Zuwanderung

Migranten sind willkommen

Einbürgerungsfest für Brandenburg in Potsdam
Einbürgerungsfest für Neu-Brandenburger in Potsdam © dpa / picture alliance / Ralf Hirschberger
Von Annette Rollmann · 18.03.2015
Politiker der großen Koalition schlagen ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Modell vor. Das würde der Ideologie in der Debatte endlich den Boden entziehen und einen dringend nötigen Kulturwandel einleiten, meint die Journalistin Annette Rollmann.
Horst Seehofer sprach aus, was viele Deutsche denken: "Wir sind nicht das Sozialamt für die ganze Welt!" Bayerns Ministerpräsident macht mit diesem klaren, schlichten Ausruf ein Unbehagen deutlich, das sich aus Vorurteilen nährt. Eigentlich will er uns sagen, Fremde seien nicht willkommen, weil die Einheimischen für sie zahlen müssten, ohne von ihnen zu profitieren.
Es ist die alte Abwehr, die seit Jahrzehnten die Debatte über Migranten und Flüchtlinge bestimmt, die immer noch weit verbreitet und doch aus der Zeit gefallen ist. Mit Willkommenskultur, die viele Politiker so wohlfeil propagieren, hat diese Haltung nichts zu tun.
Sicher ist es richtig, sich gegen den Missbrauch der Sozialsysteme zu wehren. Aber zu den Fakten gehört auch, was die Bertelsmann-Stiftung herausfand: Jeder zugewanderte Arbeitnehmer bringt dem Staat 3300 Euro jährlich ein – und darunter sind auch Rumänen und Bulgaren, die stets verdächtigt werden, nur an der Theke deutscher Sozialämter Geld zu kassieren.
Ein faires Angebot für Zuwanderer
Als prosperierendes Land inmitten eines vergleichsweise reichen Kontinents erscheint Deutschland denen als Verheißung, die Armut, Verfolgung und Krieg entfliehen wollen. Von der modernen Völkerwanderung verschont zu bleiben, wird eine vergebliche Hoffnung sein. Und eine falsche dazu. Denn wir brauchen Zuwanderung, um den demografischen Wandel abzuschwächen.
Doch wie sollen sich die EU und Deutschland dem Problem stellen? Das Asylrecht ist den religiös und politisch Verfolgten vorbehalten, das humanitäre Aufenthaltsrecht den Flüchtlingen aus Kriegen und Katastrophen. Welches wäre aber das faire Angebot an die anderen, die sich auf die abenteuerliche Reise durch die Illegalität nach Europa machen?
Thomas Oppermann, der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, will ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild einführen. Der Vorschlag ist nicht neu, er würde auch nicht allen interessierten Zuwanderern entgegenkommen, aber er könnte die Debatte in konstruktive Bahnen lenken.
Ausländische Bewerber, die Mangelberufe vertreten − wie Krankenpfleger, Ärzte und Klempner − erhielten nach diesem System mehr Punkte als Soziologen oder Friseure, jüngere Menschen mehr als ältere, um einwandern zu dürfen.
"Paten" sollen ins deutsche Leben helfen
Kanada ist aber vor allem in einem anderen Punkt Vorbild. Jeder Neuankömmling erhält seine Einbürgerungsurkunde feierlich aus der Hand des Bürgermeisters überreicht − als Zeichen: Der Neubürger ist aufgenommen, er kann stolz sein, Kanadier zu sein.
Dieses psychologische Moment hat auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber erkannt. Er will Welcome-Center einrichten: Jeder Einwanderer soll einen Paten bekommen, der ihm ins deutsche Leben hilft, beispielsweise, wenn er Ämter besuchen oder eine Wohnung mieten will. Eine gute Idee und eine anspruchsvolle Selbstverpflichtung, Einwanderung zu einer Erfolgsgeschichte zu machen.
Es muss sich etwas ändern in Deutschland. Nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch aus volkswirtschaftlichem Eigeninteresse. Wir brauchen gesellschaftlichen Konsens darüber, ein Einwanderungsland zu sein. Wer, wenn nicht die Große Koalition, hat die politische Kraft, diese Botschaft zu kommunizieren und durchzusetzen?
Ein Einwanderungsgesetz würde der Ideologie in der Debatte endlich den Boden entziehen. Damit könnte ein dringend nötiger Kulturwandel eingeläutet werden und Horst Seehofer wäre wirklich aus der Zeit gefallen.
Annette Rollmann, Journalistin, wurde 1965 in Hamburg geboren. Sie war Redakteurin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und Korrespondentin im Hauptstadtbüro des "Rheinischen Merkurs". Die Politologin lebt als freie Autorin in Berlin.
Annette Rollmann
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