Zuwanderung

"Das Klima hat sich sehr verengt"

Ein Poster der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegen "Masseneinwanderung" steht am 04.01.2014 auf dem Bahnhof SBB in Basel (Schweiz). Auch in der Schweiz tobt ein Zuwanderungsstreit - mit Deutschen statt Bulgaren als abschreckenden Beispielen. «Masseneinwanderung stoppen», fordern Rechtspopulisten. Verträge mit der EU sollen geändert werden.
Ein Poster der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegen "Masseneinwanderung" © picture alliance / dpa / Foto: Thomas Burmeister
Beate Rothmaier im Gespräch mit Katrin Heise · 31.01.2014
Am 9. Februar stimmen die Schweizer über die Einwanderung ab. Die in Zürich lebende deutsche Schriftstellerin Beate Rothmaier ist bezüglich des Ergebnisses pessimistisch. Sie verweist auf das 2009 per Volksabstimmung durchgesetzte Bauverbot für Minarette. Für sie sei es ein Phänomen, wie in einem so sicheren Land, die Ängste so groß werden können.
Katrin Heise: Seit die Schweizer Volkspartei, die SVP, in der Schweiz das Sagen hat, wird immer wieder Stimmung gegen Ausländer gemacht. Mal wurden sie als schwarze Schafe bezeichnet: Wenn sie sich nicht integrieren wollten, dann werfe man sie raus. Mal wurde gegen Minarette abgestimmt. Am 9. Februar geht es um die Einwanderung generell, auch um die mit der EU verhandelte Personenfreizügigkeit. Die ist laut Volksinitiative nämlich ein Problem. Es würde im wahrsten Sinne des Wortes zu eng in der Schweiz. Die Schriftstellerin Beate Rothmaier ist eine Ausländerin in der Schweiz: Sie ist in Deutschland geboren, lebt aber seit mehr als zwei Jahrzehnten in Zürich. Ich grüße Sie! Schönen guten Morgen, Frau Rothmaier!
Beate Rothmaier: Guten Morgen, Frau Heise!
Heise: Fühlen Sie sich eigentlich gemeint von dieser Kampagne, denn mit dem Ja wird ja auch gegen EU-Einwanderer votiert?
Rothmaier: Ich fühle mich von dieser Initiative jetzt nicht gemeint. Von anderen, die gegen die Ausländer in der Schweiz sich gerichtet haben, habe ich mich schon gemeint gefühlt. Vor allem habe ich mich sehr betroffen gefühlt durch eine, ab dem Jahr 2008 ungefähr stark grassierende deutschfeindliche Stimmung, die hier entstanden ist, nachdem sehr viele Deutsche in die Schweiz eingewandert sind.
Heise: In Ihrem aktuellen Roman "Atmen bis die Flut kommt", da geht es nicht um das Problem. Aber es gibt eine Szene, da sitzt ein Mann in einer Züricher Kneipe, er lebt seit Jahren dort, obwohl er aus Deutschland stammt, rund um ihn herum ist ein angeregtes Gespräch, bis er sich irgendwie zu Wort meldet auf Hochdeutsch und danach herrscht so was wie Beklemmung. Sind das die Alltagsbeobachtungen, die auch Ihnen klar machen, so richtig erwünscht bist du als Deutsche nicht?
Rothmaier: Ganz genau. So habe ich das erlebt, wobei ich dem versucht habe zu begegnen, dass ich von Anfang an mich sehr bemüht habe, das Schweizer Deutsch zu lernen, was mir als Süddeutsche, also als Schwäbin, nicht so sehr schwer gefallen ist. Allerdings wurde schon auch immer mein deutscher Akzent bemängelt. Jedoch ist es inzwischen so, dass ich im Alltag, sage ich mal, jetzt in den Geschäften und auf der Straße und so, mit dem Schweizer Deutsch ganz gut zurecht komme und sozusagen nicht immer sofort als Deutsche erkannt werde.
Deutsche sollen arrogant und dominant sein
Heise: Welches Bild von den Deutschen herrscht denn in der Schweiz?
