Zufall schafft Leben

05.11.2013
Die Natur entspringt dem Prinzip von Ausprobieren und Verwerfen - zunächst auf molekularer Ebene, später in immer komplexeren Systemen. In seinem Buch nimmt Nick Lane den Leser mit in eine Erdzeit, die Milliarden Jahre zurückliegt. Ohne naturwissenschaftliche Vorkenntnisse ist es aber nicht ganz leicht, seinen Gedankengängen zu folgen.
Es ist schwer vorstellbar, dass die Vielfalt der Tierwelt, die Schönheit der Natur oder die Leistungen des menschlichen Gehirns allein durch zufälliges Ausprobieren und anschließende Auswahl entstanden sind. Dass die Natur aber genau das geschafft hat, dafür liefert Nick Lane schlüssige, wenn auch nicht immer einfache Erklärungen.

Vorgänge, wie sie vor Milliarden Jahren auf der Erde stattgefunden haben könnten, beschreibt der englische Biochemiker sehr lebendig, manchmal mit blumigen Vergleichen - für ein Sachbuch geradezu poetisch.

Da finden Moleküle "im Liebespiel" zueinander, und das Schicksal von Zellen hängt "am seidenen Faden". Seine Sprache klingt wissenschaftsfern, und doch dringt der Autor tief in die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge ein und beschreibt detailreich das Für und Wider unterschiedlicher Theorien. So lässt er seine Leser teilhaben am wissenschaftlichen Disput. Und trotz allem - ohne ausreichend naturwissenschaftliche Vorkenntnisse ist es bisweilen schwierig, seinen Gedankengängen zu folgen.

Leben = Erbmoleküle, Photosynthese und Bewusstsein
Für Nick Lane sind es zehn Entwicklungen, die das Leben auf der Erde gestaltet haben: Das reicht von der DNS als Erbmolekül, die Photosynthese als Energielieferant bis zum Bewusstsein und zum Tod. Ohne diese "Erfindungen" wäre das Leben auf der Erde nie entstanden, oder es sähe zumindest ganz anders aus. Ein interessantes Beispiel ist die Entstehung der Zellen von Tieren und Pflanzen aus einfachsten Lebewesen. Wahrscheinlich vereinigten sich Bakterien und Archaeen zu einer neuen Lebensform.

Erstmals entstanden Zellkerne, die das Erbmaterial von der Energieproduktion trennten. So entstand die dritte Domäne des Lebens. Zu Bakterien und Archaeen gesellten sich die Eukaryoten. Das war die Basis für alle mehrzelligen Lebewesen, die wir heute kennen. Deshalb unterteilen Fachleute die Lebewesen auch nicht länger in Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen, sondern in Bakterien, Archaeen und Eukaryoten.

Das Buch "Leben" steht ganz in der Tradition der englischen Royal Society, wo interessierte Laien mit Wissenschaftlern über die kompliziertesten Fragen der Naturforschung diskutieren – eine Tradition, die es so in Deutschland (noch) nicht gibt.

Das beweist auch der Blick auf den Buchmarkt, dort findet sich meistens entweder das klassische wissenschaftliche Fachbuch oder das populäre Sachbuch. Nick Lane aber schließt diese Lücke: Sein Buch macht bei der Wissenschaft keine Abstriche. Und es richtet sich gleichermaßen an Wissenschaftler, die über den Tellerrand ihrer Fachrichtung blicken wollen, und Laien, die tiefer in wissenschaftliche Debatten einsteigen möchten.

Besprochen von Michael Lange

Nick Lane: Leben - Verblüffende Erfindungen der Evolution
Übersetzt von Ilona Hauser
Primus Verlag, Darmstadt 2013
368 Seiten, 29,90 Euro
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