Zehnjähriges Jubiläum

Die Senioren entdecken Facebook

Holger Schmidt im Gespräch mit Britta Bürger · 03.02.2014
Gerät die rasante Erfolgsgeschichte des sozialen Netzwerks an ihr Ende? Der Netzökonom Holger Schmidt winkt ab: Trotz des Booms des Wettbewerbers WhatsApp werde Facebook ein "Supertanker" in der Netzwelt bleiben.
Britta Bürger: Vom Schreibtisch in einem Studentenwohnheim zum milliardenschweren Unternehmen – Facebook hat allen Grund, seinen zehnten Geburtstag zu feiern. In der vergangenen Woche ist die Aktie des weltgrößten Online-Netzwerks auf ein Rekordhoch gestiegen und die Gewinne im Jahr 2013, die lesen sich auch nicht schlecht: 1,5 Milliarden Dollar. Und doch hört man immer häufiger, Facebook sei doch längst out. Die jüngeren Nutzer würden zunehmend zu anderen Netzwerken wechseln. – Zehn Jahre Facebook, wie geht es weiter? Darüber sprechen wir mit dem Netzökonomen Holger Schmidt, lange Zeit Autor der "FAZ“ und mittlerweile Wirtschaftsredakteur beim "Focus“. Schönen guten Tag, Herr Schmidt.
Holger Schmidt: Schönen guten Tag!
Bürger: Sie sind Facebook-Nutzer der ersten Stunde. Wie hat Facebook Ihr Leben verändert?
Schmidt: Ich weiß nicht, ob es mein Leben verändert hat, aber es hat etwas geschafft, was vorher schwierig war, nämlich mit vielen Leuten in Kontakt zu kommen, mit denen man vorher nicht so einen engen Kontakt hatte. Das funktioniert eigentlich ganz prima. Ich kommuniziere auf Facebook nicht nur mit meinen engen Freunden, sondern auch mit viel mehr Leuten. Das funktioniert eigentlich ganz gut. Für mich ist Facebook schon jeden Tag ein Muss – nicht so häufig, aber schon jeden Tag dabei.
Bürger: Bislang ist es eine wahnsinnige Erfolgsgeschichte. Was hat Mark Zuckerberg in der Vergangenheit richtig gemacht, um so erfolgreich zu werden?
Schmidt: Er hat ein sehr gutes Händchen für die Bedürfnisse der Internet-Nutzer entwickelt. Vielleicht hat er das schon immer gehabt, aber er hat eigentlich keine groben Fehler gemacht, was den Umgang mit der Community angeht. Wenn man eine Community hat von 1,2 Milliarden, dann kann natürlich jede Kleinigkeit sofort nach hinten losgehen. Wir wissen ja auch bei solchen Internet-Modellen, dass die Leute dann auch sehr schnell wieder weiterwandern. Das haben wir in der Vergangenheit ja häufiger gesehen.
Mark Zuckerberg hat sich so einen Fehler bisher nicht erlaubt und wenn er mal einen Fehler gemacht hat, dann ist er ein bisschen zurückgerudert und hat das wieder ausgebügelt. Insofern ist er, glaube ich, sehr gewieft, was den Umgang mit den Nutzern angeht. Ansonsten hat er einfach, glaube ich, sehr effizient die Punkte getroffen, die dann auch das Netz weiterentwickelt haben. Spiele waren so eine Welle, FarmVille zum Beispiel als Spiel, die das Netz enorm vorangebracht hat. Das ist wieder so ein bisschen abgeebbt. Aber diese Wellen hat er alle gut getroffen und hat damit das Netzwerk nach vorne gebracht.
Die Werbeprodukte von Facebook funktionieren
Bürger: Ich habe es schon angedeutet: die Facebook-Aktie ist in der vergangenen Woche auf ein Rekordhoch gestiegen, auf über 61 Dollar. Beim Börsengang im Mai 2012, da kostete die Aktie 38 Dollar. Sind Sie denn auch auf diesen Zug aufgesprungen? Haben Sie auch rechtzeitig Facebook-Aktien gekauft?
Schmidt: Nein. Da ich ja als Journalist darüber schreibe, besitze ich keine Aktien von Unternehmen, über die ich schreibe. Dieser Aufschwung war erst mal gar nicht abzusehen, weil nach dem Börsengang ging es ja erst mal richtig runter, weil Facebook einfach keine Antwort hatte, wie sie denn im mobilen Web Geld verdienen wollten, also auf SmartPhones und Tablets, und das war natürlich schon riskant, ohne Strategie fürs mobile Web an die Börse zu gehen, und wurde ja auch prompt bestraft. Dann muss man aber sagen, Facebook hat die Hausaufgaben gemacht und hat Werbeprodukte entwickelt, die inzwischen sehr gut funktionieren, die in der Werbewirtschaft immer besser ankommen, und entsprechend zeigen sich ja auch die Umsätze. Da hat Facebook einfach geliefert.
