Zwei Dichter der Revolution

Moderation: Frank Meyer · 12.02.2013
Die Rückkehr der Revolution ins Theater - mit Stücken von Bertolt Brecht und Georg Büchner: Das ist das Thema der Brecht-Tage in Berlin. Kuratiert werden sie von Holger Teschke. Im Interview spricht er über die Gemeinsamkeiten der beiden Dichter und erläutert, wo es Verbindungen zu den Umstürzen in den arabischen Ländern gibt.
Frank Meyer: Die Umstürze in den arabischen Ländern haben das Wort Revolution wieder auf die Tagesordnung gesetzt, und seit den Revolutionen in Tunesien, Libyen und Ägypten hat dieses ja oft geschmähte Wort wieder einen positiveren Klang. Die Berliner Brecht-Tage beschäftigen sich in diesem Jahr mit zwei Dichtern der Revolution, mit Bertolt Brecht und mit Georg Büchner, sein 200. Geburtstag steht in diesem Jahr bevor. Der Autor Holger Teschke hat diese Brecht-Tage kuratiert, und er ist jetzt hier bei uns im Studio. Herzlich willkommen!

Holger Teschke: Schönen guten Tag!

Meyer: Herr Teschke, in der Tageszeitung "Die Welt" war vor Kurzem zu lesen, man könnte das Drama "Dantons Tod" von Georg Büchner, man könnte das auch als eine Beschreibung der arabischen Revolution von heute lesen. Es gibt ja diese zwei Parteien in diesem Drama: Die Jakobiner als strenge Tugendwächter und Danton und seine Gruppe auf der anderen Seite, und man könnte die Jakobiner jetzt als eine Beschreibung der modernen Islamisten mit ihrem Tugendterror sehen. Was halten sie von dem Vergleich?

Teschke: Ja, das klingt wie eine Lesart der Volksbühne so ein bisschen, wenn man die Jakobiner mehr oder weniger islamistisch gewandet daherkommen sieht. Ich glaube, dass der Ansatz von Büchner ein anderer gewesen ist. Er hat ja sehr, sehr kritisch eigentlich auf beide Parteien geguckt, also sowohl auf die Dantonisten, die er mehr oder weniger als Verräter an der Revolution empfunden hat, als auch auf die Jakobiner, die sozusagen den Terror weiterführen wollten, weil sie hatten dem Volk nichts anderes zu bieten als Terror. Und in dem Moment sozusagen sind wir natürlich schon an einer hochaktuellen Situation, was mache ich, wenn ich nicht genügend Brot habe, um das Volk zu füttern – das ist ein Punkt, auf den Büchner immer wieder zurückkommt –, was kann ich ihm dann noch anbieten? Und dann ist es entweder Ideologie oder es ist Fundamentalismus.

Meyer: Aber interessant wäre die Frage, ob man ein so altes Stück – über 200 Jahre inzwischen –, ob man das nutzen kann, um einen Vorgang der Gegenwart tatsächlich stärker zu begreifen, genauer zu begreifen. Ist "Dantons Tod" dafür geeignet?

Teschke: Ich glaube schon, weil auf dem Theater sieht man das ja nicht unbedingt eins zu eins. Das ist so ein bisschen die Vorstellung, man bildet dann etwas ab, was sozusagen auf unseren Straßen auch passiert ist, aber wenn man das Stück heute liest, dann erkennt man eigentlich mehr oder weniger sozusagen das Gegenwärtige im Fremden. Und das ist ja auch mit dem Brecht’schen Verfremdungsgedanken gemeint, das heißt, man sieht sozusagen, wo es historische Überschneidungen gibt, und man sieht auch, dass was fremd ist, also was ganz anderes gelagert ist. Aber Büchner selber hat es ja – und das ist, glaube ich, das Erstaunliche an dem Stück – sozusagen geschrieben, um sich über seine eigene Situation bewusst zu werden. Also es ist ja im Nachklang des "Hessischen Landboten" geschrieben, er selber ist schon zur Fahndung ausgeschrieben, er selber hat erlebt, wie dieses berühmte Flugblatt von den …

Meyer: … das ja ein Revolutionsaufruf war.

Teschke: … ein großer Revolutionsaufruf, der übrigens im Motto "Krieg den Palästen, Friede den Hütten" einen Aufruf aus der Französischen Revolution zitiert. Wir haben unser Motto umgedreht, bei uns heißt es "Krieg den Hütten, Friede den Palästen – Fragezeichen", das ist sozusagen die neoliberale Lesart dieses Aufrufs, haben damit versucht, es in die Gegenwart zu bringen, aber Büchner versucht sozusagen damit fertig zu werden, dass, ich glaube, über 80 Prozent der Leute, die dieses Flugblatt in die Hand bekamen, es ungelesen an die Polizei abgegeben haben, und vor 1848 schon einmal diese Revolution in Hessen vollkommen scheitert, weil die Leute nicht mitmachen. Und er guckt jetzt auf die Revolution, die ja schon 40 Jahre her ist, und versucht rauszukriegen: Woran hat es denn damals gelegen, dass es gescheitert ist? Und wenn wir jetzt nach vorne gucken natürlich, 1988, kurz vor der politischen Wende in der DDR, war Danton ein viel inszeniertes Stück. Auch da hat es zur Selbstverständigung gedient, glaube ich.

