Zwangsversteigerung

Wenn der Hammer fällt

Symbolfoto zum Thema Zwangsversteigerung: Ein Modellhaus hinter einem Stempel mit der Aufschrift "zwangsversteigert".
Zwangsversteigerung © picture alliance / Revierfoto
Von Svenja Pelzel · 25.10.2015
Immobilien sind begehrt wie nie. In Großstädten wie Berlin gehen deshalb bei Zwangsversteigerungen Häuser und Wohnungen weit über Wert an den neuen Besitzer. Ein gefundenes Fressen für Spekulanten.
Bis auf den letzten Platz ist der große Gerichtssaal im Amtsgericht Berlin-Charlottenburg an diesem Morgen besetzt. Um die hundert Männer und Frauen drängen sich in den Stuhlreihen, stehen am Rand oder sitzen auf den Fensterbänken. Auf dem Programm: kein spektakulärer Mordfall, sondern die Zwangsversteigerung einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit 65 Quadratmetern Wohnfläche, an einer vielbefahrenen Seitenstraße in Berlin-Charlottenburg.
Nichts Besonderes also. Die Stimmung ist trotzdem angespannt. Mögliche Käufer mustern ihre Banknachbarn mit kritischem Blick und flüstern hektisch mit ihren Familienangehörigen. Immobilienmakler beobachten die Szenerie am Rand stehend, mit verschränkten Armen. Einer, der seinen Namen nicht nennen will, ist schon lange im Geschäft und kann sich derzeit nur wundern:
"In den 90er-Jahren war es so, da war der Quadratmeterpreis in Grunewald 3000 Euro, was heute mindestens das Doppelte ist, wenn nicht 10.000 Euro, und keiner wollt's haben. Um die Jahrtausendwende herum wurden die Immobilien auch zwangsversteigert und keine Sau hat es interessiert, weil keiner wollte nach Berlin."
Heute ist das anders. Alle wollen nach Berlin. Alle wollen ein Schnäppchen machen. Deshalb stört es die Anwesenden auch nicht, dass sie die Wohnung, die sie gerade kaufen wollen, nie gesehen haben. Besichtigungstermine für solche Wohnungen gibt es in der Regel nicht.
Ein dicker Plastikhefter geht von Hand zu Hand – das Exposé, das vom Gericht zu jedem Objekt erstellt wird und das man einige Wochen vor dem Termin einsehen kann. Jeder will sich im Rahmen der beschränkten Möglichkeiten informieren, um nicht die Katze im Sack zu kaufen. Auf die Details kommt es an.
Wie zum Beispiel auf den heute beigefügten Mietvertrag, der seit 37 Jahren läuft, extrem niedrige Mieteinnahmen verspricht und fast unkündbar ist. Deshalb ist auch der offiziell geschätzte Wert auf den ersten Blick günstig: 104.000 Euro, 1600 pro Quadratmeter. Da ist noch Luft nach oben.
Immobilienmakler: "Wenn man sich kein Limit setzt, kann man da schnell in so einen Bieterwahn verfallen. Und das ist nicht gut. Viele Leute sehen es so, bei einer Klamotte, da ist es ihnen wichtig, ob ich jetzt 12,50 Euro oder 9,90 Euro ausgebe, aber bei einer Immobilie ist es dann egal, ob es 80.000 oder 90.000 Euro sind."
Neun Uhr, die Versteigerung beginnt auf die Minute genau. Aufnahmen sind − wie in Deutschland immer bei Gericht – ab jetzt nicht mehr gestattet. Ein junger Mann geht sofort nach vorne an die leicht erhöhte Richterbank und bietet im Namen seiner polnischen Mutter 90.000 Euro. Der Rechtspfleger, der das Verfahren leitet, notiert sich die Daten des Mannes, prüft den Verrechnungsscheck, den er als Sicherheitsleistung hinterlegt und ruft das Gebot anschließend laut in den Saal. Zufrieden setzt sich der junge Mann neben seine Mutter, eine stark geschminkte, mit Schmuck und Pelzmantel behängte, leicht korpulente ältere Dame und deren Freundin. Die Mutter, die anonym bleiben möchte, lebt in Stettin, will aber trotzdem in Berlin eine Wohnung kaufen...
