Zeit für Konsens

Von Theo Geers, Deutschlandfunk · 13.11.2010
Geschafft. Es hat so lang gedauert wie noch nie und etwas teurer geworden als gedacht ist es auch, dennoch: Die Castoren sind auch dieses Mal in Gorleben angekommen. Ende gut, alles gut? Nein.
Wer hofft oder glaubt, jetzt kehre in der Atom- und Energiepolitik wieder Ruhe ein, der irrt. In Wahrheit wäre es eine trügerische Ruhe nach diesem Herbst der Entscheidungen mit seinen zwei fragwürdige Höhepunkten: Erst die energie- wie gesellschaftsspolitische Fehlentscheidung, die Laufzeit für Atommeiler zu verlängern und dann einer der vorerst letzten Castortransporte nach Gorleben. Beides hängt eng miteinander zusammen, was der enorme Zulauf zu den Demonstrationen gezeigt hat.

Das Konzept der Laufzeitverlängerung für Atommeiler überzeugt nicht, im Gegenteil: Immer noch, man könnte sogar sagen "jetzt erst recht", will die Mehrheit der Deutschen von der Atomkraft nichts wissen. Es gibt in diesem Land kein Vertrauen in diese Energieform und in die Atompolitik. Das aber ist existenziell: Ein bisschen Atomkraft geht ebenso wenig wie ein bisschen schwanger. Zweitens: Um eine ergebnisoffene Suche nach einem Endlager kommen wir nicht länger herum.

Was dabei wieder und wieder auffällt: Die Atomlobby und all die, die die Laufzeitverlängerung in Hinter- und Nebenzimmern ausbaldowert und im Schweinsgalopp durchs Parlament gebracht haben, waren wie immer in solchen Tagen auf Tauchstation. Auch der für die Atommüllentsorgung zuständige Minister. Dabei wird dieses Pro-Atom-Lager dringender denn je gebraucht. Allerdings nicht in dem Sinne, dass die Atommeiler bis zum St. Nimmerleinstag durchlaufen, auch nicht in dem Sinne, dass wir Claqueure brauchen, die schon jetzt behaupten, Gorleben sei sicher und auch nicht in dem Sinne, dass die weitere Nutzung der Atomkraft durchgeboxt wird, koste es, was es wolle, notfalls eben mit Wasserwerfern und Pfefferspray. Dafür nicht.

Das Pro-Atom-Lager aus Atomkonzernen, Union und FDP wird vielmehr gebraucht, um mit dem weitaus größeren Rest der Republik, dem Atomkraft-Nein-Danke-Lager, wieder zum Konsens zurückzufinden. Und der kann am Ende nur lauten: Deutschland kehrt zum Ausstieg aus der Atomkraft zurück. Eine andere Lösung kann es nicht geben. Die Atomkraft spaltet dieses Land und seine Gesellschaft, damit schadet sie mehr als sie nutzt. Atomkraft ist politisch nicht vermittelbar. Wäre sie es, bräuchte man keine Hinterzimmer und auch keine Eilverfahren, mit denen längere Laufzeiten im Bundestag durchgepeitscht wurden.

Die Atomkraft zeigt vielmehr die Grenzen auch demokratisch gefällter Mehrheitsentscheidungen auf: Zum einen kann das, was eine Mehrheit heute entscheidet, nach der nächsten Wahl schon wieder von einer anderen Mehrheit verworfen werden. Planungssicherheit, die jeder Investor braucht, egal ob er Atommeiler betreiben oder in erneuerbare Energien investieren will, schafft so eine Politik nicht. Atomkraft lässt sich, zweitens, aber auch nicht per Mehrheitsentscheidung einer Minderheit aufoktroyieren. Die Atomkraft ist und bleibt eine Risikotechnologie. Deshalb schreit ihre Nutzung, aber auch der Ausstieg aus ihr, nach anderen, konsensualen Beschlussverfahren, die niemanden hundertprozentig zufrieden stellen, mit denen aber am Ende alle leben können und die dann dann auch gelten und nicht alle paar Jahre wieder umgeschmissen werden.

Es mag den politischen Horizont mancher in Union, FDP und auch bei den Grünen überschreiten, aber das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass Jürgen Trittin und Rainer Brüderle, RWE-Chef-Großmann und ein Mann wie Jochen Stay, der Kopf der Anti-Atom-Bewegung, sich zusammenraufen müssen. Und da es für Atomkraftgegner nie ein "ja" zur Atomkraft geben wird, es umgekehrt aber durchaus Alternative zur dieser Energie gibt, Alternativen, die weiter entwickelt werden müssen, ist auch klar, wer sich hier bewegen muss und wohin die Bewegung geht.
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