Zum Tod von Fritz Rudolf Fries

"Eine Gegenwelt zur DDR"

Fritz Rudolf Fries
Fritz Rudolf Fries © imago/ gezett
Helmut Böttiger im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 18.12.2014
Im Alter von 79 Jahren ist der Schriftsteller und Übersetzer Fritz Rudolf Fries gestorben. "Ästhetisch war er vielleicht der größte Dissident der DDR", sagt der Literaturkritiker Helmut Böttiger.
Eckhard Roelcke: Der Schriftsteller Fritz Rudolf Fries ist im Alter von 79 Jahren in Petershagen in der Nähe von Berlin gestorben. 1935 wurde er in Bilbao geboren, 1942, also mit sieben Jahren, kam er nach Leipzig, zweisprachig, spanisch-deutsch ist er aufgewachsen, und das hat sein ganzes schriftstellerisches Leben entscheidend geprägt. Helmut Böttiger, Sie haben Fritz Rudolf Fries gut gekannt, seine Literatur intensiv gelesen. Wir sollten mit dem bekanntesten Werk von Fries beginnen, "Der Weg nach Oobliadooh", 1966 erschienen. Was ist denn das Besondere an diesem Buch, die literarische Qualität?
Helmut Böttiger: Ja, man konnte überhaupt nicht fassen, dass das Buch in der DDR geschrieben wurde. Der Autor war 31, als es veröffentlicht wurde, hat das also so mit Ende 20 geschrieben. Und es konnte in der DDR nicht veröffentlicht werden, obwohl er es versucht hat. Es lag bei einigen DDR-Verlagen, aber schon nach wenigen Sätzen im Grunde war klar: Das verstieß gegen alle Regeln des Sozialistischen Realismus und des Bitterfelder Wegs, der damals ausgerufen wurde. Das war ein Roman, der sehr von der westlichen Literaturtradition lebte, von der Moderne, mit Anklängen an Proust, Joyce, Kafka. Es ist das Werk eines Außenseiters, das ihn auch in der DDR zum Außenseiter machte, weil es dann eben bei Suhrkamp im Westen erschien. Und es geht um zwei Figuren, die im Leipzig der 50er-Jahre vor allem Jazz-Liebhaber sind. Und dieser Jazz ist natürlich eine Gegenwelt zur DDR, und darum kreist der ganze Roman.
Eckhard Roelcke: Und auf den Jazz spielt auch der Titel an. "Oobliadooh", ein Titel von Dizzy Gillespie. Der Jazz, eine ganz wichtige Rolle. Das müssen wir noch ein bisschen erklären, vielleicht, Herr Böttiger.
Böttiger: Jazz war natürlich in den 50er-Jahren schon in der DDR das Signum, dass man einen Außenseiterstatus hatte, wobei man nicht ganz vergessen darf, im Radio spielte Jazz natürlich eine Rolle, die eigentlich heute Pop spielt. Es war eigentlich die Funktion, die Pop hat, Unterhaltungsmusik, die aber im Bebop in den 50er-Jahren, und darum geht es im "Weg nach Oobliadooh", zur Kunstform wurde. Im Bebop hat sich der Jazz verselbstständigt zur Kunstform. Und diese beiden Figuren, Arlecq und Paasch, man merkt an den beiden Namen, dass das Kunstfiguren sind − Arlecq spielt auf den Arlecchino in der Commedia dell'arte an, und das ist so eine lustige, augenzwinkernde autobiografische Spielfigur von Fries − die gehen durch das Leipzig der 50er-Jahre, durch die Kalinin-Mensa, durch diese grauen, mit sozialistischen Neubauten verstellten Straßen und frönen dem Jazz, was die Gegenwelt da ist. Und in dieser Gegenwelt des Jazz gibt es tatsächlich Spracharabesken, Assoziationsketten, die wirklich an die zeitgenössische westliche Moderne gemahnen, und das ist natürlich eine Provokation gewesen, vor allem, dass diese beiden Figuren dann die "Ankunft im Alltag", das Schlagwort des Bitterfelder Wegs, umkehren und im Irrenhaus landen.
Eckhard Roelcke: Sie hatten die Anspielung, die literarischen Anklänge schon erwähnt, Herr Böttiger. Wir würden Sie denn den Stil beschreiben, der in diesem Buch zutage tritt, "Der Weg nach Oobliadooh" von Fritz Rudolf Fries?
Böttiger: Das ist kein Roman, der so identifikatorische Lesarten zulässt, der über gesellschaftliche Problematik abbildend schreibt, sondern das ist ein Roman, der vor allem aus literarischen Anspielungen lebt. Die Figuren Arlecq und Paasch, habe ich schon gesagt, Arlecq, Arlecchino. Aber man merkt, dass Fries eben in der spanischen und vor allem auch lateinamerikanischen Welt zu Hause war. Das ist sein Assoziationsprinzip: Es gibt ein Motiv, und dieses Motiv weckt sofort ein anderes Motiv, das zu Sprachbildern führt. Das ist also keine Handlung, die psychologisch motiviert ist, wo eine Szene sich an die andere reiht, sondern durch die Worte, durch die Wortmelodien, durch die Rhythmik entstehen ganz eigene Gesetze, wobei man natürlich sehr leicht folgen kann. Diese beiden Figuren, die ihr Leben so richtig genießen als Außenseiter in Leipzig, die Musik genießen. Also, es ist ein sehr musikalischer Roman, den man auch durchaus leicht lesen kann.
Eckhard Roelcke: Und ja starke Literatur, so wie Sie es beschreiben?