(Übersetzung von Freundin) "... weil die Dame sehr schön Berlin findet und ist einfach fasziniert von Berlin, findet viel schöner wie Paris und sie würde einfach eine Wohnung hier kaufen, dass sie mehr Zeit verbringen kann in Berlin."
Dass die Wohnung, die sie ersteigern will, vermietet ist, schreckt sie offenbar nicht ab. Ein zweiter Bieter steigt ein, erhöht auf 95.000, die polnische Familie geht auf 100.000. Dann passiert zehn Minuten erst einmal nichts mehr. Niemand steht auf, niemand bietet. Alle warten ab, wer den nächsten Schritt macht. Irgendwann steigen drei weitere Bieter ein, erhöhen das Gebot jeweils nur um wenige Tausend Euro. Die Polin setzt jedes Mal sofort ein Gebot dagegen. Längst schon sind die 104.000 Euro, auf die die Wohnung geschätzt wurde, überschritten. Erst bei 135.000 Euro bietet keiner mehr mit, fällt der Hammer.
(Übersetzung von Freundin) "Die Dame arbeitet schon 45 Jahren und könnte sich das leisten. – Aber die ist vermietet, da wohnt jemand drin. – Das ist einfach Kapitalanlage. – Die wohnt seit 37 Jahren drin, die kann man auch nicht kündigen. – Vielleicht zieht er weg, vielleicht bleibt er weiter wohnen, mal schauen. Wir lassen uns mal überraschen."
Die Zwei-Zimmer-Wohnung geht 31.000 Euro über Wert an die Käufer. Keineswegs ungewöhnlich, sondern in Berlin mittlerweile fast üblich. Der Verwalter des ganzen Hauses, in dem die Wohnung liegt, bleibt dennoch kopfschüttelnd im Saal zurück. Er wollte eigentlich mitbieten, die hohen Gebote haben ihn aber abgeschreckt. Und der 37 Jahre alte Mietvertrag:
"Überhöht, Wahnsinn, auf dem Markt findet man dasselbe. Und überhaupt, man kann gar nicht so Eigenbedarf deklarieren. Das ist fast unmöglich in Berlin, fast unmöglich, sag ich mal. Das kriegt man schon auf dem freien Markt für eins-acht pro Quadratmeter, 1800 Euro. Das ist jetzt über 2000 Euro gegangen. Das ist jenseits von Gut und Böse. Das ist so."
Wem die Wohnung eigentlich gehört, warum sie zwangsversteigert wird, was das für den Mieter bedeutet – das alles spielt keine Rolle beim heutigen Termin. Die Gerichte wickeln nur ab.
Angst und Schrecken einer überschuldeten Familie
Eine Kleinstadt irgendwo in der Nähe von Frankfurt am Main. Hier wohnt eine Familie − nennen wir sie Petra und Stefan Pfeifer − die die andere Seite von Zwangsversteigerungen kennt, die Angst und Schrecken gleich mehrfach erlebt hat. Die Pfeifers sind bürgerliche, fleißige Menschen. Sie wohnen mit ihren beiden erwachsenen Kindern in einem zweistöckigen, kleinen Einfamilienhaus, das sie neben dem Haus seiner Eltern errichtet haben. Beide Häuser sind durch ein Flachdachgebäude verbunden, in dem Stefan Pfeifer ein kleines medizinisches Unternehmen betreibt. Die Pfeifers wurden in den letzten 15 Jahren mehrfach falsch beraten oder gar betrogen und in die Zwangsversteigerung getrieben.
Stefan Pfeifer: "Eigentlich ging es im schon los im Jahr 2000, wo wir den Neubau gebaut haben, sind wir an einen Bauträger gekommen, einen Generalunternehmer und der hat sehr viele Baumängel am Haus gebaut, so wie man das eigentlich typisch im Fernsehen sieht oder wie man das immer wieder hört."
Wie so oft geht der Bauträger pleite, hinterlässt Baumängel und unbezahlte Rechnungen in Höhe von 100.000 Euro. Die drei Gebäude, in denen drei Generationen der Familie Pfeifer leben, müssen das erste Mal in die Zwangsversteigerung. Doch es besteht Hoffnung. Petra Pfeifer bekommt von einem neuen Arbeitgeber ein lukratives Job-Angebot und obendrein noch einen privaten Kredit. Mit diesem ersteigert sie die Gebäude. Die Pfeifers können bleiben.