Meyer: Wie ist Büchner damit umgegangen? Sie haben gerade diese Enttäuschung beschrieben, 80 Prozent der Leute, für die er diesen Revolutionsaufruf, den "Hessischen Landboten", geschrieben hat – mit großen persönlichen Risiken, er muss ja letztlich deswegen emigrieren aus Deutschland –, und die geben das bei der Polizei ab. Wie ist er mit dieser Enttäuschung umgegangen?

Teschke: Indem er ein Stück geschrieben hat, nämlich Danton. Und es ist sehr interessant, die Briefe zu lesen, die er an seine Geliebte, die in Straßburg war, geschrieben hat, dann musste er selber nach Straßburg fliehen, und geht dann nach Zürich ins Exil – Sie sagten es schon – und muss sich sozusagen den deutschen Behörden entziehen. Und da sind Kommentare drin, wie ihn dieses Studium der Revolution, er sagt selber, zernichtet hätte. Also es gibt diesen berühmten Fatalismus-Brief, und Büchner selber sieht sozusagen, dass in dem Moment, wo die – Marx hätte gesagt – die revolutionäre Idee nicht die Massen ergreift, gar keine Chance für eine Revolution ist. Das heißt, ein junger Mann mit 23 Jahren muss sich jetzt überlegen: Was mache ich mit dem Rest meines Lebens, wenn das jetzt nicht eintritt. Und da hat er den erstaunlichen Ausweg in die Naturwissenschaften gewählt, was ihn wiederum mit Brecht verbindet in gewisser Weise.

Meyer: Was ihn da mit Brecht verbindet, aber auf der anderen Seite sich diese Enttäuschung einzugestehen, dass man das Volk nicht an seiner Seite hat, wenn man Revolution machen, propagieren will – hat Brecht sich die auch eingestanden?

Teschke: Nein, ich glaube, da ist ein wesentlicher Unterschied, Büchner hat sich keine Illusionen gemacht, also weder über die Revolutionäre, mit denen er zusammengearbeitet hat, da gibt es große Auseinandersetzungen, gerade zwischen den Radikalen und den Liberalen, und er hat sich auch über das, was Marx und Brecht wahrscheinlich das Subjekt der Revolution, also die Proletarier, betrifft, keinerlei Illusionen gemacht. Da musste Brecht sich immer wieder einreden, es sind nicht die Arbeiter, die Hitler gewählt haben, und das Proletariat ist sozusagen verführt worden und all diese Dinge, das hat Büchner mit seinen jungen Jahren viel schärfer, viel kritischer gesehen.

Meyer: Büchner hat dieses Stück mit 22 geschrieben, "Dantons Tod". Brecht ist 60 geworden, fast 60, also Büchner war viel hellsichtiger in viel jüngeren Jahren.

Teschke: Der Druck war größer, glaube ich, und vielleicht hat es auch etwas damit zu tun, die Arbeit von Büchner als Naturwissenschaftler ist ja eine sehr seriöse gewesen. Also man hat ja dann später herausbekommen, dass er mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten absolut an der Spitze der damaligen Diskussion gestanden hat und auch wahrscheinlich eine glänzende naturwissenschaftliche Laufbahn gehabt hätte. Brechts Behauptung des Medizinstudiums ist eine reine Behauptung gewesen, also der ist immer in die theaterwissenschaftlichen Vorlesungen von Kutscher in München gegangen und kaum in die medizinischen, in die er gehen sollte, hat aber immer – und da verbindet die beiden, glaube ich, doch etwas sehr Interessantes – auch auf dieses Theater des wissenschaftlichen Zeitalters insistiert. Der Begründer des Theaters des wissenschaftlichen Zeitalters für mich ist eigentlich Georg Büchner.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Holger Teschke, er hat die Berliner Brecht-Tage 2013 kuratiert, bei denen es um die Beziehung zwischen Brecht und Georg Büchner geht, und Sie werfen in der Einladung selbst die Frage auf, es stellt sich die Frage, warum weder die Stücke noch die politische Haltung Büchners für das epische Theater Brechts eine Rolle gespielt haben, obwohl die ja eigentlich eine Menge Berührungspunkte gehabt haben müssten. Also warum so wenig Nähe zwischen Brecht und Büchner?

