Zeitschrift für Migrantinnen

Von Marcus Weber · 19.04.2007
"Elle", "Brigitte", "Emma", "Freundin", "Für Sie" - in Deutschland gibt es bereits viele Frauenzeitschriften. Trotzdem hatte Sineb El Masrar im vergangenen Jahr den Mut, mit wenig Geld ein neues Magazin herauszugeben: Sie gründete die Zeitschrift "Gazelle".
"Ich bin jemand, der muss immer was machen. Also ich hab irgendwie (...) weiß ich nicht (...) kann halt einfach nicht sitzen, irgendwas muss ich immer machen. Und ich probier halt eben gerne was aus."

Sineb El Masrar spricht immer so schnell. Sie steckt ihre langen schwarzen Haare mit einer Klemme fest, blinzelt mit den großen grünen Augen und schwingt sich gestikulierend von einem Thema zum nächsten.

"Ich hatte mal eine Lehrerin, die immer sagte: ‚Probieren geht über studieren.’ Also immer alles ausprobieren, sonst weißt du nicht. Und das hat sich bei mir so verfestigt, das ist irgendwie so ein Lebensmotto von mir geworden."

Also warum nicht? Sineb El Masrar, 2006 gerade 24 Jahre jung, mit zwei abgeschlossenen Ausbildungen als Kauffrau und Pädagogin holt ihr Erspartes vom Konto, leiht sich Geld von den Eltern und stürzt sich in die Unsicherheit. Sie gründet einen Eine-Frau-Verlag, um darin die erste multikulturelle Frauenzeitschrift des Landes herauszugeben: Gazelle. Ein Magazin für Frauen mit Migrationshintergrund genauso wie für gebürtige Deutsche. Auflage: 10.000 Stück.

Das Projekt ist alles andere als ein Schuss aus der Hüfte. Im Grunde hat Sineb die Idee seit dem Teenageralter mit sich herumgetragen.

"Ich hab auch mal eine Frauenzeitschrift oder Mädchenzeitschrift gekauft, aber es war nie, dass ich eins abonniert hatte. Und da fing das schon an, dass mir das so ein bisschen gefehlt hat, dass eben auch die Migranten zum Thema gemacht werden, und nicht nur mit diesen gängigen Themen immer: Kopftuch, Zwangsheirat, Misshandlung und etc."

Sinebs Eltern stammen aus Marokko. Der Vater, ein Kfz-Schlosser, kommt Mitte der 60er Jahre nach Deutschland. Ende der 70er holt er Sinebs Mutter nach; eine Analphabetin, die ihre Tochter dennoch zur Selbständigkeit erzieht. Sineb wächst als Einzelkind in einer Kleinstadt bei Hannover auf.

Und weil der Vater den Kontakt zu anderen Migranten abbricht, hat sie nur deutsche Freundinnen. Obwohl sie sich wohl fühlt, merkt sie, dass sie als Einwandererkind und Muslima anders ist, als die anderen.

"Mir wurden auch immer viele Fragen gestellt: Warum fastest Du, wieso, was ist der Unterschied, wie ist es in Marokko – so viele Fragen, die ich mir so am Anfang gar nicht gestellt habe. Und meine Mutter ist eine einfache Frau, ich konnte natürlich nicht immer sie fragen, dementsprechend musste ich mir die Antworten selbst suchen."

Mit 16 Jahren ist Sineb noch immer auf Identitätssuche – sie will zurück in die Heimat ihrer Eltern und eine Boutique eröffnen. Dann schreibt sie einen schnulzig-chaotischen 600-Seiten-Roman über eine Frau in Marokko – und bleibt doch in ihrer Heimat, in Deutschland.

Seitdem lässt sie das Schreiben nicht mehr los. Neben ihrer Arbeit als Erzieherin in einer Hörgeschädigtenschule verfasst sie Artikel für ein Online-Magazin und arbeitet an einem Drehbuch. Dann kommt Gazelle.

"Ja, das war so 2003. Da hab ich gedacht, okay, ich bin ja jetzt schon so ein bisschen in dieser Schreibzunft jetzt drin. Und hab mich da ein bisschen schlau gemacht, was für Voraussetzungen man braucht, um so was zu machen, und dann hab ich mir gesagt: Gut, wenn’s kein anderer macht, dann mach ich’s halt."

Sineb spricht Freunde an und sucht in Internetforen nach einem multikulturellen Redaktionsteam. Denn sie will, dass Frauen mit Migrationshintergrund selbst zu Wort kommen. Am Ende sind es neun Redakteurinnen: eine Iranerin, eine Afghanisch-Stämmige, eine Deutsche, die nach Gambia ausgewandert ist – und so weiter. Alle arbeiten unentgeltlich. Die Themen reichen von der Reportage über eine allein erziehende Muslima bis zu Kochrezepten und Modestrecken. Was fehlt, ist ein guter Magazintitel:

"Gazelle fand ich dann ganz gut, weil im Orient eben der Name ganz gerne für Frau genommen wird. Also wenn man die Frau schön findet oder nett findet, dann sagt man zu ihr Gazelle, und weil mein Mann das auch oft zu mir gesagt hat – und die Bedeutung und das, was man mit diesem Tier assoziiert, hatte einfach so gut zu dem Projekt gepasst."

Als das Heft im Juli 2006 zum ersten Mal auf den Markt kommt, stellt Sineb bei Testkäufen fest, dass viele Händler das Magazin gar nicht oder falsch auslegen – zum Beispiel in der Pornografie-Ecke. 10.000 Euro hatten Druck und Lizenzen gekostet – durch den schleppenden Verkauf steht die Gazelle vor dem Aus.

"Man muss eben immer ein bisschen dran bleiben, also es wär dumm, wenn ich jetzt einfach sofort bei der ersten Ausgabe sage, es ist eben nicht so gelaufen, dass ich das einfach hinschmeiße. Weil viele Leute sagen: Find ich toll und endlich dass, ihr so was mal macht und dass ihr uns anders darstellt. Und teilweise auch Leute, die wirklich keine Frauenzeitschriften lesen, die dann gesagt haben: Okay, jetzt les ich aber eine."

Monat für Monat verschiebt die heute 25-jährige Herausgeberin und Chefredakteurin die zweite Ausgabe. Ende Dezember gibt sie ihren Teilzeitjob auf und arbeitet ausschließlich für das Magazin. Ihr Mann, ein Betriebswirt, mit dem sie seit zwei Jahren verheiratet ist, unterstützt sie dabei.

Und nun endlich ist das neue Heft erschienen. Einer großen Zukunft, sagt Sineb El Masrar lachend, steht nun nichts mehr im Wege.

"Ja, ganz selbstbewusst, zwischen allen anderen Frauenzeitschriften, gleichwertig neben anderen Heften mit Tausenden von Leserinnen. Und, ja: Da seh ich Gazelle."