Stefan Pfeifer: "Und dann fing der Albtraum erst richtig an, nachdem wir den Bauträger dann noch bezahlt haben zu 50 Prozent, kamen plötzlich Subunternehmer des Baubetreibers auf uns zu, der Elektriker, der Fliesenleger und die wollten noch mal das Geld haben, obwohl wir es schon einmal bezahlt haben. Und auch da hatten wir noch einen falschen Rechtsanwalt. Wir mussten den Elektriker ein zweites Mal bezahlen. Und den Fliesenleger, da haben wir uns einen ganz alten Rechtsanwalt gesucht, und der hatte wirklich Ahnung und der hat es dann geschafft, dass wir die Fliesen nicht ein zweites Mal bezahlen konnten."
Der nächste Schock: Petras neuer Arbeitgeber geht nach einigen Monaten pleite, setzt sich nach Dubai ab und hinterlässt in Hessen und in der Schweiz 220 Millionen Euro Schulden. Nun wendet sich die Deutsche Bank wegen des Kredits direkt an die Pfeifers. Die hatten bei einem Notar eine so genannte Sicherheitszweckerklärung unterschrieben. Damit haften sie an Stelle des Unternehmers. Petra Pfeifer, eine hübsche schmale Frau mit langen dunklen Haaren, verzeiht sich diesen Fehler bis heute nicht.
Petra und Stefan Pfeifer: "Ich war zu leichtgläubig. Ich habe eine wirklich sichere Existenz aufgegeben, nur um zu sagen, ich traue mir noch mal was Neues zu und war einfach zu leichtgläubig. – Also, das Wort leichtgläubig ... – Wir waren ja schon durch diese andere Situation nicht mehr geprägt auf Leichtgläubigkeit. Es sind ganz, ganz viele ihm auf den Leim gegangen. Der hat eine Insolvenz von 220 Millionen innerhalb von zwei Jahren hingesetzt. Ja, also ich behaupte heute, er war ein Ganove."
Stefan Pfeifer, der eigentlich nebenan arbeiten müsste, hat sich mit an den langen Esstisch gesetzt in dem bunt gestrichenen, offenen Wohnzimmer mit den großen Fenstern. Jeden Monat, so erzählt er, haben sie brav das Geld an die Bank überwiesen, nie auch nur ein einziges Mal damit ausgesetzt, stets gehofft, dass sich irgendwann alles aufklären wird.
Petra Pfeifer: "Am Anfang, weil wir uns ja nicht in einer Schuldnerposition gesehen haben, dass wir das verursacht haben, war das für mich einfach immer noch unreal. Am Anfang. Weil ich immer gedacht habe, irgendwie das wird sich schon alles aufklären, dass das nicht richtig ist und wir müssen es jetzt ein bisschen aussitzen, aber es wird sich schon irgendwie alles aufklären."
Aber die Deutsche Bank kennt kein Erbarmen. Als das Haus zum zweiten Mal zwangsversteigert werden soll, verlässt die Pfeifers langsam die Kraft.
Petra Pfeifer: "Man wird innerlich sehr aufgewühlt, man kann nachts nicht ruhig schlafen, am nächsten Morgen denkt man, jetzt kommt wieder irgendein Schreiben vom Gericht. Der Briefkasten wird schon gar nicht mehr geöffnet oder es kommt jemand an die Tür und klingelt – das sind natürlich alles Situationen, wo man richtig Bauchschmerzen bekommt."
Die Pfeifers unterbrechen das Gespräch, sie müssen ins Nachbargebäude, die Arbeit wartet. Sie ist die Existenzgrundlage der Familie. Die Tochter steht am Empfangstresen des kleinen medizinischen Betriebs, Stefan Pfeifer behandelt die Patienten. Petra Pfeifer sucht eigentlich eine Anstellung im Vertrieb, jobbt so lange im örtlichen Einzelhandel für 800 Euro netto. "Die Familie gibt mir Halt", sagt Petra Pfeifer "und unser Glaube."