Bürger: Was sind das für Werbeprodukte?
Schmidt: Das sind Werbeprodukte, die ziemlich genau an den Interessen der Nutzer ausgerichtet sind. Ein Beispiel kann ich mal nennen: Unternehmen können ihre Kundendatenbank hochladen zu Facebook und quasi ihre Kundendaten mit den Facebook-Nutzern abgleichen und sagen, von meinen Kunden treffe ich 60, 70, 80 Prozent auf Facebook wieder, und können denen dort dann gezielte Werbung geben und sagen, ich kann meinen Kunden dort erreichen, wo er gerade sich bewegt im Netz, und ihm gezielt die Werbung geben. Das ist vom Datenschutz her ein bisschen problematisch, …
Bürger: Allerdings!
Schmidt: …, man braucht die Einwilligung dazu. Wenn man die vorher hat, ist es okay; wenn man die nicht hat, geht es natürlich nicht. Da sind die Amerikaner naturgemäß ein bisschen lockerer als die Deutschen. Aber solche Modelle funktionieren und bringen Facebook auch richtig gutes Geld in die Kassen.
Bürger: Nun gibt es diese Studie von der Princeton University, der zufolge sich Facebook mit einer Epidemie vergleichen lässt, die nach einer gewissen Zeit überwunden sein wird wie alle Epidemien. Das Facebook-Ende wurde anhand verschiedener Gleichungen für 2017 errechnet. Können Sie diesen Vergleich nachvollziehen?
Schmidt: Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, es haben auch viele sehr gelacht, als diese Studie kam. Man muss einfach davon ausgehen: Wenn eine Epidemie aufkommt, dann sucht natürlich jeder bei Google den aktuellen Stand und wie kann man sich davor schützen. Das ist etwas, mit dem die Suchanfragen dramatisch hochgehen, und wenn es vorbei ist, dann gehen die Suchanfragen dramatisch runter. Das Modell haben die quasi angewendet auf Facebook. Nur wenn ich ein Facebook-Nutzer bin, schon seit Jahren, dann suche ich ja nicht mehr jeden Tag danach, sondern dann gehe ich direkt auf facebook.com und logge mich ein. Das heißt, die Analogie, dass das Suchaufkommen etwas mit der Nutzung zu tun habe, die passt einfach nicht. Diese Analogie zwischen Epidemie und der Nutzung eines Internet-Tools, das ich jeden Tag habe, die war, glaube ich, falsch, und Facebook hat darauf ja auch eine lustige Antwort gegeben. Sie haben dieselbe Methode angewendet und gesagt, okay, dann hat im Jahr 2021 Princeton keine Studenten mehr.
Bürger: Zehn Jahre Facebook – gerät die rasante Erfolgsgeschichte an ihr Ende? Deutschlandradio Kultur ist darüber im Gespräch mit dem Netzökonomen Holger Schmidt. – Der ernste Hintergrund ist ja, dass derzeit eine andere Ansteckung um sich zu greifen scheint, denn immer mehr junge Nutzer, heißt es, kehren Facebook den Rücken, wechseln zu anderen sozialen Netzwerken. Die Facebook-Community wird älter und älter. Woran liegt das? Was passt den Jüngeren nicht mehr?
Schmidt: Ganz einfach: Sie wollen auf Facebook nicht mit ihren Eltern oder Großeltern zusammentreffen. Das heißt, sie wollen unter sich sein, was ja, glaube ich, ein sehr nachvollziehbares Bedürfnis ist. Und deswegen haben viele Nutzer sich für die Kommunikation mit ihren Freunden am Mittag was anderes gesucht, und das ist mobil und das ist in Deutschland ganz eindeutig WhatsApp, eine App, mit der man Nachrichten entweder an einzelne Personen, oder an ganze Gruppen schicken kann.
Die Nutzungsintensität bei Jugendlichen ist gesunken
Diese App wird mittlerweile von 30 Millionen Menschen in Deutschland genutzt. Das ist eine Zahl, die ist sogar höher als bei Facebook. Insofern hat sich ein Teil der Kommunikation schon dorthin verlagert. Was nicht stimmt ist, dass die Jugendlichen Facebook komplett den Rücken zukehren. Das ist, glaube ich, eine Interpretation, die nicht stimmt. Aber sie nutzen Facebook weniger, weil sie für die Kommunikation sich was anderes gesucht haben. Insofern ist diese Aussage, dass Facebook die Nutzer weglaufen, nicht ganz korrekt, aber Facebook hat auch schon selbst zugegeben, dass zumindest in den USA die Nutzungsintensität bei den Jugendlichen gesunken ist.
Bürger: Wer zählt denn überhaupt als jung und wer als alt? Wie hat sich das Facebook-Durchschnittsalter verändert?