Teschke: Ich glaube, die Nähe war sehr groß, und Brecht musste sich frühzeitig davon distanzieren sozusagen. Er hatte ja immer schon Probleme, Vorbilder anzuerkennen, Vorbildern sozusagen auch den Kredit zu geben, der ihnen gebührte. Und es gibt so in den frühen Tagebüchern Äußerungen von Brecht über Büchner, also als er in Augsburg den Danton sieht, und später, als er Helene Weigel im "Woyzeck" sieht, aber er ist da sehr zurückhaltend mit dem Lob, und das verstärkt sich in merkwürdiger Weise dann, als er aus dem amerikanischen Exil zurückkommt und nochmal Danton liest im Zusammenhang mit einer geplanten Aufführung seiner Tage der Kommune, wie er immer sagt, nicht der Commune, wie es ja eigentlich heißen müsste, und empfindet dann diesen Danton nur noch als reaktionär, also sowohl das Stück als auch die Aussage, er kann darin sozusagen nur noch einen Pessimismus gegenüber der Revolution lesen, und hält es, wie er seinen Schülern gegenüber äußert, politisch für falsch, dieses Stück zu inszenieren. Da sind so allergische Reaktionen, die mich interessiert haben, und ich wollte gerne eben mit Büchner-Spezialistinnen und Spezialisten ein bisschen tiefer schürfen, ein bisschen genauer wissen, woran hat das gelegen, was war die Ursache dafür?

Meyer: Aber da hat Brecht ja vielleicht hellsichtig gesehen, dass dieses Stück "Dantons Tod" seinen ganzen Geschichtsoptimismus zernichten würde, wenn er das ernst nehmen würde. Und deswegen noch mal die Frage: Inwiefern hatte er da recht? Inwiefern ist dieses Stück "Dantons Tod" – Sie haben ja vorhin beschrieben, dass es beide Parteien dieser Französischen Revolution in ihren Fehlern auch sieht. Ist das ein Stück, das eigentlich im Grunde die Revolution infrage stellt?

Teschke: Ich glaube, es stellt infrage die extremen Positionen auf beiden Seiten, weil Büchner hat durch die Erfahrung innerhalb dieser Gesellschaft der Menschenrechte – also mit diesen Leuten hatte er ja den "Hessischen Landboten" geschrieben und auch drucken lassen und verteilt – erfahren sozusagen, dass der Streit an den beiden extremen Enden, also bei den Liberalen, die sagten, wir müssen immer irgendwie versuchen, mit der Staatsgewalt ein Auskommen zu finden, und den anderen, die sagten nein – Brechtisch gesagt, es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht –, dass diese beiden Modelle einfach nicht zeitgemäß waren. Also sie trafen nicht auf Menschen, die sich dem hätten anschließen können. Und Büchner, mit dem objektiven Blick, sage ich mal, eines jungen Naturforschers, hat gesagt: Das hat ja gar keinen Zweck, immer auf Extrempositionen zu verharren, wo ist das Vermittelnde? Und das Vermittelnde sieht er erstaunlicherweise in dem Danton, in dem Realismus des Volkes. Er schaltet ja wie Shakespeare diese Volksszenen ein, und die können mit der Ideologie beider Seiten eigentlich nichts anfangen, weil denen geht es zum ersten Mal darum, was Brecht in der "Dreigroschenoper" sagt, erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral, da ist er komischerweise, da ist Brecht Büchner näher als in den späteren Stücken.

Meyer: Ein Grund, so habe ich das verstanden in ihrer Einladung, diese beiden Dramatiker zusammenzubringen, ist auch, dass es so eine Art Renaissance gibt, sowohl von Brecht als auch von Büchner, auf den deutschen Bühnen. Was wird da wiederentdeckt und warum?

Teschke: Ich glaube, bei Büchner ist es natürlich der Anlass des 200. Geburtstages, die Anlassdramaturgie, die feiert immer wieder fröhliche Urstände, bei Brecht, fürchte ich, ist es eher 2008, also der Beginn der Finanzkrise, wo man ja vor allem Stücke wie "Die heilige Johanna der Schlachthöfe", aber auch unbekanntere wie den "Fatzer" oder "Joe Fleischhacker", die sich alle mit Börsengeschehen oder Kriegsauseinandersetzungen beschäftigen, wiederentdeckt, und ein Thema, was beide verbindet, ist, glaube ich, das Thema Revolution und Verrat, oder auch der Verrat an der Revolution. Und ich glaube, das interessiert Regisseure wieder, und ich hoffe, auch ein Publikum.

Meyer: Und warum?

Teschke: Weil das, ich glaube, Konflikte sind, in denen wir uns im Moment auch beschäftigen, wenn Frank Schirrmacher entdeckt, dass der Kapitalismus ein egoistisches Prinzip hat, dann ist ja vielleicht in der "Frankfurter Allgemeinen" auch bald was anderes zu lesen als vor 2008.

Meyer: Damit spielen Sie auf das jüngste Buch von Frank Schirrmacher an.

Teschke: Auf "Ego", genau.

Meyer: Die Rückkehr der Revolution ins Theater mit Stücken von Bertolt Brecht und Georg Büchner und die Beziehung dieser beiden Dichtern, das ist das Thema der Brecht-Tage 2013. Holger Teschke hat die Brecht-Tage kuratiert, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema