Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit

Von Otto Langels · 05.08.2011
Im Viertel um die Oranienburger, August- und Tucholykystraße haben bereits heute zahlreiche jüdische Organisationen ihren Sitz, darunter auch der Zentralrat der Juden. Doch dabei soll es nicht bleiben. Ein Häuserensemble an der Auguststraße, zu dem auch das frühere jüdische Krankenhaus gehört, ist kürzlich zum "Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung" erklärt worden. Hier soll ein Zentrum für Jüdische Studien entstehen.
"Die symbolische Bedeutung wäre ungeheuer, und das könnte ein Zentrum werden, das attraktiv für Forscher aus aller Welt ist."

Noch ist es Zukunftsmusik, wovon Julius Schoeps schwärmt, einem Zentrum für Jüdische Studien in der Region Berlin-Brandenburg. Der Direktor des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums gehört zu den Initiatoren eines akademischen Netzwerkes, das die wissenschaftlichen Aktivitäten der drei Berliner Universitäten und der Universität Potsdam bündeln will. Studien zur Judaistik, zur jüdischen Geschichte, Literatur und Kultur, zur Holocaust- und Antisemitismusforschung sollen künftig unter einem Dach durchgeführt werden. Das Zentrum soll anknüpfen an die Tradition jüdischer Gelehrsamkeit im 19. Jahrhundert, wie sie von der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums betrieben wurde.

"Es geht darum, die verschiedenen vorhandenen Schwerpunkte miteinander in Verbindung zu bringen, die bis jetzt alle vor sich hinarbeiten, aber es gibt keine Zusammenarbeit. Jede Universität wird das von ihr Betriebene weiter betreiben, aber gleichzeitig wird ein Mehrwert geschaffen, wenn man so will. Durch die Zusammenarbeit entstehen Möglichkeiten, die vorher nicht da waren."

Die Initiatoren setzen dabei auf finanzielle Hilfe vom Bund, um notwendige Stellen für Forschung und Verwaltung zu schaffen, und wollen das Berlin-Brandenburgische Zentrum so zur führenden wissenschaftlichen Einrichtung in Deutschland ausbauen.

Allerdings ließ die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Instituten bisher zu wünschen übrig. Wie diese in Zukunft unter einem Dach produktiv zusammenarbeiten und gleichzeitig ihren unabhängigen Status an den Universitäten bewahren sollen, ist noch völlig offen.

Einziehen soll das Zentrum in einen Gebäudekomplex in der Auguststraße in Berlin Mitte. Zwischen modernen Galerien, schicken Modegeschäften und zahllosen Cafés gehören die der Jüdischen Gemeinde gehörenden Häuser zu den letzten heruntergekommenen Bauten in dem Viertel. Die Gebäude, die vor kurzem zu "Kulturdenkmalen von nationaler Bedeutung" erklärt wurden, zählen zu den herausragenden Beispielen klassizistischer preußischer Stadthausarchitektur - was auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, denn von der mit Graffiti und Plakaten übersäten grauen Fassade bröckelt der Putz. Die Größe des einst modernsten Krankenhauses Preußens erschließt sich erst, wenn man durch das schmale Torhaus den Innenhof mit dem eigentlichen Kerngebäude betritt. André Lossin, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde zu Berlin:

"Insbesondere das Gebäude Auguststr. 16 und die 14 haben doppelten Denkmalschutz, weil sie in ihrer Architektur einzigartig sind in Deutschland, auch in Europa, Klinkerstein, in der Form gebaut. Ein sehr modernes Krankenhaus, damals entwickelt zusammen mit jüdischen Ärzten und der Charité, und damit ist das Ensemble einzigartig."

Das jüdische Krankenhaus, das in diesem Jahr auf eine 150-jährige Geschichte zurückblickt, hat der Architekt Eduard Knoblauch entworfen, ein Schüler Karl Friedrich Schinkels und einer der ersten Privatarchitekten Berlins. Das Krankenhaus zählt - neben der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße - zu den Hauptwerken Knoblauchs.

"Der – ich würde es mal so sagen – gerne als Leib- und Magenarchitekt für die Gemeinde im 19. Jahrhundert tätig war."

Nachdem diese Gebäude jetzt auf der Liste der Kulturdenkmale stehen, kommen sie in den Genuss von Bundesmitteln aus dem Denkmalpflegeprogramm, ein dringend erforderlicher Schritt. Denn im Gegensatz zur restaurierten Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße muss der Komplex in der Auguststraße umgehend saniert werden, da er seit vielen Jahren leer steht und teilweise einsturzgefährdet ist. Und weder die Jüdische Gemeinde als Eigentümer noch das Land Berlin können die dazu notwendigen Millionenbeträge aufbringen.

"Das sind weit über vier Millionen für die Instandsetzung. Das Dach werden wir dieses Jahr fertig haben. Das Denkmalamt hat eine Auflage uns erteilt, Schiefer zu setzen, also Schieferdach, was natürlich sehr aufwendig ist. Aber dann sieht das wirklich fantastisch aus. Und eben Kupfer-Regenrinnen, alles mit Kupfer zu verkleiden, und damit kriegt das einfach einen ganz anderen Charakter wieder, das Haus."

In zwei bis drei Jahren, wenn das Häuserensemble instandgesetzt ist, kann dann das Zentrum für Jüdische Studien einziehen. Bis dahin werde es, so Julius Schoeps, in einem Gebäude der Humboldt-Universität provisorisch unterkommen.

"Wir gehen davon aus, dass wir am 1. Januar 2012 beginnen können, wir wollen am 13. März offiziell eröffnen, nächsten Jahres, der Anlass sind 200 Jahre preußische Emanzipation, die Emanzipationsgesetze."

Das Zentrum für Jüdische Studien wird die Räume des ehemaligen jüdischen Krankenhauses allein nicht füllen können, denn es geht um eine Fläche von insgesamt 6.000 qm. Aber die Humboldt-Universität hat bereits Interesse bekundet, dort Seminarräume, eine Bibliothek und Wohnungen für Stipendiaten einzurichten. Mieter für eine der begehrtesten Ecken Berlins zu finden, dürfte kein Problem sein.