Rothmaier: Dass sie zackig sind, dass sie zu sehr fordernd sind, dass sie sehr arrogant sind, dass sie dominant sind und versuchen, den Schweizern klar zu machen, wie was zu gehen hat. Ich denke, das ist aber eine Problematik, die damit zusammenhängt, dass sehr viele Akademiker, Führungskräfte in die Schweiz eingewandert sind, und die müssen natürlich Schweizer führen und sind für die verantwortlich und müssen denen auch Anweisungen geben. Ich denke, das ist auch ein Konflikt. Da will man sich von Deutschen erst recht nichts sagen lassen, was ich zum Teil auch nachvollziehen kann, diese Animosität.
Heise: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, ich wollte nämlich jetzt noch fragen: Bei wem herrscht dieses Vorurteil oder dieses harte Urteil Deutschen gegenüber vor? Das scheint ja dann doch sehr weit verbreitet zu sein und sich nicht auf irgendwie sich vielleicht minderwertig fühlende Schicht der Schweizer oder an den Rand gedrängte Schicht der Schweizer zu begrenzen, sondern doch ein sehr allgemeines Bild zu sein.
Rothmaier: Ja ich denke, es hängt damit zusammen, dass dadurch, dass gut ausgebildete Leute gekommen sind aus Deutschland, der Mittelstand sich auch bedroht fühlt. Ich höre das von Menschen, die in, sage ich jetzt mal, festen Erwerbsverhältnissen sind, also richtig fest angestellt sind irgendwo. Mich persönlich betrifft es weniger, weil ich ja Schriftstellerin bin und frei arbeite und auftragsweise arbeite und insofern nicht so stark eingebunden bin in so einen Kontext.
Heise: Das heißt, wenn Sie im Bekanntenkreis Diskussionen darüber hören, dann werden Sie quasi immer ausgenommen? Sie persönlich sind dann nicht diejenige, die gemeint ist?
Beate Rothmaier, aufgenommen am 12.10.2013 auf der 65. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
Beate Rothmaier im Oktober 2013 auf der 65. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.© picture alliance / dpa / Foto: Arno Burgi
Rothmaier: Nein. Es wird gesagt, die sind so und so, aber du bist ja ganz anders. Das ist so was fast Bizarres, was da auseinanderklafft. Das betrifft dann nicht nur die Deutschen, davor waren Kosovaren beziehungsweise Einwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die Volksgruppe wird abgelehnt, aber die einzelne Person wird sehr anerkannt und auch wertgeschätzt, und das klafft sehr auseinander.
Heise: Die Schweiz hat eine Arbeitslosenquote von gerade mal drei Prozent. Wegen Überalterung und Fachkräftemangel sei Zuzug notwendig, so argumentieren Fachleute. Aber diese Volksinitiative versucht, die Menschen vom Gegenteil zu überzeugen, und zwar mit Szenarien wie, jedes Jahr müsste eine ganze Stadt neu entstehen bei diesem Zuzug, es würden 42.000 Autos jährlich dazukommen, es käme zu einem Mangel an Lehrern und Krankenhausbetten.
Rothmaier: Genau.
Heise: Wenn man sich diese Website ansieht: das ist ein Horrorszenario, was da gezeigt wird. Verfängt das? Glaubt man das?
Rothmaier: Es ist so, dass es geglaubt wird. Ja, das ist mein Eindruck, dass jeder von seiner individuellen einzelnen Erfahrung ausgehend das dann hochrechnet und man sagt, Gentrifizierungsprozesse jetzt in Züricher Stadtquartieren, die hängen mit der Einwanderung zusammen, die Mieten werden teurer. Dass das natürlich auch immer ein Hausbesitzer ist, der dann diese überrissene Miete von gut verdienenden Leuten verlangt, und die auch, weil sie dringend was suchen, bereit sind, die zu bezahlen, wie das in anderen Großstädten auch der Fall ist, das wird dann so ein bisschen ausgeblendet.
Heise: Gegen Einwanderung – die Schweizer stimmen demnächst über Personenfreizügigkeit in ihrem Land ab, und dazu im "Radiofeuilleton" zu hören die deutsche Schriftstellerin Beate Rothmaier, die in Zürich lebt. Frau Rothmaier, das scheint ja dann pure Emotion zu sein. Überalterung, Fachkräftemangel, Steueraufkommen durch die Ausländer, all das spielt keine Rolle?
