Zweifelhafter Namenspatron

Rolf Hosfeld im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 29.01.2010
Der Literaturhistoriker Rolf Hosfeld bedauert, dass die Universität Greifswald weiterhin nach Ernst Moritz Arndt benannt wird. Er hätte es begrüßt, "der Universität einen neutralen Namen zu geben", so Hosfeld. Arndt sei als Antisemit von den Nazis vereinnahmt worden.
Stephan Karkowsky: Der Politiker, Historiker und Lyriker Ernst Moritz Arndt starb heute vor 150 Jahren. Nur vier Wochen zuvor hatte er noch mit großem Tamtam seinen 90. Geburtstag gefeiert – geliebt und verehrt als deutscher Patriot. Was ihn damals so beliebt machte bei den Deutschen und warum uns das heute merkwürdig fremd und womöglich auch falsch vorkommt, das soll uns Dr. Rolf Hosfeld erklären, Literaturhistoriker und Herausgeber des vierbändigen Multimediawerkes "Die Deutschen". Herr Hosfeld, ist Arndt als Lyriker und Literat es wert, dass wir uns heute an ihn erinnern?

Rolf Hosfeld: Also Arndt ist mit Sicherheit eine bedeutende Figur seiner Zeit. Seine Zeit, das war die Zeit der napoleonischen Besetzung, das war die Zeit auch der antinapoleonischen Befreiungskriege und der großen Reformen. Bekannt wurde er nicht als Lyriker in erster Linie am Anfang, sondern durch seine Schrift über die Leibeigenschaft in Rügen und in Pommern.

Karkowsky: Für die er verklagt wurde.

Hosfeld: Für die er verklagt wurde – und diese Landstriche gehörten damals noch zur schwedischen Krone. Und als Folge hat der etwas launische und unberechenbare schwedische König tatsächlich die Leibeigenschaft in diesen Landstrichen abgeschafft, noch bevor das in Preußen durch die Stein-Hardenberg'schen Reformen geschah.

Karkowsky: Wenn wir sagen würden, es gibt etwas, was wir heute noch anerkennen würden als sein größtes Verdienst, fällt Ihnen da was ein?

Hosfeld: Also es ist mit Sicherheit zum Beispiel so etwas. Arndt war auch, wenn man so will, eine Art Demokrat. Arndt hat ja noch in der 48er-Nationalversammlung in Frankfurt gesessen als Alterspräsident des ersten deutschen Parlaments, Arndt war aber zugleich natürlich ein deutscher Nationalist.

Karkowsky: Er war Franzosenhasser, er war Antisemit. Wie passt das denn zusammen, Demokrat gleichzeitig und Franzosenhasser und Antisemit zu sein? War das damals so üblich?

Hosfeld: Nun muss man sich natürlich in die Zeit hereinversetzen, das war die Zeit des Kampfs gegen Napoleon, die Emotionen schlugen ziemlich hoch in der Zeit, auch unter anderem geschürt durch die Guerilla in Spanien – also die Guerilla in Spanien hat den Leuten auch in Deutschland zum ersten Mal die Perspektive eröffnet, dass man erfolgreich gegen Napoleon vorgehen kann –, aber die Demokratie in Frankreich selbst hat ja die Parole der einen und unteilbaren Nation geprägt. Und es gibt auch in Frankreich natürlich Bewegungen während der französischen Revolution, die sich gegen die Feinde des Vaterlandes gerichtet hat. Der Unterschied zu Deutschland war in gewisser Weise – und das ist Arndt eine Figur, die das hervorragend verkörpert –, dass der Begriff der Nation in Frankreich staatsbürgerlich formuliert ist, während er in Deutschland völkisch und kulturell formuliert war. Und deshalb richtete er sich auch gegen jemanden. Also für Arndt war Deutschsein gleichzeitig damit verbunden, dass man gegen die Franzosen war. Arndt war der Erfinder des Begriffs des Erbfeindes Frankreich.

Karkowsky: Der Antisemitismus, wo kam der her und wie sehr lag er damit im Mainstream oder nicht, in seiner Zeit?

