Zuwanderer und Antisemitismus

"Aufklärung! Aufklärung, Integrationsarbeit!"

Flüchtlinge gehen an der deutsch-österreichischen Grenze nahe Wegscheid nach Deutschland.
Verschiedene Einrichtungen arbeiten an einem Konzept, um Aufklärungsarbeit zum Umgang mit Antisemitismus zu leisten. © dpa-Bildfunk / Armin Weigel
Von Henry Bernhard · 27.01.2016
Unter den Zuwanderern sind auch Menschen, die antisemitisch geprägt sind. Um diese Menschen zu erreichen, hat sich die Gedenkstätte Buchenwald ein Programm überlegt.
Levi Salomon ist Jude. Anfang der 90er ist er von Moskau nach Berlin ausgewandert, auch auf der Flucht vor dem Antisemitismus in Russland. Er arbeitet für das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, einen Bildungsträger. Und er macht sich Sorgen um Zuwanderer, die antisemitisch geprägt sind.
"Wenn ich würde sagen Nein, würde ich lügen, natürlich habe ich diese Sorgen. Aber jetzt ist die Frage: Woher kommen diese Sorgen? Warum muss ich als jüdischer Mensch diese Sorgen haben? Weil die Menschen hier zu uns nach Deutschland kommen, die in einer Diktatur aufgewachsen sind, wo Antisemitismus eine Staatsdoktrin war. Und wenn diese Menschen aus einem Land, das antisemitisch geprägt war, nach Deutschland kommen, dann werden sie nicht sofort Demokraten sein. Die tragen ihren Antisemitismus immer noch mit sich."
Natürlich weiß Levi Salomon: Nicht jeder Moslem, nicht jeder Araber ist Antisemit. Aber er weiß auch, dass er anderen Juden schon länger empfiehlt, in Berlin in bestimmten, von Zuwanderung geprägten Vierteln keine Kippa zu tragen. Wie geht man mit denen um, die nach Deutschland zugewandert sind und Juden bedrohen?
"Diese Menschen kann man nicht abweisen oder zurückschicken, durch den Krieg, der herrscht. Und wir als jüdische Menschen wissen Bescheid, was das heißt, was es bedeutet, wenn jemand verunglimpft wird, verfolgt oder in kriegerischen Zuständen…"

Levi Salomons Antwort:
"Aufklärung! Aufklärung, Integrationsarbeit!"

Aufklärung in Deutschland heißt: die deutsche Vergangenheit thematisieren, eine Aufgabe von Schulen und Gedenkstätten. Volkhard Knigge, Leiter der Buchenwald-Stiftung, sieht das Problem, dass es in diesen Gedenkstätten um deutsche Geschichte geht:
In jeder Klasse gibt es mittlerweile Schüler/ Schülerinnen mit Migrationshintergrund in der zweiten oder dritten Generation. Wir sagen natürlich nicht: Du musst diese Geschichte um jeden Preis lernen! Und du musst deine eigene Herkunftskultur, deine eigene Geschichtskultur, deine eigenen Familienerzählungen aufgeben! Sondern wir sagen: Diese Geschichte, an dieser historischen Erfahrung kann man über das Deutschsein hinaus begreifen, mit welchen politischen Mitteln, mit welchen Mitteln der Kultur, des Sozialen, des Rechts eine Gesellschaft in die Unmenschlichkeit Knigge sieht es als Aufgabe, den Holocaust, die Entrechtung und Ermordung von Millionen Menschen so zu vermitteln, dass sie an Erfahrungen der Migranten anknüpfen.
"Wir haben es hier mit Menschen zu tun, die möglicherweise ´heiße` Menschenrechtserfahrungen haben; für uns ist ja Menschenrechtserfahrung eher kalt: Wir haben eigentlich im Durchschnitt nicht die Erfahrung, dass uns eine Bombe aufs Haus fällt, dass man auf der Straße verprügelt wird, dass man keinen Zugang zu Schulen bekommt, dass man von Schleppern betrogen wird, dass man von Grenzpolizisten an der Grenze mit brutalen Mitteln aufgehalten wird usw. Und wir werden ganz anders herausgefordert und auf die Probe gestellt, nämlich, ob wir Sonntagsreden halten so wertbezogen freundlich vor uns hinplappern, hätte ich beinahe gesagt, oder ob wir das ernst nehmen."
Die Perspektiven in der Geschichtsvermittlung
Schulen oder KZ-Gedenkstätten könnten so zu Stätten werden, an denen Zuwanderer und Kinder von Migranten auch über ihre Erfahrungen ins Gespräch kommen und damit der historischen Erfahrung Relevanz für die Gegenwart verleihen. Der Gedanke, die Perspektiven in der Geschichtsvermittlung zu erweitern, ist nicht neu, so die Erziehungswissenschaftlerin Astrid Messerschmidt von der TU Darmstadt.
"Es stellen sich eigentlich immer dieselben Probleme. Die haben häufig viel mehr mit konkreten Alltagserfahrungen der Besucher zu tun und mit deren Generationenidentitäten, viel mehr als mit nationalen Identitäten. Ich habe es ja auch mit Deutschen zu tun, die Verfolgungsgeschichten haben in ihrer Familie. Und da genauer hinzuschauen, das ist in den letzten Jahren eigentlich wichtiger geworden."
Warum aber sollen sich Zuwanderer mit den Verbrechen der deutschen Geschichte auseinandersetzen? Peter Reif-Spirek, stellvertretender Chef der Landeszentrale für politische Bildung in Thüringen, hat da eine klare Erwartungshaltung an die Zusanderer:.
"Zu erkennen, wie stark dieses Land in seiner Verfassung, aber auch in seiner politischen Kultur durch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus geprägt worden ist. Ich kann mich daran beteiligen, wie dieses politisch-kulturelle Erbe neu verhandelt werden kann, aber zu sagen, ´Ich habe mit diesem Erbe nichts zu tun`, ist im Grunde genommen eine Abwehr des Themas, wie wir es auch in bestimmten altdeutschen Milieus kennen."
Es geht im Grunde um die gleiche Aufgabenstellung wie bei der herkömmlichen innerdeutschen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus: dass man bewusst macht, welche mörderischen Konsequenzen die Ausgrenzung einer Minderheit hat und warum auch und gerade Gewalt gegen Juden ein strenges Tabu in Deutschland ist. In der Gedenkstätte Buchenwald hat man deshalb vor, in einem dreijährigen Modellversuch Pädagogen aus den Zuwanderungsländern zur Arbeit nach Deutschland einzuladen, um die kulturellen Hintergründe der Immigranten besser in die Vermittlungsarbeit einbeziehen zu können.
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