Zum Tod von Shimon Peres

"Mahner für den Frieden"

Israelischer Ec-Präsident Schimon Peres
Der frühere israelische Präsident Shimon peres ist im Alter von 93 Jahrne gestorben. © dpa / Jens Büttner
Sebastian Engelbrecht im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.09.2016
Shimon Peres sei das "Gewissen Israels" gewesen, sagt unser ehemaliger Israel-Korrespondent Sebastian Engelbrecht. Der frühere israelische Präsident habe immer wieder zu neuen Anläufen bei den Friedensgesprächen mit den Palästinensern aufgefordert - auch in Zeiten der rechtsgerichteten Regierung.
Peres habe 1993 die Osloer Friedensgespräche mit den Palästinensern gewagt, gemeinsam mit dem damaligen israelischen Rergierungschef Yitzhak Rabin: "Er wollte diesen Frieden wirklich - anders als Benjamin Netanjahu heute. Der redet viel vom Frieden, aber tut nichts wirklich für den Frieden."
Die Rede vom Shimon Peres im Bundestag zum Holocaust-Gedenktag am 27.01.2010 (36:50 min.)

"Ein politischer Utopist"

Zu den politischen Leitlinien des Friedensnobelpreisträgers Peres sagte Engelbrecht: "Er ist mir in erster Linie in Erinnerung als politischer Utopist." Tragisch sei allerdings gewesen, dass er mit seiner Utopie nie wirklich ans Ziel gekommen sei. Peres sei immer nur sehr kurz Ministerpräsident gewesen: 1977, 1984-86 und 1996 nach dem Tode Rabins. "Er war immer irgendwie der zweite Mann", so der frühere Korrespondent. Auch wegen seines Friedensengagements sei Peres lange umstritten gewesen und habe nie die großen Mehrheiten bekommen.
An die erste Stelle sei er erst als Staatspräsident gekommen und habe "dann endlich die höchste Achtung erreicht". Auch in Zeiten der rechtsgerichteten Regierung sei er "ein Mahner für den Frieden" geblieben und habe zu neuen Anläufen bei den Friedensgesprächen aufgefordert: "Er war das Gewissen Israels in dieser Zeit."
Dass Peres' Optimismus naiv gewesen sei, findet Engelbrecht nicht. Die Geschichte zeige, dass jeder Konflikt politisch lösbar sei - auch der zwischen Israelis und Palästinensern: "Wir werden das noch erleben."

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Er war Minister und Regierungschef und Staatspräsident und hat sich bis ins hohe Alter für die Verständigung von Israel und Palästina eingesetzt. Jetzt ist Shimon Peres nach einem schweren Schlaganfall von 93 Jahren gestorben. Der Blick von außen sieht vor allen Dingen den Friedensnobelpreisträger und den Optimisten, die Vaterfigur. Wie die Israelis den Staatsmann gesehen haben, weiß Sebastian Engelbrecht, der fünf Jahre lang bis 2012 Korrespondent in Israel war und jetzt bei mir im Studio ist. Schönen guten Morgen!
Sebastian Engelbrecht: Guten Morgen!
von Billerbeck: Shimon Peres gehörte ja im Ausland zu den wohl beliebtesten israelischen Politikern, anders als Netanjahu zum Beispiel. Wie stand es denn um die Beliebtheit im eigenen Land?
Engelbrecht: Das war über lange Jahrzehnte, ja, sagen wir mal, fifty-fifty. Bei den Linken war er beliebt, bei den Rechten weniger beliebt, dann erst später ist er zu einer Vaterfigur geworden. Ich erinnere mich an diese Spätphase, als er schon Präsident war, also, im höchsten Amt. Und da war ich unterwegs in Jerusalem, im Kongresszentrum, und da war so eine Meute von Journalisten und auch Kameraleute, Fotografen, und wie die so sind, so ein bisschen hemdsärmelig riefen die: Ey, Shimon, Shimon! Und wollten natürlich, dass er zu ihnen blickt und dass sie ein schönes Foto machen können. Ja, und daran sehen Sie schon, das war ein fast zärtliches Verhältnis, das die Israelis zu ihrem Präsidenten hatten, das war auf jeden Fall der Fall in dieser Schlussphase.

