Zukunftsprognose

"Endloses Wachstum auf einem begrenzten Planeten ist nicht möglich"

Reiner Klingholz im Gespräch mit Katrin Heise · 19.02.2014
Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung erwartet ein Ende des weltweiten Bevölkerungswachstums, das zwangsläufig auch zu niedrigeren Wachstumsraten der Wirtschaft führen wird. Für die Umwelt könne das aber nur positiv sein.
Katrin Heise: Man hält einen Goldbarren in der Hand, den Anschein könnte das neue Buch von Reiner Klingholz jedenfalls erwecken. Mit goldenem Umschlag kommt es nämlich daher, Glück pur sozusagen. Aber das, was der Leiter des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung aufgeschrieben hat, verursacht eher immer unterschiedliche Gefühle. Einerseits liest man von paradiesischen Zuständen in Grönland im Jahre 2297, andererseits möchte man die Zeit bis dahin eigentlich niemandem zumuten, denn viele andere Länder der Erde existieren dann gar nicht mehr. Und das alles, weil wir "Sklaven des Wachstums" sind. Reiner Klingholz ist mein Gast – ich grüße Sie. Schönen guten Tag!
Reiner Klingholz: Guten Morgen!
Heise: Haben Sie, Herr Klingholz, schon ein Grundstück in Grönland für Ihre Nachkommen gekauft?
Klingholz: Nein, habe ich auch wirklich noch gar nicht dran gedacht. Ich war auch noch nie in Grönland, aber ich glaube, es ist eine der spannendsten Regionen der Welt für die nächsten hundert, zwei-, dreihundert Jahre, weil es dort Veränderungen geben wird, stärker, massiver als anderswo.
Heise: Das Eis wird abschmelzen, und dadurch wird Grönland aber in die Höhe gehoben und quasi den Überschwemmungen entgehen.
Klingholz: Ja. Grönland hat einen riesigen Eispanzer, und wenn im Rahmen des Klimawandels dieses Eis beginnt zu schmelzen, was es ja schon tut, wird sich Grönland aus dem Meer herausheben, einfach, weil die Last davongeht, und um einige Meter aufsteigen, während andere Länder, Bangladesch etwa oder die Malediven im Rahmen des Klimawandels sicher mehr Wasser erleben werden.
Heise: Ja, untergehen wahrscheinlich. Die Bevölkerung der Erde wächst und wächst, damit geht es erst mal los in Ihrem Buch. Wenn nichts passiert, könnten im Jahr 2050 etwa neun Milliarden Menschen auf der Erde leben – also wenn nicht irgendwelche Katastrophen vorher passieren. Dennoch gehen Sie und auch die Vereinten Nationen durchaus davon aus, dass die Bevölkerungszahlen langfristig deutlich zurückgehen werden. In 300 Jahren, also da, Grönland, könnten es nur noch 2,3 Milliarden Menschen auf der Erde sein, also wie zuletzt 1850. Wie kommt es dazu, zu diesem Rückgang?
Klingholz: In der Tat ist das verwunderlich, denn wir erleben noch ein Rekordwachstum momentan. Einmal Deutschland kommt weltweit pro Jahr hinzu. Aber in diesen Wachstumsprozessen steckt schon ein Ende des Wachstums, weil wir heute bereits 80, 90 Länder haben auf der Welt, wo die Kinderzahlen nur noch so hoch oder so niedrig sind, dass die Bevölkerung aus eigener Kraft dort nicht mehr wachsen wird, langfristig. Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt bereits in solchen Ländern. Wir in den reichen Ländern haben heute etwa ein Kind weniger pro Frau als eine Generation zuvor. In den Schwellen- und Entwicklungsländern bekommen die Menschen aber heute zwei bis drei Kinder weniger als die Generation ihrer Eltern.
Das heißt, dieser Wandel, dieser demografische Wandel spielt sich in den Nachzüglerländern wesentlich schneller ab. Und wir haben in China 1,5 Kinder, wir haben Länder wie den Iran, die Türkei, Brasilien, die bereits unter der Zahl sind, wo eine Bevölkerung langfristig wachsen würde. Das heißt, wir gehen davon aus, dass bis Ende des Jahrhunderts nahezu alle Länder der Welt so niedrige Kinderzahlen haben, dass dann das Wachstum insgesamt weltweit auch zu Ende geht.
Heise: Es gibt aber auch noch zwei andere Szenarien, zwei weitere, da könnten es dann 36 Milliarden oder so um die neun Milliarden Menschen sein. Wovon hängt denn das ab?
