Zur Sprache gebracht

Von Maike Albath · 19.03.2010
Kathrin Röggla lässt sich von der vordergründigen Logik menschlicher Handlungsweisen nicht blenden und rückt den Erscheinungsformen des Alltags mit sezierendem Blick auf die Pelle. Literarisch entsteht ein temporeicher Sound von heute.
Die Welt ist eine Katastrophe, und wir sind mitten drin. So erleben es zumindest die Akteure in Kathrin Rögglas neuem Buch "die alarmbereiten". Wenn sie sich über ihre Lage, die notwendigen Maßnahmen, die möglichen Entwicklungen auslassen, schwingt immer auch ein versteckter Genuss mit - endlich haben sie direkt an etwas teil.

Die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla operiert nicht mit althergebrachten Helden, sondern inszeniert ein Stimmencluster: In sieben Kapiteln gibt sie die Rede verschiedener Figuren wieder, die sich jeweils auf ein unsichtbares Gegenüber beziehen. Dabei spielt sie verschiedene Szenarien durch und verwendet ausschließlich den Konjunktiv: "er glaube kaum, dass sie das beispielsweise kaltlasse, ja, er spreche seine sitznachbarin, frau strebitz, einmal direkt an, wer sei denn hier die expertin, wer sei hier die, die immer alles rausgekriegt habe?", heißt es im Kapitel "die zuseher", in dem eine Gruppe von Wirtschaftsleuten und EU-Beauftragten so etwas wie ein Katastrophentraining in Los Angelos absolviert.

Sowohl die nur skizzenhaft umrissenen Gesprächssituationen als auch der Tempusgebrauch haben eine faszinierende Sogwirkung: Der Leser spekuliert über den genauen Zustand der Beteiligten, bemüht sich, den Sprecher zu durchschauen und mutmaßt, wer die unsichtbare Person sein könnte, auf die sich die Redenden beziehen. Die Pointe dieser Konstruktion besteht darin, dass der Prozess des Dechiffrierens den Mechanismen ähnelt, mit denen Menschen auf Krisen reagieren – mit Spekulationen und paranoiden Phantasien. Die Autorin schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie entlarvt die Alarmierungssucht der vollkommen durchmedialisierten Gesellschaft und lässt den Leser deren Funktionsweise am eigenen Leib erfahren.

Das mag nach einer abstrakten Versuchsanordnung klingen, ist aber absolut mitreißend. Mit ihrem ästhetischen Verfahren kommt Röggla typischen Kommunikationsstrategien der Gegenwart auf die Schliche. In dem Kapitel "die erwachsenen" bezichtigt eine Lehrerin mithilfe eines psychotherapeutisch grundierten Redeverhaltens eine – wiederum unsichtbare – Mutter, ihre Tochter falsch zu erziehen und fordert am Ende gar die Trennung von der Tochter. In dem Abschnitt "das recherchegespenst" redet ein Bruder auf die recherchierende Schwester ein, die mitten in Gesprächen mit Kriegsreportern, OSZE-Beauftragten und Vertretern von Nicht-Regierungsorganisationen plötzlich an ihrer Vorgehensweise zweifelt.

Hinterrücks wird hier auch die Spezies der Katastrophenexperten porträtiert – Ärzte, Journalisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die nur noch im permanenten Ausnahmezustand existieren können. Im Kapitel "wilde Jagd" gruppieren sich eine "pseudo-psychologin", ein "quasifreund", ein "möchtegern-journalist", eine "irgendwie-nachbarin" und eine "optimale 14-jährige" um ein Entführungsopfer, das sich selbst befreit hat – die Parallelen zu dem Fall von Natascha Kampus liegen auf der Hand –, bieten ihre Hilfe an, wollen tatsächlich aber an der medialen Aufgeregtheit partizipieren und werfen dem Opfer am Ende den professionellen Umgang mit den Medien vor.

Kathrin Röggla lässt sich von der vordergründigen Logik menschlicher Handlungsweisen nicht blenden und rückt den Erscheinungsformen des Alltags mit sezierendem Blick auf die Pelle – literarisch kommt dabei eine radikale Zeitgenossenschaft heraus, ein temporeicher Sound von heute. Mit "die alarmbereiten" variiert sie eine österreichische Erkenntnis der Jahrhundertwende: Sprachkritik ist Gesellschaftskritik.

Besprochen von Maike Albath

Kathrin Röggla: die alarmbereiten
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010
189 Seiten, 18,95 Euro