Zwei Jahrzehnte Abschottungspolitik

Zu Fuß von Afrika nach Europa - das war einmal

Von Christian Jakob und Reiner Wandler · 13.07.2015
Bis in die 1990er-Jahre konnte man zu Fuß von Afrika nach Europa laufen. An der einzigen Landesgrenze der beiden Kontinente - zwischen Marokko und den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla - gab es praktisch keine Zäune. Doch dann begann die EU sich abzuschotten.
Die Menschen aus Afrika suchten neue Wege und fanden sie. Ab Sommer 2006 waren die Kanarischen Inseln das Ziel. Die meisten Boote starteten ohne Schlepper an Bord an der afrikanischen Westküste.
Zuerst legten die Boote in Südmarokko und von den Stränden der besetzten, ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara ab. Madrid setzte die Regierung in Rabat unter Druck. König Mohamed VI. ließ die Strände besser bewachen. Neue Routen wurden eröffnet. Zuerst ging die Reise über Mauretanien. Doch auch hier erreichte die spanische Diplomatie, dass die Regierung gemeinsame Küstenpatrouillen einrichtete. Die Flüchtlinge versuchten fortan ihr Glück im Senegal.
Aus anfänglich 90 Kilometern Überfahrt wurden so innerhalb weniger Monate über 2500 Kilometer. Die Länder Nordafrikas wurden zur Hilfstruppe der EU-Grenzschützer.
"Mehr Öl, weniger Flüchtlinge"
Auch Libyen war bis vor kurzem wichtiger Bestandteil des Systems zur Abwehr von Flüchtlingen. Italien konnte afrikanische Flüchtlinge nach Libyen abschieben – ohne Asylverfahren. 2009 nahm die EU mit dem damaligen Diktator Gaddafi offiziell Verhandlungen über ein so genanntes Nachbarschaftsabkommen auf. Auch hier galt letztlich die Formel "Mehr Öl, weniger Flüchtlinge".
2011 brach der Arabische Frühling aus. Die EU zeigte sich jedoch flexibel. Noch während Gaddafi im Amt war, verhandelte sie mit den Rebellen in Bengasi – über Militärhilfe, aber auch über Migrationskontrolle. Nach dem Sturz Gaddafis hielten sie Wort.
"Vorher hat nur Gaddafi gewonnen, wenn es Abkommen mit dem Westen gab", sagte der Libyer Miftah Saeid, der in Bengasi gegen Gaddafi gekämpft hat. "Was wir wollen, ist eine Win-Win-Situation – für ganz Libyen und für den Westen."
Die Zuwanderung aus Afrika nach Europa aber ist nie endgültig versiegt. Zu groß ist das Reichtums- oder besser Armutsgefälle zwischen den beiden Seiten des Mittelmeeres.

Hinweis: Der ausführliche Text: im taz-Dossier vom 13. 7. 2015, S. 4

Beim Thementag "Das Mittelmeer - Sehnsuchtsort und Flüchtlingsfalle" kooperiert Deutschlandradio Kultur mit der taz. Weitere Beiträge finden Sie auch auf der taz-Themenseite.
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