Zitrusfrüchte

Sind Orangenschalen wirklich gesund?

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Halbierte Zitrusfrüchte © Imago / Westend61
Von Udo Pollmer · 09.01.2015
Orangen schmecken nicht nur gut, sie gelten auch als Vitamin-C-Lieferanten. Ernährungsexperten empfehlen sogar den Verzehr der kompletten Frucht. Doch unser Lebensmittelchemiker Udo Pollmer isst weiterhin nur das Fleisch und verschmäht die Schale.
Die Verbraucherzentrale Bayern geizt nicht mit gutem Rat: Sie empfiehlt, Orangen nicht allzu gründlich zu schälen. Denn in dem faserigen weißen Geflecht an den Früchten, das so fade und bitter schmeckt, verberge sich Gesundheit pur. Wie konnten wir das nur übersehen und in unserer ernährungsphysiologischen Ahnungslosigkeit das Wertvollste in die Biotonne werfen? "Das Gesündeste der Orange", pflichten Ernährungsexperten bei, "steckt in der Schale". Und weiter: "Orangenschalen lassen die Kilos purzeln", sie "halten den Darm fit" und "beugen dem Krebs vor". Viele Ernährungsberater empfehlen sogar explizit den Verzehr mitsamt der kompletten Schale.
Der tiefere Grund, warum wir Schale mitessen sollen, sind die Flavonoide. Laut Verbraucherzentrale seien diese deshalb so gesund, weil sie der Pflanze einen "Schutz vor Schädlingen" böten. Naja, dann sind es also definitionsgemäß Mittel zur Schädlingsbekämpfung. In den Schalen finden sich naturgemäß weitere Abwehrstoffe, die sogar direkt als Pestizide genutzt wurden, wie das Limonen. Die Expertin der Verbraucherzentrale glaubt, dass die Flavonoide auch den Menschen vor einem ganz speziellen Schädling schützen – nämlich vor "Sauerstoff". Der würde sonst zu unerwünschten Reaktionen neigen und damit zu Krankheiten führen. Wenn man vom Sauerstoff Krebs bekommt – dann bekommt man vom Küssen auch Kinder.
Die Flavonoide sind eine große Gruppe von Stoffen, bisher wurden etwa 8000 identifiziert. Die meisten dienen der Pflanze als Botenstoffe, UV-Filter oder Abwehrstoffe – nicht nur gegen Insekten und Bakterien, sondern auch gegen pflanzenfressende Säugetiere. Sobald die pflanzlichen Zellen beim Kauen zerkleinert werden, reagieren die Flavonoide mit dem Eiweiß und senken so den Nährwert. Deshalb essen wir die Schalen nicht mit, deshalb schmecken uns Mandarinen ohne weiße Fasern einfach besser. Insofern hat die obstverarbeitende Industrie gar nicht so Unrecht, wenn sie die weißen Fasern mit Enzymen entfernt, bis die Schnitze glatt sind wie ein Babypopo.
Das Beste aus der Schale
Da bei der Herstellung von Orangensaft große Mengen an Schalen anfallen, versucht die Industrie auch hier, das Beste daraus zu machen. Bisher wurden die Überreste vor allem an Milchvieh verfüttert. Da Futter billig ist, soll die Wertschöpfung dadurch erhöht werden, indem sie Schalenbestandteile als Gesundheitsstoffe etablieren. Daher rührt der Hype um die Schalen. Wenn Geld winkt, drängeln sich Scharen von Ärzten, Journalisten und andern Mietmäulern am Futtertrog der Gesunde-Ernährungs-Propaganda. Seither sind Flavonoide wahre Wunderstoffe für all jene, die an Wunder glauben wollen. Als Beweislein dienen Studien mit Zellkulturen. Doch die sind nichtssagend. Selbst mit Kuhfladen würden sich mit ein wenig Geschick gleichartige Resultate produzieren lassen.
Inzwischen werden Ergebnisse von Tierversuchen präsentiert, in denen vor allem Ratten durch reichlichen Konsum von Zitrusprodukten von schweren Leiden erlöst worden sein sollen. Doch allein es fehlt der Glaube: Denn Ratten vertragen keine Zitrusfrüchte und gehen daran ein – und das, obwohl sie Allesfresser sind. Nicht nur Nager haben damit so ihre Probleme: In Gärtnerkreisen wird selbst die Kompostierung von Zitrusschalen kritisch gesehen. Denn behandelte Zitrusschalen können die Tätigkeit der Mikroorganismen im Komposthaufen ein wenig bremsen, - das können allerdings auch die natürlichen Abwehrstoffe. Auch wenn das nicht weiter tragisch ist, zeigt es, wie hier offenbar mit zweierlei Maß gemessen wird.
Lassen wir die Kirche im Dorf: Ein wenig Zitrusschale im Essen ist völlig in Ordnung: Wer mag, reibt sie sich in den Kuchenteig. Kandierte Schalen in Form von Orangeat oder die berühmte britische "Marmalade" mit den Schalen von Bitterorangen sind traditionelle Lebensmittel. Ansonsten isst der Mensch das Fruchtfleisch und wirft die Schalen weg – so wie er auch sein Getreide nicht mit dem Stroh verzehrt oder die Hühner samt ihren Federn. Mahlzeit!
Literatur:
Verbraucherzentrale Bayern: Warum sollte man Orangen nicht ganz so gründlich schälen? Pressemeldung vom20.11.2014
Harborne JB: The Flavonoids. Chapman & Hall, New York 1988
Luckner M: Secondary Metabolism in Microorganisms, Plants and Animals. VEB Gustav Fischer, Jena 1990
Rosenthal GA, Berenbaum MR: Herbivores: Their Interactions with Secondary Plant Metabolites. Vol 1 & 2. Academic Press, San Diego 1991
Environmental Protection Agency: Prevention, Pesticides And Toxic Substances: R.E.D. FACTS: Limonene. EPA-738-F-94-030, 1994
Ibrahim MA et al: Insecticidal, repellent, antimicrobial activity and phytotoxicity of essential oils: With special reference to limonene and its suitability for control of insect pests. Agricultural and Food Science in Finland 2001; 10: 243-259
Strick R: Dietary bioflavonoids induce cleavage in the MLL gene and may contribute to infant leuke-mia. PNAS 2000; 97: 4790–4795
Deutscher Tierschutzbund: Steckbrief Ratten. Ohne Jahr
Pretel MT et al: Enzymatic peeling of citrus fruits: Factors affecting degradation of the albedo. Tree & Forestry Science & Biotechnology 2008; 2 (Special Issue 1: 52-59
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