Zum Tod von Udo Jürgens

Schlichte und tiefe Wahrheiten

Der Sänger und Komponist Udo Jürgens bei einem Konzert im Oktober 1986
Der Sänger und Komponist Udo Jürgens bei einem Konzert im Oktober 1986 © dpa / picture alliance / Hermann Wöstmann
Von Laf Überland · 21.12.2014
Mit seinem aktuellen Album "Mitten im Leben" wollte der 80-jährige Schlagerstar im Februar wieder auf Tournee gehen. Für manche waren Udo Jürgens' Lieder ein wenig banal, den Fans hingegen sang er aus der Seele.
Udo Jürgens war tatsächlich ein Superstar! Nur kam er aus einer Generation, als man Superstars hierzulande noch nicht so nannte. Aber 1969 bereits belegte er nach einer Repräsentativ-Umfrage der Wickert-Institute den dritten Platz bei den "Idolen der deutschen Jugend": erst John F. Kennedy, dann Robert Kennedy, und Udo Jürgens auf Platz drei.

Jürgen Udo Bockelmann, geboren in Kärnten, Vater aus Russland, Mutter aus Norddeutschland: ein kränklicher, magerer Junge. Aber wenn er mit seinem kleinen Akkordeon Musik machte – auch auf Dorffesten – dann war er der Größte! Das lag auch daran, dass er diesen feinen Sinn für Musik tatsächlich hatte, wohl auch damals schon. Mit 17 gewann er dann einen Komponistenwettbewerb vom Österreichischen Rundfunk, und ab da war er für jede bürgerlich-normale Biografie verloren. Seinem Vater sagte er: "Ich werde mit meinem Beruf auf- oder untergehen, das ist auf jeden Fall besser, als in einer Bank zu arbeiten", und er machte sich an die Arbeit.

Durchbruch erst mit Anfang 30
Und es war – Arbeit. 1951 gründete er eine Band, nahm auch Schallplatten auf, Gebrauchtschlager
von anderen ließ seine Plattenfirma ihn singen, bis er frustriert kündigte, doch Udo Jürgens, wie er sich jetzt nannte, blieb ein Unterhaltungsmusiker, der überall auftrat, wo man ihn singen ließ, und über zehn Jahre passierte lang nichts. Auch beim Grand Prix d'Eurovision fiel er zwei Mal durch. Aber dann, 1966, da war er bereits 32 ...
Manchmal hat Udo Jürgens Schlager raus gehauen, zum Mitschunkeln, aber meistens hat er die Wahrheit gesungen, oder sagen wir besser: schlichte Wahrheiten, schlicht wie einfach wahr!
Dabei riskierte er durchaus, Fans zu verlieren, wenn er die Verhütungsregeln der katholischen Kirche attackierte, und damit Proteststürme auslöste und einen Boykottaufruf; er sang über freundliche Gastarbeiter, gegen Spießigkeit und Bigotterie, Wettrüsten und schlechte Drogenpolitik, gegen Neonazis und sogar gegen die falsche Verteilung der Produktionsmittel, irgendwie...
"Was gut tut, tut gut!" sang Udo. "Frag nicht, was die Leute sagen!", und das Publikum klatschte begeistert mit. Und zu jedem seiner Lieder sagte irgendwer im Publikum: Ach, das kenne ich, das hatte ich auch mal...
Und der Höhepunkt war immer, wenn er mit großem Showorchester und mit Drive, Tempo und Herz dieses Lied sang über den Zusammenbruch des bürgerlichen Lebenswillens: Die Geschichte, wie einer sagt: Ich geh mal Zigaretten holen und dann vom Abhauen träumt: New York! Aber wie er dann doch wieder zurückgeht. In den spießigen Flur, der nach Bohnerwachs riecht. Zu seiner Frau. An seinen Platz mitten in diesem beschwerlichen Leben...
Die Popkultur dankte ihm
Natürlich wimmelte es von Klischees und banalem Kitsch in den Geschichten, die er sich schreiben ließ, wenn er eine Idee hatte, aber als er vor drei Monaten 80 wurde, kam der Respekt auch aus entfernteren Ecken der Popkultur. Denn: Das wirkliche Leben ist ja meist schrecklich banal.
So banal wie das Umfallen bei einem Spaziergang in einer malerischen Schweizer Gegend am Bodensee, wo am Sonntagnachmittag einfach sein Herz stehenblieb.
"Mitten im Leben" hieß das aktuelle Album und die wie immer höchst erfolgreiche Tournee, deren zweiten Teil Udo Jürgens ab Februar absolvieren wollte.
Was stattdessen von ihm übrig bleiben wird, ist die Erinnerung an einen sogenannten Schlagersänger, der sich die Tiefe seiner Einsichten selbst erarbeitet hat, und der sich nicht schämte, allen Ernstes auf das Einzige zu bauen, das die Menschen trägt: die Liebe! Programmtipp: Hören Sie um 11.07 Uhr in unserer Sendung Tonart auch ein Interview mit dem Musiker Willy Uebelherr, der Udo Jürgens 14 Jahre als Orchesterleiter begleitete.
Reaktionen zum Tod von Udo Jürgens als MP3-Audio zum Nachhören:

Thomas Bormann berichtet aus Athen. Audio Player Stephan Ozsváth berichtet aus Österreich. Audio Player Der deutsche Komiker und Autor Oliver Polak erinnert sich an ein Udo Jürgens Konzert in der Oldenburger Weser-Ems Halle 1987. Audio Player Für Schauspieler Ilja Richter war Udo Jürgens vielleicht der letzte deutschsprachige Entertainer. Liedtexter Michael Kunze erinnert sich an einen intelligenten und nachdenklichen Udo Jürgens. Audio Player
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