Hilfe bietet die "Aktion Neuanfang"
Tatsächlich wirken die Vier ziemlich entspannt in ihrer misslichen Lage. Das liegt vielleicht daran, dass Petra Pfeifer inzwischen Unterstützer gefunden hat. Im Internet stieß sie auf die "Aktion Neuanfang", eine Firma, die anderen aus der Zwangsversteigerung heraus hilft. Seitdem kämpfen die Pfeifers nicht mehr alleine, sondern zusammen mit den Mitarbeitern von "Aktion Neuanfang".
Petra Pfeifer: "Also da sind sie schon wirklich akribisch dahinter, man hat den persönlichen Kontakt per e-mail oder Telefon. Sie sind auch wirklich so, dass jeder normale Bürger sich mit ihnen verständigen kann. Nicht verklausuliert und nicht bürokratisch, sondern einfach so, als wären sie selber in so einer Situation. Und so würden sie es auch hessisch rausbabbeln."
Heidemarie Gerbig hat die Beratungsfirma "Aktion Neuanfang" in Nauheim vor 13 Jahren gegründet. An diesem Morgen sitzt sie in ihrem hellen Büro im kleinen Industriegebiet des Örtchens, greift zum Telefonhörer und ruft die Deutsche Bank an. Es geht um die Pfeifers:
"Hallo guten Tag Herr Silvanus, ich grüße Sie. Nee, habe ich kein Fax bekommen. Aha. Gut. Warum, was steht da drin? Das ist kein Problem, des haben wir gleich. Ich schick's Ihnen dann gleich rüber."
Die Unterschrift der Pfeifers auf der Vollmacht für Aktion Neuanfang ist angeblich nicht gut zu lesen. Kein Problem für Heidemarie Gerbig. Während sie ihre Mitarbeiterin bittet, Petra Pfeifer wegen einer neuen Vollmacht anzurufen, erzählt sie von dem Fall. Seit 13 Jahren hilft Gerbig Menschen aus der Zwangsversteigerung, ungefähr 100 Mal hatten sie und ihr Team bislang Erfolg. Bei Familie Pfeifer wird sie trotz aller Erfahrung richtig sauer:
"Wir werden uns wirklich massiv beschweren, wir werden das nicht vom Tisch gehen lassen, das kommt nicht in Frage. Das sind so viele Verfahrensfehler gemacht worden, so viele andere Dinge, die auch rechtlich nicht in Ordnung sind und die aber auch menschlich nicht in Ordnung sind. Und dann kommt noch dazu: kaufmännisch auch nicht."
Als ihr Haus zum zweiten Mal in die Zwangsversteigerung geht, wollen die Pfeifers wieder mitbieten. Sie geben ein Gebot ab, aber das ist ungültig, weil auf ihrem Bieterscheck das Datum fehlt. Die Rechtspflegerin bemerkt den Fehler erst nach 25 Minuten, als die Versteigerung schon fast vorbei ist. Jetzt mischt sich Heidemarie Gerbig von "Aktion Neuanfang" ein. Sie lehnt die Rechtspflegerin als befangen ab und die muss das Verfahren ohne Zuschlag abbrechen. Die Kollegen von "Aktion Neuanfang" haben nun Zeit gewonnen. Sie suchen und finden einen privaten Investor, der 5000 Euro mehr für das Haus bietet und es nach dem Kauf zehn Jahre lang an die Pfeifers vermietet. Jan Brendel von der "Aktion Neuanfang" hat den Deal eingefädelt:
"Wir arbeiten drauf hin, dass wir die Investoren finden, die solche Immobilien kaufen, die einen Mietvertrag anbieten und auch den Rückkauf anbieten. Das ist ein langer Weg. Es muss sehr vieles passen. Es muss die Immobilie passen und, worauf unsere Investoren Wert legen, auch auf die Geschichte der Familie. Wir vermitteln Häuser mit Geschichte."