Böttiger: Also für mich ist das tatsächlich – und das ist keine Übertreibung – einer der wirklich bedeutenden Romane der letzten Jahrzehnte, die in deutscher Sprache geschrieben wurden. Und der Autor ist wirklich unterschätzt worden.
Eckhard Roelcke: In der Bundesrepublik ist der Roman erschienen, das haben Sie gesagt, im Suhrkamp Verlag. Er konnte nicht in der DDR erscheinen. Also ein DDR-Autor mit einer bundesdeutschen Öffentlichkeit, auch so ein Grenzgänger. War er doch so was wie so ein Heiner Müller ja auch, zum Beispiel?
Böttiger: Ja, das ist eine Generationsfrage. Bei Fries gibt es natürlich die tragische Komponente, dass er diesen Roman zu früh im Westen veröffentlicht hat. In dieser Zeit konnte man noch nicht so ohne Weiteres in den Westen ausreisen oder mit so einem Transitvisum hin- und herreisen. Fries ist da vergleichbar mit Peter Huchel, der ja in dieser Zeit, in den 60er-Jahren, in Wilhelmshorst isoliert war, also überhaupt keine Kontakte zur Außenwelt haben konnte und natürlich nicht in den Westen reisen konnte. Also hat Fries versucht, sich in der DDR zu akklimatisieren und hat sich in die DDR hineingeschrieben als Übersetzer, als Autor von Kinderbüchern. Und in den 70er-Jahren erschienen auch dann erste literarische Bücher von ihm in der DDR, die dieses augenzwinkernde Spiel mit verschiedenen literarischen Sprachen und Traditionen auch in der DDR praktiziert haben.
Eckhard Roelcke: Deutsch-spanisch aufgewachsen, wir hatten das schon gesagt, die spanische Kultur spielt bei ihm eine ganz wichtige Rolle. Welche Bedeutung hat er denn gehabt als Übersetzer jetzt auch in der DDR?
Böttiger: Er war in der DDR der Mittler der spanischen und lateinamerikanischen Welten. Er war neben Erich Arendt eigentlich der große Mann, der die Prosa dieses unendlichen Sprachraums tatsächlich in der DDR vergegenwärtigt hat. Am berühmtesten ist seine Übersetzung von Julio Cortázar, "Rayuela", also auch ein großer Roman der lateinamerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Und er war von daher in der DDR ein Exot, und dieser Exotenstatus machte ihn natürlich in jeder Hinsicht auch zum Außenseiter. Er war kein Autor, der so unter dem Ladentisch in der DDR verkauft werden konnte als Dissident, wobei er ästhetisch vielleicht der größte Dissident war.
Eckhard Roelcke: Er hat auch Pablo Neruda zum Beispiel übersetzt.
Böttiger: Ja.
Eckhard Roelcke: Fries war IM, Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. Wie kam es dazu? Wie ist er denn mit diesem Thema nach der Wende umgegangen?
Böttiger: Das ist ein Teil dieser tragischen Komponente seines Status in der DDR. Er wurde natürlich nach dem "Weg nach Oobliadooh" 1966 zehn Jahre lang von der Stasi observiert, es gibt da also eine Opferakte von Fries. Und man hat ihn unter Druck gesetzt. Er wollte sich ja in die DDR hineinschreiben, er wollte die DDR nicht verlassen. Er konnte sie auch bis Anfang der 70er-Jahre eigentlich nicht verlassen. Und man hat ihm eröffnet, wenn er ins Ausland reisen möchte, also nach Spanien, wo er geboren ist, nach Lateinamerika, dann soll er von diesen Reisen berichten. Und es gibt Berichte von diesen Reisen, die Fries geschrieben hat, die allerdings seitenlang vor allem Exzerpte aus den Zeitungen sind, aus "El País", aus lateinamerikanischen Zeitungen. Und diese Berichte sind von seinem Stasi-Offizier dann ins Reine geschrieben worden. Also Fries hat erzählt von seinen Reisen, und der Offizier hat es in seiner Schreibstube dann verschriftlicht. Das sind die Akten von Fries, die man jetzt in der Gauck-Behörde lesen kann, also in der Sprache seines Führungsoffiziers. Und da wird es sehr kritisch, weil Fries wollte sich entziehen, er wollte sich irgendwie da rauswinden, und man merkt dann, wie er sich auch in den Gesprächen mit dem Führungsoffizier rauswinden will. Aber er hat sich eben drauf eingelassen, um diese Reisen machen zu können, er hat es alles nicht überblickt.
Eckhard Roelcke: Ist es ihm dann gut gelungen, das auch transparent darzustellen, der Öffentlichkeit, nach der Wende?
Böttiger: Leider nicht. Das ist eigentlich in seiner Rezeption das größte Problem. Er war subjektiv der Meinung, er hat sich nichts vorzuwerfen. Er wollte sich nicht in die Rolle des Opfers hineinbegeben. Und er sah, das ist ein Teil des Literaturbetriebs, welche Leute sich da noch nach 1989 zu großen Dissidenten aufgespielt haben und diesen Stasi-Vorwurf dann natürlich sehr benutzt haben. Und da hatte er einen spanischen Stolz. Damit wollte er nichts zu tun haben und hat eben sich in den Medien, im Grunde den Mediengesetzen zuwiderlaufend verhalten. Wenn er einfach gesagt hätte, wie es war, dann wäre das relativ schnell erkannt worden, dass er wirklich kein Stasi-Typ war. Aber er hat durch seinen Stolz, damit nichts zu tun zu haben und sich nichts vorzuwerfen zu haben, sich ins Abseits gestellt.
Eckhard Roelcke: Fritz Rudolf Fries. Der Schriftsteller ist im Alter von 79 Jahren in Petershagen bei Berlin gestorben. Helmut Böttiger, danke schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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