Zeitzeuge

Tür an Tür mit dem Führer

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Der Historiker Edgar Feuchtwanger © picture alliance / dpa
Von Susanne von Schenck · 04.04.2014
1929 bezog Adolf Hitler eine große Wohnung am Prinzregentenplatz 16 in München. Für die altjüdische Familie Feuchtwanger hatte das bald Konsequenzen. Aber es gelang ihr, 1939 nach England zu emigrieren, wo Edgar Feuchtwanger auch heute noch lebt.
Edgar Feuchtwanger, Jahrgang 1924, wächst – zumindest anfänglich - in unbeschwerten Verhältnissen in München auf. Die Familie ist seit Generationen in Bayern ansässig, der Vater, Verlagsleiter bei Duncker und Humblot, hat einen jüdisch-orthodoxen Hintergrund. Wie auch sein Bruder Lion, der bereits ein berühmter Schriftsteller ist.
Wenn dessen elegante Frau Marta in ihrem schicken Wagen in der Grillparzerstraße vorfährt, ist der kleine Edgar fasziniert.
"1932 gab‘s kaum Frauen in Deutschland, die ein Auto fahren konnten, geschweige denn ein Auto hatten. Und das hat mich natürlich beeindruckt. Das war das erste Mal, dass ich sie gesehen habe."
1932 – da ist jener Mann schon Nachbar der Feuchtwangers, der Deutschland bald in die Katastrophe führen wird: Adolf Hitler. Drei Jahre zuvor war er gegenüber in eine opulente Neunzimmerwohnung am Prinzregentenplatz 16 eingezogen, und der kleine Edgar erlebt bald die Anfänge eines dunklen Kapitels der deutschen Geschichte hautnah mit: Aufmärsche, Autokonvois, das Geräusch der Stiefel der SS.
Hitler trat ihm im Gedränge auf den Fuß
Manchmal ist er gerade mit dem Kindermädchen auf der Straße, wenn Hitler im Trenchcoat und mit Hut aus dem Haus kommt, und die Menschen "Heil Hitler" rufen. Einmal tritt er dem Jungen im Gedränge auf den Fuß.
"Dann habe ich manchmal, als Kind ist man ja neugierig, als Kind geschaut, wo man die Glocke drückt an seiner Türe, ob da Hitler steht. Aber da stand nicht Hitler, sondern Winter. Und Winter war seine Haushälterin."
Ganz in der Nähe wohnt auch Hitlers Fotograf Heinrich Hoffmann, dessen Assistentin seit 1929 Eva Braun ist.
"Nebendran war eine Villa, die gehörte einem Schulfreund von mir oder seinen Eltern, da konnte man durch den Zaun manchmal sehen, dass Hitler im nächsten Garten im Liegestuhl lag."
Edgar Feuchtwanger ist ein zierlicher Mann und für sein hohes Alter erstaunlich agil. Wenn er einen mit seinen liebenswürdigen Augen anschaut, spürt man, dass er viel erlebt hat. Der fast 90-jährige Historiker, der in Cambridge studiert hat und seit 1939 in England lebt, ist ein Zeitzeuge mit präzisem Erinnerungsvermögen. Er ist bescheiden und zurückhaltend und hat sein Buch "Als Kind in Hitlers Deutschland" eigentlich nur auf Drängen seiner Familie geschrieben. Ressentiments den Deutschen gegenüber, sagt er, habe er nicht.
Dass von diesem Nachbarn am Prinzregentenplatz Gefahr ausgeht, wird spätestens 1933 klar: Hitler ist nun Reichskanzler. Fortan muss der kleine Edgar in der Schule Hakenkreuze malen.
Familie flieht nach England
Am 9. November 1938 holt die Gestapo Ludwig Feuchtwanger, den Vater, ab. Er wird nach Dachau deportiert.
"Der Zweck der Übung war, dass man diese jüdischen Männer ins Konzentrationslager brachte, um ihnen Angst zu machen, aber nicht dauerhaft, und dann wieder raus, damit sie so schnell als möglich Deutschland verlassen. Das war die Politik. Dadurch kam mein Vater auch wieder raus, im Dezember, in sehr schlechter Verfassung."
Der Familie gelingt es, nach England zu entkommen, wo sie fortan leben wird. Der 14-jährige Edgar reist als erster ab. Sein Vater begleitet ihn im Zug bis zur holländischen Grenze und folgt erst später mit seiner Frau nach.
"Die Angst, dass ich sie nicht wiedersehen würde, hatte ich nicht. Ich bin dann allein weitergefahren. Es war ähnlich wie ein Kindertransport, aber es war nur ich allein. Dann habe ich mir gedacht, wie ich aus dem raus war über die holländische Grenze, war ich fast froh. Später würde man sagen: I have left the evil empire."