Rothmaier: Nein, zumindest nicht argumentativ. Man versucht, dem schon entgegenzuhalten. Ich lese das, sowohl die Regierung als auch beide Kammern des Parlaments sind ja dafür, dass diese Initiative abgelehnt wird. Auch die Wirtschaftsverbände, alle sind dagegen. Aber es geht jetzt um die Volksabstimmung, und das kann schon passieren, dass es immer wieder passiert, dass das Volk zu etwas nein sagt, was eigentlich doch von der Regierung gewünscht würde. Das ist die große Problematik, die dahinter steckt.
Heise: Beziehungsweise in diesem Fall Ja sagt, nämlich zu einer Begrenzung, und da scheint ja – am 9. Februar wird abgestimmt –, so ein Stimmungswandel sich zu vollziehen. Noch sind die Befürworter dieser Initiative bei 43 Prozent, 50 Prozent wollen noch mit Nein stimmen, aber das Ja-Lager hat sehr stark zugelegt, um sechs Prozent, wo hingegen die Gegner um fünf Prozent verloren haben. Womit rechnen Sie? Glauben Sie, es wird am Ende gegen die Ausländer abgestimmt?
"Abschottungstendenzen sehr groß"
Rothmaier: Ich bin pessimistisch, ja, und gehe davon aus, dass das angenommen wird, und zwar deshalb, weil es gab auch bei der Minarett-Initiative, falls Sie sich erinnern, einen Tippeffekt kurz vor dem Abstimmungstermin, und ich erlebe das so, dass das Klima hier sich sehr verengt hat und die Abschottungstendenzen sehr groß sind, die Verunsicherung und die Ängste. Wobei wissen Sie: das finde ich jetzt ein wirklich interessantes Phänomen, auch für mich jetzt als Schriftstellerin, zu beobachten, wie in einem Land, in dem man so sicher und gut leben kann, die Ängste so groß werden. Fast scheint es so eine Parallelentwicklung zu geben. Je größer die Sicherheit wird, je mehr wir uns versichern, umso größer werden die Ängste. Das ist ganz eigenartig.
Heise: Sie haben eben davon gesprochen, dass der Mittelstand sich bedroht fühlt. Ist das denn faktisch tatsächlich so?
Rothmaier: Das kann ich Ihnen mit Zahlen nicht belegen. Es ist schon so, dass ich das immer wieder höre von Menschen, aber Sie haben es ja selbst erwähnt mit den Arbeitslosenzahlen. Es sind wohl Arbeitskräfte, die kommen, die gebraucht werden, die auch direkt im Ausland angeworben werden, damit sie in die Schweiz kommen, um hier ihr Know-how einzubringen. Was aber überhaupt nicht diskutiert wird in diesem Zusammenhang ist, dass die Ausbildung, die diese Leute mitbringen, die Abschlüsse, die akademischen und auch die anderen, die Berufserfahrung, dass sie die im Ausland gesammelt haben und auf Kosten der anderen Länder, aus denen sie kommen.
Heise: Wird denn eigentlich – Sie sagen, Sie finden es als Schriftstellerin und als Beobachterin auch interessant – dieses Aufkommen der Ängste in einem so sicheren Land, wird das denn tatsächlich aufgegriffen, weil mit diesen Ängsten kann man natürlich spielen? Aber von der anderen Seite müsste man diese Ängste tatsächlich mal wahrnehmen und damit arbeiten.
Rothmaier: Ja, aber es gibt wenig Debatte darüber, so wie ich das wahrnehme. Es gibt privat auch nicht sehr viel politisches Gespräch oder politische Debatte, so wie ich das von Deutschland aus kannte, wenn jemand sagt, das muss man ablehnen. Aber es wird nicht wirklich debattiert, ist mein Eindruck, und das finde ich sehr schade.
Heise: Danke schön, Frau Rothmaier, für Ihre Einschätzungen.
Rothmaier: Bitte schön, Frau Heise. Danke für Ihren Anruf.
Heise: Die Stimmung in der Schweiz Ausländern gegenüber beschrieb Beate Rothmaier. Die deutsche Autorin lebt in Zürich. Am 9. Februar stimmen die Schweizer über die Einwanderung ab. Rothmaiers Bücher, so auch ihr letzter Roman "Atmen bis die Flut kommt", sind in der Deutschen Verlagsanstalt erschienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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