Zehn Jahre nach der Flut: Hochwasserschutz kaum verbessert

Georg Rast im Gespräch mit Ulrike Timm · 17.08.2012
Nach der Jahrhundertflut in Sachsen hieß es, man wolle den Flüssen künftig mehr Raum geben und dafür Deiche zurückverlegen. Doch daraus ist bislang nicht viel geworden, sagt Georg Rast, Hochwasserexperte beim Umweltverband WWF.
Ulrike Timm: Vor zehn Jahren erreichte das Jahrhunderthochwasser Dresden. Die Elbe und die Weißeritz suchten ihr ursprüngliches Flussbett und überfluteten ganze Stadtteile, darunter die berühmte Altstadt. Viele Bilder aus diesen Tagen werden jetzt wieder in Erinnerung gerufen: das verwüstete Grimma oder die Familie, die inmitten der Fluten auf der einzig verbliebenen Mauer ihres Hauses saß. Die Solidarität mit den Opfern war eindrucksvoll, und die damals zur Verfügung stehenden Gelder sind nicht einmal komplett ausgegeben worden.

Was übrig blieb, sollte auch für den Hochwasserschutz ausgegeben werden, und wie hieß das Motto, das man auf der großen Flusskonferenz ein paar Wochen nach der Hochwasserkatastrophe ausgab? Den Flüssen mehr Raum geben. Deiche sollten rückverlegt werden, damit das Wasser ausweichen kann und Platz findet, statt als zerstörerischer Strom sich den Weg zu brechen. Was daraus geworden ist, das habe ich vor der Sendung den Hochwasserexperten des WWF, Georg Rast, gefragt, und zuerst sprachen wir darüber, wie viel mehr Platz die Flüsse denn heute bei einem erneuten Jahrhunderthochwasser tatsächlich hätten.

Georg Rast: Es hätte nur unwesentlich mehr Platz, und das auch nur am Mittel- und Unterlauf der Elbe, aber weniger oder gar nicht in der Tschechischen Republik, was ja entscheidend für Dresden ist. Es hat aber etwas mehr Platz in den großen Speichern, die schon vorhanden sind, sowohl an der Moldau als auch an Rückhaltebecken in Sachsen. Aber wir sind weit davon entfernt, dass man sagen kann, den Flüssen steht wirklich mehr Raum zur Verfügung. Mehr Raum heißt ja, dass das Hochwasser auf breiterer Fläche mit niedrigerem Wasserspiegel abfließen kann. Und eigentlich war die Erkenntnis aus den großen Hochwasserkatastrophen ziemlich eindeutig, nämlich: je höher der Deich, desto höher das Risiko.

Und allein die Botschaft, dass Deiche nicht hundert Prozent hochwassersicher sein können, war schon wichtig, ist aber vielfach wieder vergessen worden. Und die entscheidende Frage ist nun, wie können wir dieses Risiko, was immer verbleibt, minimieren? Und da führt eigentlich kein Weg daran vorbei, nicht nur Wasser in irgendwelchen Speichern zurückzuhalten, sondern dass man tatsächlich die Deiche zurückverlegt oder den Flüssen, auch wo es sehr eng ist – wir müssen nicht immer über Tausende von Hektaren reden, sondern manchmal genügt für einen Fluss, der nur 100 breit ist, dass man den Deich um 50 oder 100 Meter zurückverlegt, und schon hat das Wasser mehr Platz, abzufließen bei niedrigerem Wasserstand. Und damit fallen alle Risiken wesentlich kleiner aus und man kann viel entspannter einem Hochwasserabfluss zusehen. Aber davon sind wir weit entfernt.

Man muss allerdings auch konzedieren, dass dieser Prozess ein sehr langwieriger ist. Wir haben nun mal über Generationen die Deiche immer näher an den Fluss herangerückt, und man kann auch nicht erwarten, dass wir innerhalb von zehn oder 20 Jahren diesen Prozess auf den Kopf stellen und sogar physisch revidieren.

Timm: 20 Deiche wollte man rückverlegen, bei wie vielen ist es dann wirklich tatsächlich geschehen?

Rast: Nun, es sind bisher zwei größere Projekte realisiert worden, eines in Brandenburg, bei Lenzen, und eines bei Dessau in Sachsen-Anhalt, und dazu noch ein paar kleinere Flächen, die aber schon vor dem Hochwasser 2002 entworfen worden sind. Und das größere Projekt in Lenzen, muss man auch noch betonen, ist noch dazu vom Naturschutz angeregt worden.

Timm: Aber den Flüssen mehr Raum geben, war das große Motto der Flusskonferenz 2002, wo wirklich alle mitgemacht haben. Woran scheitert denn dieses Ziel, den Flüssen mehr Raum zu geben? Warum werden Deiche letztlich doch nicht rückverlegt?

Rast: Ja, es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die die Gegner auf den Plan rufen, wenn man so sagen darf. Die großen Widerstände sind natürlich zuerst einmal die Gemeinden, die bei einem rückverlegten Deich natürlich eine Beschränkung ihrer Entwicklung befürchten. Dann kommen natürlich die ganzen Ängste. Ein Deich, der vorm Haus liegt und der vorher 200 Meter vielleicht entfernt war, gar nicht richtig wahrgenommen wurde, wird natürlich dann als Bedrohung wahrgenommen. Dazu kommen Argumente, dass Rückverlegungen nicht ausreichend effektiv sind, und natürlich, und das ist der entscheidende Punkt, jede Rückverlegung ist ein ziemlich komplizierter Planungsprozess.

Timm: Aber wenn eine Gemeinde 2002 um ein Haar abgesoffen wäre, warum wehrt sie sich jetzt gegen das, was sie dann angestrebt hat, damals?