Anders als bei Gericht spielt die Geschichte der Immobilie und die Menschen, die dahinter stehen, in den Beratungen eine entscheidende Rolle. Bei allen Unterschieden gibt es auch Gemeinsamkeiten: Die Menschen stammen aus der Mittelschicht und sitzen nicht wegen fehlender Zahlungsmoral vor Jan Brendel. Sie bekommen von ihrer Bank keine Anschlussfinanzierung mehr, manche Selbstständige haben Finanzprobleme oder das Vermögen muss nach einer Scheidung getrennt werden. Die Betroffenen sind meist zwischen 50 und 55, für Brendel der Beginn der Altersarmut:
"Sie müssen sich vorstellen, das Haus geht weg, sie bekommen nicht mehr so viel Geld, wie sie der Bank schulden. Man geht in Ihr Gehalt, man geht in Ihre Rente, man pfändet ihre Verträge und als besonderen Bonus sitzt man noch auf der Straße. Das sind so 30-50.000 Familien jedes Jahr, wo das geschieht. Und wenn man das mal so auf zehn, 20 Jahre zurücksieht, ist das eine enorme Menge Geld, die hier, genau hier verschoben wird. Man sagt ja immer: die Schere zwischen Arm und Reich. In meinen Augen findet sie genau hier statt, genau hier bei den Zwangsversteigerungen. Weil hier wird eine ganze Menge Geld bewegt."
Für die Pfeifers kann sich das Blatt an diesem Morgen allerdings doch noch zum Guten wenden. Heidemarie Gerbig telefoniert ein zweites Mal mit der Deutschen Bank und versucht zu überzeugen, den Termin der Zwangsversteigerung abzusagen und stattdessen das Angebot des Privatinvestors anzunehmen:
"Hallo Herr Silvanus. Hmm. Hmmm. Da würden Sie 170.000 bekommen. Genau. Eben, das mein ich auch. Okay. Das ist auf jeden Fall prima, wenn wir den jetzt erst mal verschieben. Weil dann können wir ganz in Ruhe das alles abwickeln. Ne. Prima. Tschüüs. − Siieeeeeg. Juhuhuhu!"
Jubilierend läuft Heidemarie Gerbig ins Büro von Jan Brendel, die beiden freuen sich wie die Kinder, rufen sofort bei den Pfeifers an, die erst nach mehrmaligen Versuchen abheben.
Telefonat mit Petra Pfeifer:
"Gerbig, ah, ich hab sie. Ich hab sie! Ich habe jetzt mit der Deutschen Bank telefoniert. Die stimmen zu. Haben Sie das jetzt gehört? Wir stellen jetzt den Antrag, dass dieser Termin noch mal verschoben wird und die stimmen zu. Also die Deutsche Bank stimmt zu. – Jaaa - Dann wickeln wir den Kaufvertag, dann legen wir die Finanzierungsbestätigung vor – ja – und dann stimmen die dem Kauf zu – okay? – dann ist es rum – dann ist es rum und dann haben wir es endlich geschafft. – Kann man so sagen – dann freuen wir uns und dann habe ich auch keine Bauchschmerzen mehr. – Nee, die können sie wegschaffen. Weg damit."
Der Stimme von Petra Pfeifer merkt man an, dass sie noch nicht so ganz glauben kann, dass wirklich bald alles vorbei ist.
Jan Brendel: "Wir haben es jetzt schriftlich bekommen, dass man bereit ist, sich mit uns zu einigen. Im Telefonat hat man es gehört, es wird sich dann zeigen. Aber ich glaube nicht, dass es noch anders wird. Ja und wir haben jetzt die Hoffnung, dass es tatsächlich das erste Mal in unserer Erfahrung auch soweit ist, dass sich die Deutsche Bank auch an das Wort hält."
Tatsächlich. Ein paar Wochen später stimmt die Deutsche Bank der Vereinbarung auch schriftlich zu. 15 Jahre lang mussten die Pfeifers auf diesen Moment warten. Sie gehören zu den Menschen, die in den Häusern, die sie kaufen, leben. Eigentlich selbstverständlich. Aber so ist es nicht. Wohnraum ist längst zur Ware geworden, mit der Geschäfte gemacht werden, mit der spekuliert wird. Nicht nur auf dem freien Markt, sondern sogar vor den Augen der Gerichte.
Gerichtspflegerin: "Aufruf in dem Zwangsversteigerungsverfahren vor dem Amtsgericht Neukölln zum Aktenzeichen 70K15 aus 14, betreffend das Wohnungseigentum Nummer zwei an dem Grundstück Zaunkönigweg 22, in 12351 Berlin. Die Beteiligten und Bietinteressenten bitte eintreten in den Saal 128."
