Zeichner mit Hang zum Alltäglichen

Von Carmela Thiele · 29.07.2010
Arno Mohr ist im Westen Deutschlands so gut wie unbekannt. Im Osten dagegen erfreute sich der Zeichner und Hochschullehrer allgemeiner Beliebtheit, ohne jedoch zum Staatskünstler der DDR avanciert zu sein. Der Berliner Radierer und Lithograf wäre heute 100 Jahre geworden.
"Für mich ist Berlin die Welt. Und das ist ja auch so. Es ist wirklich so. Die Stadt, die einem das Lachen und das Weinen lehrt (...). "

Arno Mohr gehörte zu den DDR-Künstlern der ersten Stunde und war doch nie das, was man einen Vertreter des sozialistischen Realismus nennt. Das verband ihn zum Beispiel mit der Schauspielerin Helene Weigel, die er sehr schätzte und in ihrem Feriendomizil in Buckow besuchte. Bertolt Brecht und Hanns Eisler hat er mehrfach porträtiert:

"Das war gleich nach dem Tode von Bertolt Brecht, im Sommer drauf, und da habe ich die Zeichnung gemacht. Und das war auch wieder eine sehr schöne und glückliche Zeit, die mir sehr viel gegeben hat. Weil eben doch, wissen Sie, wenn Menschen eine Haltung haben, eine künstlerische, gesellschaftliche Haltung haben, doch sehr nützliche Menschen sind."

Arno Mohr, der am 29. Juli 1910 in Posen geboren wurde, berief sich auf eine überstaatliche Humanität und die Tugenden des Handwerks, ohne den Sozialismus infrage zu stellen. In Berlin-Weißensee lehrte der leidenschaftliche Zeichner Drucktechniken wie Radierung, Lithografie und Holzschnitt. Mohr hatte zunächst in Berlin eine Ausbildung als Schildermaler absolviert, bevor er sich 1933 erfolgreich an der Kunstakademie in Berlin bewarb:

"Naja, nun habe ich die Aufnahmeprüfung bestanden; ich habe ne' Menge gelernt, das muss ich sagen, also für später. Ich wollte auch wissen nicht, wie man Kunst macht, sondern wie man zeichnet. Meine Handschrift musste ich ja alleine finden."

Nur zwei Semester hielt es Mohr an der Akademie aus, an der es ihm, wie er sagte, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten "zu laut" wurde. Es folgten Gelegenheitsarbeiten und Wehrdienst. Als er 1946 nach Berlin zurückkehrte, war er Mitte dreißig. Auf einer Pappe, die eigentlich zum Abdichten kaputter Fensterscheiben ausgegeben wurde, entwarf er 1946 ein Plakat für den 1. Mai, den Tag der Arbeit. Es zeigt einen Mann mit ausgeprägten Gesichtszügen, der sich gedankenverloren eine Nelke ansteckt. Kein Pathos, kein Drama. Mit diesem Plakat wurde Mohr bekannt.

"Und dann war ich sehr stolz. Wissen Sie, da komm ich die Prenzlauer runter und siehe da (...) prangt da an der Litfaßsäule mein Plakat. Das war (...) so schön, weil das alles mit meiner Persönlichkeit was zu tun hatte, diese Haltung darin."

Diese Haltung war es, die Freunde und Schüler an Mohr faszinierte. Wenn der Künstler Arbeiter darstellte, dann in einer äußerst konzentrierten Weise wie etwa die drei sich ausruhenden Eisenwalzwerker in einer Radierung von 1954. Tagelang studierte er deren Arbeitsbedingungen, führte Gespräche:

"Wir kamen wirklich wie Arbeiter zu Arbeitern."

Die meisten seiner Blätter schildern jedoch mit tiefem Ernst und wenigen Strichen alltägliche Situationen, ein Gartenlokal etwa oder auch nur den eigenen Arbeitsplatz.

"Ich habe keine speziellen Themen, es kommt auf mich zu, es beeindruckt mich etwas, und das versuche ich auszudrücken."

Wenn er Inspiration bei anderen Künsten fand, dann in der Literatur. Für Erwin Strittmatters dreibändigen autobiografischen Roman "Der Laden" fertigte er Illustrationen an.

"Einen großen Eindruck hat gemacht auf mich die Literatur, die der Fontane geschrieben hat, seine Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Fontane lesen und dann wandern ist eine andere Art zu wandern, als wenn Sie vorher gewandert sind, und haben Fontane nich gelesen."

Im Gegensatz zu seinen berühmten Kollegen Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke blieb Mohr bei Bildmotiven, mit denen man nicht anecken konnte, die aber seiner poetischen Sicht auf die Dinge entsprachen. Der Kunsthistoriker Peter H. Feist schrieb über eine Mohr-Schau in der Akademie der Künste, ein Jahr vor dem Tod des Künstlers 2001:

"Persönlich fehlte mir das eine oder andere Lieblingsblatt. Dennoch erschien mir der ganze eigentümliche Anteil, den diese stille, 'ortsfeste', berlinische Bildwelt an der guten Geschichte von Kunst in der DDR hatte, und die ganze Persönlichkeit Mohrs diesmal so anwesend, so ergreifend, wie nie zuvor."