Schmidt: Facebook ist ja mal gestartet als Studentennetzwerk. Entsprechend war natürlich dann das Durchschnittsalter irgendwie Anfang 20. Das haben sie irgendwann mal schnell aufgegeben und gesagt, okay, wir sind jetzt offen für alle, und daraufhin ging das Durchschnittsalter rasant hoch. Neulich gab es mal eine Studie, dass das Durchschnittsalter irgendwie schon knapp bei 40 Jahren liegt, und die am stärksten wachsenden Gruppen auf Facebook sind ja auch im Moment die Altersgruppen über 55. Jung ist alles unter 18, würde ich sagen.
Bürger: Aber kann diese Entwicklung nicht für Facebook auch von Vorteil sein, wenn die Nutzer älter werden und somit zahlungskräftiger?
Schmidt: Man sieht es ja an den Werbeeinnahmen. Nichts desto Trotz muss Mark Zuckerberg natürlich aufpassen, dass die Jugend ihm nicht wegläuft, und entsprechend hat er ja auch reagiert. Er hat versucht, Snapchat zu kaufen, einen gerade in den USA sehr angesagten Dienst, bei dem man sich Bilder zuschicken kann, die sich nach wenigen Sekunden selbst zerstören. Er hat auch, glaube ich, versucht, WhatsApp zu kaufen. Das ist ihm beides nicht gelungen. Und jetzt hat er als Antwort gegeben, dass er genau diesem Bedürfnis der Segmentierung, dass gewisse Gruppen unter sich bleiben wollen und nicht mit allen immer kommunizieren in einem großen Netzwerk, nachgibt und jetzt verschiedene Apps rausbringen will, die diese Segmentierung zulassen werden. Ich glaube, das ist seine Antwort darauf, dass viele Nutzer sagen, ich möchte auf Facebook nicht meinen Eltern begegnen und nicht mit denen kommunizieren, die sollen nicht sehen, was ich dort tue. Das ist ja ganz normal.
Bürger: Eine neue App soll heute zunächst in den USA veröffentlicht werden. Die heißt Paper. Das erinnert an Zeitung. Was genau soll das sein?
Schmidt: Das ist so was Ähnliches wie Zeitung. Dort werden die Nachrichten, die auf Facebook gerade populär sind, quasi in einer schönen Form zusammengestellt. Das ist schon so eine Art Versuch, einen Nachrichten-Aggregator zu bauen, der auf den Likes der Facebook-Nutzer basiert, die dort sagen, okay, das ist eine interessante Nachricht, und je mehr sich dieser Meinung anschließen, desto höher wird dann auch diese Nachricht angezeigt, desto populärer wird sie angezeigt. Das ist ein Algorithmus, der dort arbeitet, aber auch begleitet mit einem Team von echten Menschen, die dann versuchen, die wichtigsten Nachrichten herauszufiltern. Facebook versucht eigentlich, dieses Thema nach vorne zu bringen, weil sie sagen, die Leute beschäftigen sich damit, dann sollen sie das bitte schön bei uns tun.
Bürger: Wo sehen Sie das Netzwerk in zehn Jahren?
Schmidt: Im Internet habe ich mir abgewöhnt, Prognosen über zehn Jahre zu geben. Es ist so eine Art Kommunikations-Infrastruktur, die Facebook, glaube ich, geschaffen hat, und sie werden versuchen, diese Position natürlich zu halten, eben mit neuen Apps. Es wird ein Supertanker bleiben, aber, glaube ich, mit vielen, vielen Beibooten, mit speziellen Apps für einzelne Bedürfnisse. Für Fotos haben sie ja Instagram gekauft, was ja ein ziemlich kluger Schachzug war, weil die Foto-Community sich extrem gut entwickelt.
Ich glaube, es wird nicht mehr so sehr diese Riesenseite sein, auf der alle den ganzen Tag sind, sondern es wird kleinere Beiboote, kleinere Apps geben, mit denen Facebook aber dann ebenso viele Leute erreicht, und das müssen sie natürlich verteidigen gegen immer neue Wettbewerber. Das ist ja das Spannende. Man dachte ja, Facebook sei durch, es würde sich keiner mehr trauen, gegen Facebook zu konkurrieren, aber im Moment erleben wir das Gegenteil, dass immer neue Konzepte aufkommen, die bei den Nutzern offenbar gut ankommen, wie Snapchat, wie WhatsApp, und das sind einfach Dinge, die Facebook kontern muss. Da muss Facebook eine Antwort drauf haben und das wird die spannende Frage sein, ob sie all diese Sachen, die da jetzt hochkommen, beantworten können.
Bürger: Zehn Jahre Facebook – noch dabei ist der Netzökonom Holger Schmidt, Wirtschaftsredakteur beim „Focus“. Herr Schmidt, besten Dank fürs Gespräch.
Schmidt: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.