Die beste Methode, gute Preise zu erzielen
Im Amtsgericht Berlin-Neukölln steht eine 39-Quadratmeter Wohnung am Rande der Stadt zur Versteigerung an. Baujahr '72, vermietet, 38 Quadratmeter Wohnfläche, Verkehrswert: 49.000 Euro. Die Lage ist nicht begehrt, deshalb hält sich das Interesse in Grenzen: 13 Interessenten sitzen im Saal. Die Wohnung, die zwangsversteigert werden soll, gehört Gustav Hoch. Der 70-jährige kleine Mann mit den schlohweißen, leicht verwuschelten Haaren, dem bordeauxroten Pullover und dem verschmitzten Lächeln wirkt ausgesprochen gut gelaunt, dafür dass er gerade seine Wohnung verliert. Zwangsversteigerungen sind seine ganz persönliche Verkaufsstrategie:
"Das eine ist, wenn sie pleite sind und die andere ist ... ich nenne es immer – gesteuerte Zwangsversteigerung. Es gibt nirgendwo eine bessere Methode, gute Preise zu erzielen, als bei der Zwangsversteigerung. Manchmal drehen die Leute durch oder steigern sich in einen Rausch rein und diese Preise erzielen sie sonst nicht. Und ich steuere die Zwangsversteigerung heute, d. h. ich hab eine Vollmacht meiner Frau dabei. Wenn mir der Preis nicht passt, steige ich in Form meiner Frau selber ein."
Wenn Gustav Hoch eine seiner Wohnungen absichtlich in die Zwangsversteigerung bringen will, zahlt er einfach keine Betriebs- und Heizkosten und kein Wohngeld mehr. Das macht er so lange, bis es Stadtwerken, Stromanbietern oder Hausgemeinschaft reicht und sie den Antrag beim Amtsgericht einreichen. Dass er damit ständig unbeteiligte Dritte nervt, Gerichte unnötig beschäftigt, stört Hoch nicht. Im Gegenteil, er freut sich wie ein kleiner Junge über seinen gelungenen Streich:
"Ich versuche, einen Schnaps zu machen. So isch des. Also ich mach es öfters mal, nicht nur in Berlin sondern auch – ich wohn jetzt ja am Niederrhein – in Duisburg mach ich das hie und da mal. Und da ist es mehr oder weniger auch bekannt. Da kennt man mich. Und wenn es keinen Hysteriker gibt, dann nehm' ich die Wohnung wieder mit. Des kostet natürlich Gutachter- und Gerichtskosten, aber wenn Sie es dem Makler geben, der nimmt auch fünf Prozent plus Mehrwertsteuer. So dass es eigentlich unterm Strich – Jacke wie Hose."
Strafbar ist diese Strategie nicht − und durchaus bekannt bei Gericht. Punkt elf Uhr eröffnet Rechtspflegerin Sophie Warmuth die Versteigerung. Dann passiert erst mal lange gar nichts. Niemand steht auf, niemand bietet. In dem ehrwürdigen Gerichtssaal mit den geschnitzten Holzvertäfelungen, den schweren billardtischgrünen Vorhängen, den Bleiglasfenstern und den Messing-Deckenleuchtern aus den 50er-Jahren hört man nur den Verkehr der Großstadt leise rauschen. Sophie Warmuth und zwei Kolleginnen sitzen gelassen vorne, unterhalten sich ab und zu flüsternd. Sie kennen dieses Abwarten gut:
"Ich könnte mir vorstellen, dass das so eine Taktik ist, ich fang nicht am Anfang an, warte bis es fast vorbei ist, um dann das für weniger zu ersteigern. Aber es ist hier in der Tat nicht wie bei ebay oder in der Internetauktion, sondern wir machen wirklich so lange, bis keiner mehr bietet. Also ich weiß nicht, warum die erst so spät angefangen haben. Das variiert, haben wir mal so, mal so."
Auch bei Rechtspflegerin Sophie Warmuth ist der Saal manchmal zum Brechen voll, jagen sich die Leute gegenseitig im Preis hoch:
"In der Regel bei einem großen Termin sind es so zehn bis zwölf, weil dann auch manchmal Bieter mit dabei sind, die dann sehr hoch bieten, weshalb andere abgeschreckt werden. Wir hatten aber auch schon mal einen Termin, wo über 30 Bieter mitgeboten haben. Kommt auch vor. Ist selten, aber kommt vor."