Rast: Nun, alle suchen den einfachen Weg. Man nimmt die bestehenden Hochwasserschutzanlagen, also Deiche und Mauern und Rückhaltebecken, und versucht dort, noch mehr herauszuholen und die Deiche eben zu erhöhen oder zu verstärken oder die Rückhaltebecken größer zu machen oder gar neu zu bauen. Und es sind ja ein paar ganz klassische und krasse Beispiele bereinigt worden. Man denke nur an die Gemeinde Röderau-Süd, wo man einige Häuser ausgesiedelt hat und bemerkenswerterweise musste man dort 40 Millionen Euro in die Hand nehmen, um das zu bewerkstelligen. Und das macht schon deutlich, wie schwierig das ist.

Timm: Man hat einen ganzen Ort umgesiedelt, Röderau-Süd, immerhin 300 Leute. Warum war denn das so schwierig? Man sollte doch meinen, die waren froh, dass sie da weg waren?

Rast: Ja, das ist manchmal schwer nachzuvollziehen. Man versteift sich eben darauf, dass man einfach dort, wo man wohnt, einen Anspruch auf entsprechende Schutzanlagen hat und setzt das mit allen Mitteln durch. Und von der Kommunalpolitik über die Landräte in die Landesregierungen bestehen relativ kurze Wege. Es geht ja auch um Eigentum, was dort besteht und was natürlich dann geringeren Wert hat im Überflutungsgebiet, dass man das erhält.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, wir sprechen mit Georg Rast über den Hochwasserschutz in Sachsen zehn Jahre nach der großen Flut. Herr Rast, nun gibt es generell zwei Denkschulen, die auch miteinander konkurrieren. Die eine will wehrhafte höhere Deiche und Flutschutzmauern, und die andere eben Rückverlegung. Ich verstehe immer nicht, man braucht doch eigentlich beides, nämlich Flutmauern in den Städten und mehr Platz für die Flüsse draußen. Warum beharken sich beide Denkschulen so dermaßen unnachgiebig?

Rast: Ja, so krass kann man das darstellen, aber das Beharken hängt auch mit den Verantwortlichkeiten seitens der Staatsbauverwaltungen zusammen, dass man viel zu sektoral arbeitet. Die Wasserwirtschaft zieht also dieses Hochwasserschutzkonzept durch und versucht das natürlich in möglichst kurzer Zeit zu realisieren und dabei vermeidet man unnötige Konflikte und auch Konflikte, die sehr viel Zeit kosten. Und eine Deichrückverlegung ist nun mal wirklich zeitaufwendig. Wir werden keine Deichrückverlegung unter zehn Jahren realisieren, wenn nicht schon irgendwelche fertigen Pläne existieren.

Man vergisst dabei, dass mit jeder Rückverlegung ein neuer Deich gebaut wird. Und ein neuer Deich ist immer besser als jeder bestehende Deich und auch besser als ein Deich, der nur ertüchtigt werden kann an Ort und Stelle. Wir versuchen, diese Ängste zu reduzieren, aber es ist ein schwieriger Prozess. Man muss den Leuten vieles erklären, sie müssen Vertrauen schöpfen natürlich, und man muss auch mit den Eigentümern sprechen, denn ein Quadratmeter Ackerland, was heute durch Deiche geschützt wird, wird dann, wenn es vor dem Deich liegt, als Überflutungsgebiet weniger Wert haben. Und viele Leute haben, auch wenn sie selbst nicht Landwirt oder Landbewirtschafter sind, einfach eine emotionale Bindung zu diesem Land und schätzen diese Verschiebung ihres Ackerlandes in den Überflutungsbereich als realen Verlust ein, was ja nicht stimmt. Die Fläche ist nicht weg, sie muss nur anders bewirtschaftet werden. Eine Weidewirtschaft oder eine Grünlandwirtschaft ist überhaupt nicht ausgeschlossen, aber das ist ja in unseren neuen Bundesländern entlang der Elbe weitgehend verschwunden. Die Viehbestände sind weitgehend weg, das sind alles nur noch Ackerwirtschaftsbetriebe.

Timm: Muss man den Hochwasserschutz nicht als globale Aufgabe sehen? Die Fluten, die kamen ja aus Tschechien.

Rast: Das ist mit Sicherheit eine internationale oder transnationale Aufgabe, und dieser Prozess läuft glücklicherweise mit der tschechischen Republik relativ gut. Nach anfänglichen großen Schwierigkeiten. Aber man hat mittlerweile eine Verständigungsebene erreicht, die zumindest sicherstellt, dass man sich über die Fakten und die Gegebenheiten offen austauscht. Und wenn man das macht, ist das schon ein großer Fortschritt, denn nur so können dann die wichtigen Lösungen ausgewählt werden.

Timm: Ist natürlich eine große Aufgabe, die alle an einem Strang ziehen lassen muss. Lassen Sie uns am Schluss unseres Gespräches noch mal eine Art Wasserstandsmeldung machen, Herr Rast. Wenn Sie auf einer Skala von eins bis zehn sagen sollten, wie viel man in den letzten Jahren gelernt hat, wie würden Sie die denn setzen?

Rast: Ja, ich würde sagen, da haben wir noch nicht die Hälfte erreicht.

Timm: Und bis dahin müssen wir hoffen, dass die Natur die nächsten Fluten nicht ganz so dramatisch ausfallen lässt?

Rast: Ja. Da gehört sicher ein Stück Hoffnung dazu. Denn ein Hochwasser 2002, wenn das wieder so auftreten würde, wird nicht ohne Schäden ablaufen. Kann auch nicht ohne Schäden ablaufen.

Timm: Der Hochwasserexperte des WWF, Georg Rast, war das, zehn Jahre nach der großen Flut in Sachsen. Herr Rast, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Rast: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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