Zu Fuß durch Afghanistan

24.10.2007
Die Medien berichten täglich darüber: Die Situation in Afghanistan wird zunehmend gefährlicher. Umso verrückter klingt die Geschichte eines Schotten, der das Land allein und zu Fuß durchwandert hat. In "So weit die Knie tragen" berichtet Rory Stewart von seinen Erlebnissen.
Im Jahr 2000 machte sich der damals 27-jährige Schotte Rory Stewart zu einer langen Wanderschaft auf. 12.000 Kilometer zu Fuß und allein durch die Türkei, den Iran, Pakistan, Indien und Nepal, von Dorf zu Dorf. Stewarts Timing war perfekt, im Januar 2002, zwei Monate nach dem Sturz des Taliban-Regimes, erreichte er die afghanische Grenze und machte sich zu einem letzten Endspurt auf: 1000 Kilometer, wieder zu Fuß und allein, durch Afghanistan, bei 20° minus und über 4500 Meter hohe und verschneite Bergpässe. Stewarts Tagebuch dieser letzten Etappe durch Afghanistan ist nun als Buch erschienen: "So weit die Knie tragen".

Die Lust auf andere Länder stand Pate an Stewarts Wiege, - als Diplomaten-Kind in Hongkong geboren und aufgewachsen in Malaysia und Vietnam. Rory Stewart hat Philosophie und asiatische Geschichte studiert, heute ist er Leiter einer Organisation in Kabul, die versucht, die historischen Kulturstätten Afghanistans zu retten.

Nur darf man sich Stewart nicht als eine Art Hippie vorstellen; er hat lange im diplomatischen Dienst gearbeitet, und er war, mit 30 Jahren, 2003 und 2004 Britischer Vize-Gouverneur beziehungsweise Chef-Berater zweier irakischer Provinzen. Dazu ist ebenfalls ein Buch von ihm in Großbritannien erschienen, mit dem Titel: "Occuptional Hazards", "Berufsrisiken". Für beide Bücher hat Stewart Preise und den vierthöchsten Orden des Empires bekommen. Er war Offizier eines Eliteregiments und unter anderem auch der Geschichtslehrer der Prinzen William und Harry.

Die 1000 Kilometer lange Wanderung unternahm Stewart ausnahmslos zu Fuß, allerdings nicht immer allein, auf dem ersten Viertel begleiteten ihn drei zwielichtige afghanische Geheimdienstleute, denen es dann aber zu anstrengend und zu gefährlich wurde. Daraufhin zog er alleine weiter und verließ sich einfach auf die orientalische Gastfreundschaft - Stewarts Kommentar dazu: "Klopfen Sie mal in Europa an eine Tür und sagen 'Friede sei mit Euch, hätten Sie ein Nachtquartier?' Oft führten ihn Einheimische, mal Kinder, mal Greise, sogar zum Nachbardorf. Verständigen konnte sich Stewart auf Persisch, das in Afghanistan gesprochen wird, das heißt, er konnte sich auf Grund seiner sehr guten Sprachkenntnisse wirklich mit den Menschen in jenen vergessenen Dörfern am Rande der Welt unterhalten, im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt; unter anderem diese Gespräche machen das Buch so spannend und authentisch. Die häufigste Frage übrigens, die ihm auf der Reise gestellt wurde, war: Was kostet eine Frau in Schottland?

"So weit die Knie tragen" ist ein spannender Thriller, den man verschlingt. Es ist ein sehr menschliches, ein erschütterndes und verstörendes Buch, wohltuend gespickt mit bestem britischen Galgenhumor. "So weit die Knie tragen" ist ein zeitloses wie hochaktuelles Meisterwerk der Reise-Literatur, - wie eine Fortsetzung von "Lawrence von Arabien". Stewarts Stil zeugt von seiner profunden journalistischen Erfahrung; er ist ein begnadeter Beobachter, der technisch brillant auf den Punkt schreiben kann. Auf den Fotos der Afghanistan-Reise sieht er aus wie ein verlorener Hobbit, -und so liest sich das auch, wie eine Reise in ein anderes Jahrtausend. Und deswegen ist es auch ein politisch hoch wichtiges Buch: Es zerstört jede westliche Illusion, Afghanistan europäisieren zu können. Ein weises Buch für Kopf und Bauch - und ein Muss!

Rezensiert von Lutz Bunk

Rory Stewart: So weit die Knie tragen - Mein Fußmarsch durch Afghanistan
Übersetzt von Giò Waeckerlin Induni
Malik Verlag 2007
399 Seiten, 22,90 Euro