Vom Gesetz her muss Sophie Warmuth bei jeder Versteigerung die Interessen beider Seiten berücksichtigen. Sie muss deshalb mindestens 30 Minuten warten, bis sie das Verfahren beenden darf. 30 Minuten sind die so genannte Mindestbietzeit. Anton Schwarz weiß das genau. Der Mittfünfziger im sandfarbenen Parka informiert sich online über Versteigerungstermine. Wenn er ein Objekt interessant findet, geht er hin. Das macht er oft. An diesem Morgen sagt er trotzdem keinen Piep. Dabei will er die Wohnung eigentlich haben, hat alles gut durchgerechnet:
"Man muss ja wissen, was man ausgeben will, und wenn man sich dieses Limit setzt, dann denke ich, dass man das vorher durchkalkuliert hat und entsprechend auch nicht über sein Limit raus geht. Manchmal ist es eine Spielerei. Ich gehe irgendwohin und entweder gefällt mir was und dann habe ich mein Limit oder es gefällt mir besonders gut, dann gehe ich eben drüber."
Nach 25 Minuten kommt endlich Bewegung in den Saal. Ein junger Mann geht zu Sophie Warmuth nach vorne, hinterlegt seine Sicherungsleistung und bietet 25.000 Euro. Gustav Hoch, dem Besitzer, ist das zu wenig, er erhöht sofort im Namen seiner Frau auf 26.000. Anton Schwarz bietet 30.000, ein Ehepaar steigt mit 39.000 ein und sagt dann nichts mehr. Am Ende sind nur noch Schwarz und Hoch übrig, bieten in Hunderterschritten. Bei 50.000 zieht sich Hoch zurück, das reicht ihm. Schwarz wartet auf das bekannte "zum Ersten, zum Zweiten und zuuuuum .... ", das bei Gericht etwas komplizierter klingt:
"Derzeit Meistbietender ist der Herr Schwarz mit einem Meistgebot von 50.000 Euro zum Dritten. Weitere Gebote können noch abgegeben werden. Dann jetzt kein weiteres Gebot mehr abgegeben werden und ich stelle fest, ungeachtet der Aufforderung des Gerichts wurde kein weiteres Gebot mehr abgegeben und um elf Uhr und fünf Minuten der Schluss der Versteigerung verkündet."
Zufrieden packt Gustav Hoch, dessen Wohnung gerade unter den Hammer kam, seine Unterlagen zusammen, verlässt den Saal, plaudert draußen noch ein bisschen mit dem neuen Besitzer, Herrn Schwarz.
Hoch: "Ja, ich bin zufrieden. Sie sehen ja, es ist gelaufen, wie ich es prognostiziert habe. 51 hätte ich am freien Markt wahrscheinlich nicht bekommen." − Schwarz: "Ja schade, dass Sie es mir nicht vorher verkauft haben, ich hatte Sie ja angeschrieben. Sie haben auf diese Chance gewartet. – Ja natürlich. (Lachen) – Ja, ich musste auch drauf warten. – Ja, ich habe natürlich schon ein bisschen kommen lassen. – Naja, wer nutzt die Chance nicht. Bietet sich an."
Gustav Hoch und Anton Schwarz haben beide gewonnen: Der alte Besitzer, weil er mehr als den Schätzwert für seine Wohnung bekommen hat. Der neue, weil er ohne Sucherei und Maklergebühren ein Spekulationsobjekt ersteigert hat, das nach seiner Kalkulation im Preis steigen wird. Ob es auch Verlierer in diesem Spiel gibt, interessiert die beiden Männer nicht.
Svenja Pelzel: "Hinter dem sachlichen Begriff Zwangsversteigerung steht in der Regel immer eine lange Geschichte. Es sind Erzählungen vom menschlichen Scheitern, von vergeblichen Hoffnungen, von unerfüllten Wünschen. In manchen Fällen sind es aber auch banale Geschichten, die sich hinter dem Wort verbergen. Sie haben in der Regel mit Geld zu tun und manchmal auch mit Betrügereien."
Autorin Svenja Pelzel
Autorin Svenja Pelzel© Svenja Pelzel
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