Peres kam mit seiner Utopie nicht ans Ziel

von Billerbeck: Aber Peres war nicht von Anfang an die Vaterfigur und diese sehr nahe Person, die Sie da eben auch beschrieben haben, sondern zu Beginn seiner politischen Karriere war er eher der Falke, ein Hardliner im linken Lager. Lassen sich trotz dieser Wandlung da politische Leitlinien in seiner politischen Biografie erkennen?
Engelbrecht: Ja, damit haben Sie schon die wichtigsten Leitlinien genannt. Er ist mir in erster Linie tatsächlich in Erinnerung als Utopist, als politischer Utopist. Das ist sicherlich die zweite Phase von den zwei Phasen in seinem politischen Leben. Er hat die Osloer Friedensgespräche 1993 mit den Palästinensern gewagt mit Yitzhak Rabin zusammen, man kann sagen, er wollte diesen Frieden wirklich, anders als Benjamin Netanjahu heute, der redet viel vom Frieden, aber tut nichts wirklich für den Frieden. Er hat dafür etwas gewagt. Dabei stand er natürlich mit Yitzhak Rabin immer ein bisschen in einem Konkurrenzverhältnis und wurde dann auch Ministerpräsident, nachdem Rabin ermordet wurde 1996, aber nur für kurze Zeit. Das Tragische war, dass er mit seiner Utopie nie wirklich zum Ziel kam, er war immer nur sehr kurz Ministerpräsident, 1977, dann noch mal 84 bis 86 und eben dieses halbe Jahr nach der Ermordung Rabins.
Das Tragische war lange Zeit bei ihm, er war immer irgendwie der zweite Mann. Auch wegen seines Friedensengagements war er umstritten und hat dann nie die großen Mehrheiten bekommen. Er war immer der Gestalter an zweiter Stelle. An die erste Stelle kam er eben wirklich erst als Staatspräsident und in dieser Funktion konnte er endlich dann die höchste Achtung erreichen in ganz Israel und auch international. Er blieb in Zeiten dieser rechtsgerichteten Regierung ein Mahner für den Frieden, er forderte zu neuen Anläufen bei den Friedensgesprächen auf, setzte sich auch für interreligiösen Dialog ein, er war das Gewissen Israels in dieser Zeit.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen, als Korrespondent ging es mir manchmal … fiel es mir manchmal schwer, sozusagen den täglichen Netanjahu zu lesen in der israelischen Politik, der mir so fremd war, und dann war es manchmal richtig wohltuend, diese Stimme des Gewissens zu hören, die Stimme, die immerhin noch sagte: Vergesst mal nicht, ihr, die ihr da in der Regierung seid, ihr seid auch verpflichtet, nicht nur etwas für die Siedlungen zu tun, sondern auch für den Frieden.

Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist lösbar

von Billerbeck: Das war ja sein großes Projekt, eben die Aussöhnung zwischen Israel und den Palästinensern. Trotzdem, muss man da nicht fragen: War sein Optimismus naiv?
Engelbrecht: Das würde ich nicht sagen. Die Geschichte zeigt, dass jeder Konflikt und auch jeder politische Konflikt so wie dieser politisch lösbar ist. Momentan ist er in einer sehr ruhigen Phase, obwohl es rundherum sehr unruhig zugeht, und nicht zuletzt die spektakuläre Einigung, die wir gerade in Kolumbien erlebt haben, 52 Jahre lang hat es dort einen scheinbar unlösbaren Konflikt gegeben, Ähnliches wissen wir aus Nordirland, zeigt, dass auch die unlösbarsten Konflikte am Ende lösbar sind. Dieses Credo habe ich als Korrespondent auch immer wieder aufrechterhalten und bin von den Moderatoren dafür immer wieder gescholten worden, aber ich glaube wirklich daran, dass dieser Konflikt lösbar ist, wir werden das noch erleben.
von Billerbeck: Könnte es sein, dass nun der Tod von Shimon Peres, die gemeinsame Trauer noch mal so eine Art Anschub gibt, eben diesen zwar gerade nicht akuten Krieg, aber doch festgefahren Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern wieder in Gang zu bringen?
Engelbrecht: Das wäre … Tja, das wäre sicherlich das, was Shimon Peres sich wünschen würde. Denn er war ein Mensch, der in die Zukunft geblickt hat, und das war sein Programm. Das ist übrigens auch etwas sehr Jüdisches, so wie die jüdischen Propheten immer in die Zukunft zu blicken und nicht beim Blick in die Vergangenheit zu bleiben. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, dass angesichts der gegenwärtigen Stimmung in Israel dieses Vermächtnis gesehen wird, denn das ist auch schon in der Zeit, als er Staatspräsident war, nicht wirklich gesehen worden.
Shimon Peres, das muss man sagen, ist auch in den Jahren 2007 bis 2014 so etwas wie eine utopische Friedensfassade für die israelische Politik gewesen, so etwas wie ein Feigenblatt. Insofern glaube ich jetzt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht daran, dass der Tod und die Erinnerung an sein Lebenswerk zu einem Ruck durch Israel führen wird.
von Billerbeck: Sebastian Engelbrecht war das, fünf Jahre lang unser Korrespondent bis 2012 in Israel, über Shimon Peres und die Situation in Israel. Shimon Peres ist ja jetzt mit 93 Jahren gestorben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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