Hosfeld: Es ist vor allen Dingen ein moderner Antisemitismus. Also zum ersten Mal kann man so was finden in Fichtes "Reden an die deutsche Nation", auch aus der Zeit, und ähnlich wie Fichte war Arndt der Ansicht, dass die Deutschen so etwas wie ein reines Urvolk sind und eine ungeteilte Nation, die er sich vorstellte, auch eine Vereinigung der deutschen Stämme und der deutschen Kleinstaaten zu einem großen Deutschland, das schloss natürlich alles aus, was deutschfremd war. Und die Juden waren in seinen Augen eben keine Deutschen.

Karkowsky: Entschuldigt das etwas?

Hosfeld: Nein.

Karkowsky: Also es war damals einfach die Sicht der Menschen …

Hosfeld: Nein.

Karkowsky: … oder gab es …

Hosfeld: Nein.

Karkowsky: Nein.

Hosfeld: Nein, es war eben diese Zeit, es war diese Zeit, die diese nationale Verengung tatsächlich hervorgebracht hat in der Frontstellung gegen Frankreich, in der Frontstellung auch gegen den Kosmopolitismus der Aristokratie. Aber wenn man es beispielsweise vergleicht mit der Stimmung um 1813: Die Stimmung um 1813 war internationalistisch, sie hatte viel von Völkerverbrüderung, sie kannte all diese Dinge nicht mehr.

Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" den Literaturhistoriker Rolf Hosfeld zum 150. Todestag des Politikers, Lyrikers und Historikers Ernst Moritz Arndt. Herr Hosfeld, fremd wirken auf uns ja heute vor allem auch Arndts Kriegslieder, das ist ja etwas, wo wir denken, was war das denn. "Wir wollen im Spiele der Schwerter und Lanzen den wilden, den blutigen Tanz mit euch tanzen. Wir klingen die Losung zum Rhein: 'Zum Rhein! übern Rhein! Alldeutschland in Frankreich hinein!'" Offene Verherrlichung des Krieges, so was würden wir heute als Aufruf zur Gewalt verstehen. Wie haben die Menschen das damals gelesen?

Hosfeld: Na ja, also es gibt da diverse dieser Dinge, also der Gott, der Eisen wachsen ließ beispielsweise, oder eben der gute deutsche Gott, also das sind Präfigurationen im Grunde genommen in gewisser Weise schon des Geistes von Seelanden. Also man hat ja dann später, als dann der große deutsche Einigungskrieg unter Bismarck stattfand, 1870/71 … tatsächlich ist man soweit gegangen und hat gesagt, also das deutsche Einigungswerk ist eine Vollendung der Reformation gewesen. Und ähnlich hat Arndt auch schon gedacht.

Karkowsky: Und die Menschen damals, die waren ja begeistert, die fanden ihn ja toll, das war ein deutscher Patriot, die haben ihn gefeiert. Sein 90. Geburtstag soll ein Riesenfest gewesen sein in Bonn.

Hosfeld: Es waren bestimmte Leute natürlich. Also Arndt hat gewirkt in die deutschen Burschenschaften hinein, in erster Linie also in die Kreise auch, die dann sich zum Wartburgfest 1817 versammelt haben. Arndt bekam deshalb auch Schwierigkeiten, hat sein Professorenamt in Bonn verloren. Also er war auch ein Opfer der Demagogenverfolgung dieser Zeit. Dass er in ganz Deutschland populär gewesen ist, ist sicher übertrieben. Also es waren bestimmte Teile der deutschen nationalen Intelligenz, die ihn gefeiert haben.

Karkowsky: Auf jeden Fall hat Arndt 100 Jahre später die Nazis mit seinem kompromisslosen Nationalismus schwer beeindruckt. Würden Sie so weit gehen zu sagen, er war einer ihrer Vordenker?

Hosfeld: Ich glaube eher, dass die Nazis ihn vereinnahmt haben. Also da tut man sich, glaube ich, keinen Gefallen, wenn man ihn als Vordenker der Nazis begreift. Es gibt gewisse Elemente, und das Wichtigste ist eben der deutsche Begriff des Staatsbürgers. Also dieser völkische Begriff der Nation, den wir immer noch nicht so richtig überwunden haben, der war natürlich für die Nazis hervorragend geeignet, ihn für sich irgendwie zu reklamieren und dann eben natürlich die antifranzösische, antisemitische Haltung, die Arndt verkörpert hat.

