Zeitgeschichte

"Deutsche Teilung" als Projekttag

Schülerinnen und Schüler aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen nehmen in der Gedenkstätte "Deutsche Teilung" in Marienborn an einem Projekttag teil.
Schülerinnen und Schüler aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen nehmen in der Gedenkstätte "Deutsche Teilung" in Marienborn an einem Projekttag teil. © picture alliance / dpa / Jens Wolf
Von Susanne Arlt · 16.07.2014
Vor 25 Jahren trennte der Grenzübergang Marienborn Systeme: West und Ost, ein Kontrollpunkt zwischen Systemen. Schüler versuchen nun zu erfahren, was damals die Menschen trennte und wie das funktionierte.
Direkt neben der ehemaligen Wechselstube stehen Vivien Reinicke und Tabea Zander und plaudern. Die beiden Gymnasiastinnen warten auf Schülerinnen und Schüler aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, mit denen sie gleich über das Gelände der ehemalige Grenzübergangstelle gehen wollen. Die Mädchen sind Schülerlotsinnen der Gedenkstätte, sie sind extra dafür ausgebildet worden. Schüler zeigen anderen Schülern Geschichte - das ist die Idee. Vivien steht unter einem der zwölf gewaltigen Lichtmasten auf dem asphaltierten, fast verwaisten Gelände. Diese Scheinwerfer konnten damals dieses Gelände fast schattenfrei ausblenden, sagt die Siebzehnjährige. In einer Nacht verbrauchten sie so viel Strom wie eine Stadt mit 25.000 Einwohnern.
Vivien Reinicke: "Also die Vorstellung, dass wir immer noch so leben würden, so eingeengt, sage ich mal - das finde ich schrecklich. Und manche sagen ja zum Beispiel, dass es gar nicht so schrecklich war und deswegen möchte ich mehr erfahren und möchte auch, dass es für die, sage ich jetzt mal, Jahrgänge unter uns oder die nachfolgenden Generationen, dass das nicht einfach egal ist. Damit die sich auch damit beschäftigen."
Heute erinnert nur noch wenig an das System vor 25 Jahren: die monströsen Lichtmasten, ein alter Kommandoturm und die überdachte Baracke für die Passkontrollen.
Fünf Minuten später betreten Vivien und Tabea die ehemalige Kantine der DDR-Grenzer. Vor einer Wand steht ein menschengroßes, in zwei Teile zerbrochenes Holzkreuz. Nur noch ein Streifen Stacheldraht hält es zusammen. Im "Raum der Stille" gedenken die Besucher normalerweise der Opfer der ehemaligen innerdeutschen Grenze. An diesem Tag ist es ein Lernort, und zwar ein viel besserer als in der Schule, sagt Tabea.
"Man kann direkt zeigen, wo was gemacht wurde und wie etwas ablief. Man kann in die Räume reingehen und versuchen das nachzuempfinden. Das kommt natürlich viel besser rüber als wenn man nur ein Bild zeigt in der Schule."
Schweigen bei der Frage nach der Mauererinnerung
Inzwischen trudeln auch ihre Schüler ein. Die 16- bis 18-jährigen Gymnasiasten setzen sich, manche schauen neugierig, andere spielen gelangweilt mit dem Handy. Der Mauerfall von 1989 ist für sie lange, sehr lange her - egal ob sie aus dem Osten oder dem Westen kommen.
"Okay, zuerst wollen wir euch noch einmal fragen, hattet ihr das Thema schon im Unterricht: Grenzöffnung, Wiedervereinigung? Wer hatte das schon, kann er sich mal kurz melden?"
Nur vier von neunzehn Schülern melden sich. Vivien und Tabea sieht man die Enttäuschung an, trotzdem lassen die beiden Schülerlotsen nicht locker. "Was verbindet ihr mit dem Datum 1989?" wollen sie von ihrem gleichaltrigem Gegenüber wissen. Schweigen:
"Gar nichts? Es reicht auch einfach ein Wort oder so, so was wie 'Grenzöffnung', 'Wiedervereinigung'."
"...das muss ich mir jetzt noch einmal überlegen ... okay."
Der Unterricht läuft zäh. Um mit ihren Mitschülern warm zu werden, erklären Vivien und Tabea im Schnelldurchlauf den friedlichen Fall der DDR, die Montagsdemonstrationen, die Fluchten über Ungarn und die Grenzöffnung. Schließlich fällt den Schülern doch noch etwas ein zum Thema 1989.
"Ja spontan würde mir jetzt 'Mauerfall in Berlin' und 'Demonstrationen in Leipzig' einfallen."
"Damaliges Wunder, West- und Ostmark, Erich Honeckers Ansprache zum Ende der DDR. .. Mauerfall ... Emotionen."
Emotionen kommen schließlich auf, als Vivien und Tabea mit der Gruppe das ehemalige Stabsgebäude passieren, durch die große Halle laufen, in der vor 25 Jahren noch die Passkontrolle für die DDR-Einreisenden stattfand. Tabea bleibt vor einem alten, überdachten Fließband stehen. Hier musste man seinen Pass abgeben, erzählt die Siebzehnjährige.
Fast wie Dinge, die vor 200 Jahren passiert sind
DDR-Grenzer steckten das Dokument in verschiedenfarbige Ledermappen und das Band transportierte die Ausweise dann in ein fensterloses Gebäude. Dort saßen versteckt die Mitarbeiter der Stasi. Sie entschieden, wer 'reindurfte und wer nicht. Dieses Kontroll-Prozedere sollte eigentlich 20 Minuten dauern. In Wirklichkeit dauerte es Stunden, erklärt Tabea.
"Wie würdest du das finden?"
Laurenz Giesike runzelt kurz die Stirn, antwortet dann flapsig:
"Man kann sich das ja wie einen Stau auf der Autobahn vorstellen, bloß, dass man seine ganzen Sachen währenddessen abgeben muss. Und theoretisch einfach nicht weiterfahren kann. ... "
"Du gibst mir deine ganzen Sachen und du wirst noch durchsucht von Kopf bis Fuß. Findest du das gut? ..."
"Nein, das finde ich auf keinen Fall gut."
" ... wenn deine Sachen gefilzt werden bis auf das letzte Korn. Da würdest du doch auch protestieren und sagen: 'Nö, das gebe ich nicht her'"
"... Ja aber die Menschen hatten eben keine Wahl ... "
"Die mussten das über sich ergehen lassen, ja, damit sie überhaupt hier hin konnten. Und würde man das gerne in Kauf nehmen? Eigentlich nicht, oder?"
Nicht nur Laurenz Giesike schüttelt jetzt den Kopf. Das Fließband mit den Pässen ist so nah, die Schüler könnten es anfassen. Aber selbst hier, am Ort des Geschehens, wird die Geschichte der deutschen Teilung für die Jugendlichen nur schwer greifbar. Jan ergreift schließlich das Wort:
Jan-Cedrik Maussang: "In solchen Fällen kommen ja immer sehr oft diese Fragen: 'Kann man sich das vorstellen?' - An sich können wir das ja nicht, weil wir es nicht erlebt haben. Letztendlich verschwinden wird es ja nicht. Wir behandeln im Geschichtsunterricht ja auch Dinge, die sind vor 200 Jahren passiert und genauso ähnlich wird auch das hier bleiben. Genauso wird auch so eine Geschichte bleiben von der ehemaligen DDR."
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