelen mit haltlosem Hang zur Vollständigkeit kamen auf ihre Kosten und schleppten schon mal das Gesamtwerk von Johann Sebastian Bach in die WG, 99 LPs zum Preis einer Tankfüllung.
Seit sich CDs nicht mehr von selbst verkaufen, weil sich die "digital natives" die neuen Lieder jetzt direkt auf den PC laden und seit auch wir - statt mit Bücherkilos im Gepäck in Begleitung eines mit E-books bestückten federleichten Kindle in den Urlaub fliegen - helfen selbst editorische Glanzleistungen nicht mehr, wie die Ausgabe der Goncourt-Tagebücher im vergangenen Jahr. Denn, Hand aufs Herz: braucht man den herrlichen Klatsch aus den Pariser Salons wirklich schwarz auf weiß zuhause? Einen halben Meter 19. Jahrhundert im Regal, wo man sich gerade von der 25-tausend-seitigen Fackel-Ausgabe getrennt hat, diesem dunkelsatinierten Mammutwerk Karl Krauss', das nur noch zum Abstauben in die Hand genommen wurde.
Ach, tschüss!
Was bleibt, ist ein nostalgisches "Ach, tschüss". Oder mit Jean Paul zu sagen, herausgeklaubt aus der wunderbaren Zweitausendeins-Ausgabe: "Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können". Oder, noch tröstlicher: Es gibt ein Leben nach dem Tode. Bis irgendwann im Internet. Denn da lebt Zweitausendeins weiter.
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