Klingholz: 36 Milliarden geht davon aus, dass sich in der Entwicklung dieser ärmeren Länder vor allem in der näheren Zukunft wenig tut. Damit ist nicht zu rechnen, denn gerade diese Länder entwickeln sich sehr stürmisch. Und mit steigendem Wohlstand und mit mehr Bildung, insbesondere mit mehr Bildung für Frauen, wissen wir, wie schnell und wie stark die Kinderzahlen sinken können.
Heise: Da würde ich gerne einhaken, denn Emanzipation und Bildung der Frauen als Voraussetzung, globaler Bildungszuwachs setzt aber doch auch eine mehr oder weniger friedliche Welt voraus. Von der sind wir allerdings auch sehr weit entfernt.
"Eine gute Nachricht für den Planeten"
Klingholz: Das ist richtig. Aber davon waren wir auch schon vor 20, 30 Jahren stark entfernt. Und wenn wir die Entwicklung der letzten 20, 30 Jahre anschauen, sehen wir, dass trotz dieser Probleme, die es in vielen Ländern gibt, eine nahezu damals für unmöglich gehaltene Entwicklung stattgefunden hat, die sich vor allem auch im Bildungsbereich abgespielt hat. Und wir wissen, dass in den gut entwickelten Ländern, also unter den besten Lebensbedingungen, die man sich vorstellen kann, sagen wir Schweden, die skandinavischen Länder, dass dort die Menschen aus freien Stücken nicht mehr als zwei Kinder pro Familie, pro Frau bekommen, und das ist letztlich eine gute Nachricht für den Planeten, weil unter den besten denkbaren Bedingungen dann die Menschheit aufhören würde zu wachsen.
Heise: Schrumpfende Weltbevölkerung also unser Thema im Radiofeuilleton mit dem Demografie-Experten Reiner Klingholz. Herr Klingholz, bleiben wir mal bei der Bildung und dem besseren Lebensstandard, Wohlstand. Eine besser ausgebildete Mittelschicht beispielsweise hat aber auch, und Wohlstand geht damit ja direkt einher, größere Konsumabsichten, so ist die Entwicklung jedenfalls heutzutage. Das bedeutet mehr Verbrauch, Konsum, Vergeudung, und das führt letztendlich in ein anderes Aus, in das ökologische.
Klingholz: Das ist richtig. In diesem Rahmen, in dem sich die Länder entwickeln und mehr Wohlstand bekommen, verbrauchen sie mehr Rohstoffe, verbrauchen sie mehr Energie.
Heise: Und verpesten mehr.
Klingholz: Verpesten mehr. Denn Armut in den armen Ländern ist vor allem eine Energiearmut. In Afrika hat die Hälfte aller Haushalte noch keinen Stromanschluss. Und es ist deswegen unmöglich, irgendwie ein Geschäft aufzumachen, den Mittelstand aufzubauen und so weiter und so fort. Das heißt, wir müssen akzeptieren, dass sich diese Länder entwickeln, denn wir können ja nicht sagen, ihr sollt arm bleiben, damit ihr keinen Dreck macht. Wir müssen sogar diese Entwicklung möglichst beschleunigen, damit dort im Rahmen dieser Entwicklung die Kinderzahlen sinken. Das muss man sich einhandeln auf diesem Weg. Das heißt, man riskiert, dass es schlimmer wird, bevor es auf lange Sicht besser werden kann. Da gibt es sicher keine Alternative dazu. Man kann nur versuchen, diesen Ländern zu helfen, dass sie auf dem Weg ihrer Entwicklung möglichst wenig Schaden anrichten. Aber ohne Schaden wird es nicht gehen.
Heise: Müssten wir das alles mal selber lernen und uns daran halten. Sie haben da, habe ich den Eindruck, auch nicht so viel Vertrauen drin, denn Ihr Buch heißt sehr dick gedruckt "Sklaven des Wachstums" und nur sehr dünn "Die Geschichte einer Befreiung". Also, dick gedruckt "Sklaven des Wachstums". Also wir streben nach immer mehr Wachstum und eben entsprechendem Verbrauch.
"Wir können uns etwas anderes als Wachstum nicht vorstellen"
Klingholz: Wir sind natürlich in den letzten Jahrzehnten, Jahrhunderten immer mit Wachstum groß geworden. Wir können uns etwas anderes als Wachstum nicht vorstellen. Die Menschheit ist gewachsen, der Wohlstand ist gewachsen, die Zahl der Häuser, die Größe der Wohnungen und so weiter – alles ist gewachsen. Wir wissen aber umgekehrt, dass endloses Wachstum auf einem begrenzten Planeten gar nicht möglich ist. Wir haben seit 40 Jahren eine Umweltdiskussion, mindestens seit 40 Jahren geführt über die Grenzen des Wachstums und haben viele Appelle erlebt, dass wir uns doch etwas einschränken sollten.