Karkowsky: Glauben Sie, wir würden mit Arndt heute unbefangener umgehen können, hätten die Nazis ihn nicht zu sehr vereinnahmt?

Hosfeld: Ja, unbefangener mit Sicherheit, aber trotzdem nicht unkritischer.

Karkowsky: Auch Literaturgeschichte ist nicht statisch, da brauch ich Ihnen nichts zu erzählen, Erinnerung und die Bewertung der Erinnerung ändern sich fließend. Wie sollte man Ernst Moritz Arndt heute begegnen – als Phänomen seiner Zeit oder durchaus als Hassprediger der Lyrik?

Hosfeld: Ich glaube, man sollte sich daran erinnern, dass die großen Volksbewegungen des 19. Jahrhunderts, auch die Freiheits- und Demokratiebewegungen, ein durchaus janusköpfiges Gesicht hatten. Und dieses janusköpfige Gesicht verkörpert sich eben in solchen Leuten wie Arndt, natürlich auch Fichte beispielsweise und anderen, aber man kann ihn nicht einfach als Demokraten für sich reklamieren, ohne gleichzeitig zu sehen, dass da eben auch eine ganze Menge von Fremdenhass und Xenophobie eine erhebliche Rolle gespielt hat.

Karkowsky: Sie haben die Diskussion in Greifswald verfolgt, die Universität ließ die Studenten abstimmen, ob sie den Namen Ernst-Moritz-Arndt-Universität behalten wollen oder nicht. Jeder Zweite sagte, klar, warum nicht, und 43 Prozent – nur, kann man sagen – wollen ihn ablegen. Wie bewerten Sie das?

Hosfeld: Also die Namensgebung erfolgte ja erst, als die Nazis an die Macht kamen.

Karkowsky: 33.

Hosfeld: 33.

Karkowsky: Verliehen von Hermann Göring.

Hosfeld: Ja, genau. Also ich hätte es gut gefunden, wenn man sich vielleicht darüber hätte verständigen können, der Universität einen neutralen Namen zu geben. Nun muss man dazusagen, es gibt eben auch eine andere Geschichtstradition der Vereinnahmung von Arndt, und die hat was mit der DDR zu tun. Es gab in der DDR einen gewissen Ernst-Moritz-Arndt-Kult auch – es gab eine Ernst-Moritz-Arndt-Medaille beispielsweise, das Ganze bezog sich in erster Linie auf die sogenannte deutsch-russische Waffenbrüderschaft des antinapoleonischen Befreiungskriegs, bei der Arndt eine große Rolle gespielt hat, als Mittelsmann von Freiherr vom Stein in Petersburg und der Konvention von Tauroggen 1813, auf die sich schon das Nationalkomitee Freies Deutschland berufen hat und später eben auch die DDR.

Karkowsky: Wenn wir noch einen Schritt weitergehen, was ist mit den Arndt-Denkmälern heutzutage? In Bonn gibt es eins, in Stralsund, auf Rügen, es gibt eine evangelische Moritz-Arndt-Kirchengemeinde, in ganz Deutschland gibt es Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasien und Realschulen. Ist das alles harmlos oder doch eher verharmlosend? Müsste man da zu einer offeneren Diskussion kommen?

Hosfeld: Ich denke, es kommt immer darauf an, wie man darüber redet. Also diese Denkmäler sind da, und Arndt war natürlich tatsächlich auch einer der Väter der ersten deutschen Nationalversammlung, insofern steht er natürlich in gewisser Weise auch in der demokratischen Tradition Deutschlands. Aber man sollte sich doch immer darüber im Klaren sein, dass diese demokratische Tradition eben auch eine unsaubere Schwester hat.

Karkowsky: Das eine war nicht ohne das andere zu kriegen.

Hosfeld: Ja.

Karkowsky: Zum 150. Todestag des Politikers, Historikers und Lyrikers Ernst Moritz Arndt hörten Sie Dr. Rolf Hosfeld, Literaturhistoriker und Herausgeber des vierbändigen Multimediawerkes "Die Deutschen". Herr Hosfeld, danke, dass Sie bei uns waren!

Hosfeld: Danke Ihnen!