Zentralrat der Juden

So viel Autorität wie das Doktor-Sommer-Team der Bravo

Josef Schuster, neu gewählter Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
Josef Schuster, neu gewählter Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland © picture alliance / dpa - Arne Dedert
Von Gerald Beyrodt · 09.12.2016
Viele Male schon haben wir über den Zentralrat der Juden in Deutschland berichtet. Diese Woche lädt der Zentralrat zum Jüdischen Gemeindetag nach Berlin. Doch es gibt eine Sache, die haben wir in all den Jahren nicht verstanden: Wie geht das zusammen - zentral und jüdisch?
Lange wiederholten Karriereratgeber es wie ein Mantra: Lerne zu delegieren! Das haben die Deutschen – wohlgemerkt: die nicht jüdischen Deutschen – aber schon längst gewusst. Jahrzehntelang waren "die Juden" fürs Mahnen und Zeigefingerzeigen zuständig. Sollen doch "die Juden" ihren Holocaust aufarbeiten.
Gab es irgendeine moralische Unsicherheit, war kein langes Abwägen nötig. Ein Anruf beim Zentralrat der Juden in Deutschland und die Sache war geklärt. Irgendein zwickender Zweifel in der Seite oder irgendeine Unsicherheit in der Brust über "die Vergangenheit"? Zentralrat. Irgendeine Frage zu Minderheiten? Zentralrat. Israel? Zentralrat! Es gab in den Siebzigern und Achtzigern nur noch eine Instanz mit so viel Autorität: das Doktor-Sommer-Team in der Bravo.
Zentralrat hieß das Ding, weil es in jeder Lebenslage Rat wusste und zentral war. Was bedeutet: Man musste niemand anderes mehr fragen. Und vor allem: Man musste sich selbst keine Gedanken mehr machen. Kant sagte noch: "Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen." Und das schließt durchaus die Frage mit ein, ob eine Handlung moralisch ist oder nicht. Doch was wusste Kant schon? Schließlich geht es beim Umgang mit dem Zentralrat nicht um Verstand oder Unverstand, sondern um Bequemlichkeit. Warum selbst Gedanken machen über Moral und Unmoral, wenn das jemand anders für einen tun kann? Und der kann sich noch geschmeichelt fühlen, denn wer wäre nicht gerne Onkel Allwissend?

Zentral als eine Art Weltwunder

Und jetzt folgt hier eine kleine Sensation. Denn was viele gar nicht wissen: Der Zentralrat ist eine Art Weltwunder. Zwar waren Pyramidenbau und Teilung des roten Meeres schon ganz nett, reichen aber nicht an den "Zentralrat der Juden in Deutschland" heran. Denn seit der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 ist im Judentum eigentlich nichts mehr zentral. Es gibt keine zentrale Instanz, kein Oberhaupt und keinen Anführer.
Es gilt das Prinzip: Zwei Juden, vier Meinungen. Einerseits. Andererseits: Rabbi Schammai und dazwischen viel Verwirrung. Natürlich würde sich kein Jude jemals von so einem Zentraldingsbums etwas sagen lassen. Muss er auch nicht, denn in den Gemeinden kann der Zentralrat nicht viel bestimmen. Jeder katholische Bischof hat mehr Weisungsbefugnis als das Gremium. Das geniale ist: Nach außen wirkt der Zentralrat trotzdem wie eine Art jüdischer Vatikan, allerdings ohne Weihrauch und Zölibat.
Die Zeiten haben sich geändert. Im Vatikan sitzt ein gemäßigter Befreiungstheologe, und die Leiterin des Doktor-Sommer-Teams fiel Sparmaßnahmen zum Opfer. Und was wird mit dem Zentralrat, wenn er für die moralischen Fragen, sagen wir mal vorsichtig, nicht mehr ganz so zuständig ist? Richtig, Juden können nicht nur das Moral-Zeugs, sondern auch das andere – also die Doktor-Sommer-Fragen. Nur besser als das Doktor-Sommer-Team. Und deshalb hat der Zentralrat zum jüdischen Gemeindetag die deutsch-jüdisch-amerikanische Sex-Päpstin Dr. Ruth eingeladen. Wir wollen nicht zu viel versprechen, aber es könnten Tage voller Höhepunkte werden.
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