Heise: '72, Club of Rome.
Klingholz: Genau. Aber ohne erkennbaren Erfolg. Und jetzt geschieht allein durch den gesellschaftlichen Wandel etwas, was wir gar nicht beeinflussen können, nämlich, dass die Kinderzahlen sinken in wohlständigen, in gut organisierten Gesellschaften. Und das ist letztlich ein Geschenk, das uns ein Ende des Wachstums beschert, mit sich bringt, auf das wir uns aber noch einlassen müssen. Im Moment versuchen wir uns dagegen zu wehren, gegen dieses natürlich Ende des Wachstums –
Heise: Des Bevölkerungswachstums – aber wir produzieren ja trotzdem immer mehr.
Klingholz: Ja, aber das Ende des Bevölkerungswachstums, das einhergeht mit einer Alterung der Gesellschaften, wird zwangsläufig auch zu niedrigeren Wachstumsraten der Wirtschaft führen. Das erleben wir bereits heute in allen stark entwickelten Ländern, dass wir uns zwischen ein und null Prozent Wachstum bewegen. Das war mal sehr viel mehr früher. Und das heißt, wir müssen, weil das zwangsläufig eine Folge der gesellschaftlichen Entwicklung ist, wir müssen uns damit abfinden, dass das passiert, und Konzepte für ein Wohlergehen der Gesellschaften mit weniger oder ohne Wachstum entwickeln. Im Moment wehren wir uns dagegen und machen es insgesamt schlimmer, weil wir uns sowohl an den Finanzmärkten wie auch an der Natur massiv verschulden, um künstliches Wachstum zu erzeugen, was auf lange Sicht gar nicht funktionieren wird.
Heise: Also ich finde schon, dass sich die Frage stellt, ob dieses Szenario, das Sie für in 300 Jahren da entwickeln, diese erträgliche Zahl an Erdenbewohnern, ob die 300 Jahre so überhaupt überwunden werden bei der Art, wie wir eben noch an Wachstum glauben und wie wir noch leben, also die Ökosysteme kollabieren lassen.
"Die nächsten ein, zwei Finanzkrisen"
Klingholz: Ich versuche das in dem Buch auch zu beschreiben, dass dieser Weg zwangsläufig über Krisen führt. Aber auch wenn wir in die Vergangenheit blicken, müssen wir eingestehen, dass wir eigentlich immer nur aus Krisen gelernt haben. Wir haben nie aus freien Stücken irgendetwas zum Besseren gewendet, sondern wenn es nicht mehr anders ging, wenn Probleme da waren, wenn kein Ausweg mehr da war, sind wir als Menschen oder als Menschheit doch auf kluge Ideen gekommen. Und deswegen müssen wir insgeheim darauf hoffen, dass die Krisen uns da weiterhelfen. Auch die letzte Finanzkrise hat uns zumindest zum ersten Mal dazu gebracht, über das Finanzsystem nachzudenken. Die Reformen sind absolut nicht ausreichend, und deswegen bin ich sicher, dass die nächsten ein, zwei Finanzkrisen uns noch stärker treffen werden, aber danach die Reformen auch möglich sind. Aber vorher sehe ich die Reformen kaum.
Heise: Aber Hoffnung auf Reformen, also die dann zur Erhaltung der Art quasi führen, haben Sie?
Klingholz: Die habe ich, weil in der Vergangenheit klar geworden ist, dass wir durch Krisen sehr wohl gelernt haben. Wir haben durch schreckliche Kriege in Europa gelernt, dass man das doch lieber sein lassen sollte. Wir haben durch einzelne Umweltkrisen gelernt, bestimmte Dinge zu regeln, aber wir haben bislang bei den großen Fragen, was den globalen Klimawandel etwa anbelangt, noch überhaupt keine Möglichkeiten, dort zu einem Weltvertrag zu kommen, der das Weltklima etwas besser schonen könnte. Denn die Interessen der einzelnen Länder in diesen Verhandlungen sind einfach so unterschiedlich, dass es da bislang unmöglich gewesen ist und, glaube ich, auf mittlere Sicht unmöglich ist, dort einen Konsens zu finden.
Heise: Darum eben "Sklaven des Wachstums". Aber Reiner Klingholz sieht es als Geschichte einer Befreiung. Ich danke Ihnen. Der Leiter des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung war zu Gast. Herr Klingholz, ich wünsche noch einen schönen Tag. Danke!
Klingholz: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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