Zehn Jahre Museum Marta Herford

Eine Schau für den "Zirkusdirektor" Jan Hoet

Das Museum für zeitgenössische Kunst, das "MARTa" in Herford
Das Museum für zeitgenössische Kunst, das "MARTa" in Herford © picture alliance / dpa
Von Volkhard App · 06.05.2015
Bei Null fing der 2014 verstorbene Gründungsdirektor Jan Hoet in dem Frank Gehry-Bau in Herford beim Aufbau des Marta-Museums an. Seine Kämpfe im kommunalen Alltag für die zeitgenössische Kunst haben sich gelohnt: Heute kommen rund 60.000 Besucher pro Jahr.
Ein Ufo, das in der Provinz gelandet ist – dieses Bild stimmt noch immer: auch nach zehn Jahren verwundert das aufregend geschwungene Gemäuer von Frank Gehry, verbunden mit der Möglichkeit, ausgerechnet in Herford zwischen diesen tanzenden Wänden moderne Kunst zu erleben. Die Geburt war mit den gigantisch gestiegenen Baukosten recht schwierig. Es bedurfte damals eines öffentlichkeitswirksamen "Zirkusdirektors", um die Distanz in der Stadt zu überwinden und die Moderne zu vermitteln. Manche Äußerung Jan Hoets klang wie eine Kampfansage:
"Entweder schläft die Stadt weiter ein oder sie geht in die Zukunft!"
Als Jan Hoet 2008 das Haus verließ, schenkten ihm die Mitarbeiter in einer Kiste 41 Zeichnungen und druckgrafische Blätter im DIN A 4 -Format, zugeschickt von bekannten und weniger bekannten Künstlern. Diese Werke werden nun erstmals gezeigt. Michael Kröger, langjähriger Marta- Kurator:
"Ich kenne kein Projekt, das zum Abschied eines Direktors von Künstlerseite so enorm auf Gegenliebe gestoßen ist. ich glaube, dieser Gestus, dass man einem scheidenden Museumsdirektor ein Geschenk macht, das sehr viel über dessen Lebensgeschichte, aber auch über dien aktuellen Zustand der Verbindung zwischen Künstler und Direktor aussagt – das, finde ich, ist sehr bewegend und auch einmalig."
Sehenswerte eigenwillige Arbeiten, auf denen der "große Zampano" zuweilen auch im Foto festgehalten ist, so bei Benjamin Katz: Jan Hoet schaut hier listig und verschmitzt, steht sogar auf einem Ausstellungs-Sockel und genießt die öffentliche Aufmerksamkeit.
Mancher Künstler hat auch ein paar Zeilen dazugeschrieben, Frank Gehrys Blatt ist dabei ein einziges Loblied: "I love you" ist da zu lesen, mit Dank für die Unterstützung.
Matthew Barney zeigt Jan Hoet als Boxer
Schon als Documenta-Chef hat sich Hoet gern als Boxer inszeniert. Deshalb zeigt Matthew Barney auf seiner Zeichnung einen resoluten Faustkämpfer, der allerdings durch kniehohes Wasser waten muss.
Jan Hoets Kämpfe fanden im kommunalpolitischen Alltag statt – in den Auseinandersetzungen um den Marta-Etat, ein Dauerkonflikt mitsamt Abmahnung. Als sich eine seiner Themenausstellungen, die stets eine fantasievolle Gemengelage waren, mit der Absurdität in der Kunst beschäftigte, lag die Frage nahe, ob er nicht auch seine eigene Rolle in Herford als absurd empfinde:
"In meinem eigenen Leben hier in der Provinz Ausstellungen zu machen, das ist eine doppelte Bedeutung von absurd. Frank Gehry in einer kleinen, mittelalterlichen Stadt ist ein Anachronismus. Dazu ein Direktor, der sich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt – in einer Stadt, in der das als Hemmung empfunden wird."
Jan Hoet ist unvergessen, die Bandbreite der heutigen Ausstellungen gehört mit zu seinem Erbe, war aber von Anfang an auch schon im Namen fixiert. Wobei das M von Marta ursprünglich für Möbel stand – die heimische Industrie gab finanzielle Impulse, regionale Unternehmen stützen auch heute noch die Betreibergesellschaft.
Mit Museen, die aufgrund einer großen, komplexen Sammlung Forschungsarbeit betreiben, ist Marta mit den rund 350 eigenen Stücken allerdings nicht vergleichbar – auch wenn das Haus kürzlich als "Museum des Jahres" ausgezeichnet wurde. Direktor Roland Nachtigäller:
"Jan Hoet hatte zur Gründung des Museums als Schlüsselbild das Foto eines Babys genommen. Und genau das ist die Situation: Wenn Sie ein Museum gründen, fängt auch alles erstmal bei Null an. Wir haben nach wie vor eine sehr intensive Sammlungstätigkeit, auch wenn unsere Mittel beschränkt sind. Wir nehmen den Forschungsauftrag nicht nur in Bezug auf die Sammlung, sondern auch auf die Kunstgeschichte sehr ernst. Es ist einfach die Anfangsphase einer Museumsgründung, die natürlich auf etwas aufbauen muss. Und diese Basis schaffen wir Jahr für Jahr, haben ein ganz explizites Museumsverständnis und arbeiten daran, das auch weiter auszubauen."
Aktuell: Fotos von und mit Frida Kahlo
In der oberen Etage des Hauses bietet sich der Kunst nach wie vor ein intimerer Rahmen, im Zentrum der großen Halle, dem "Dom", aber muss entsprechend inszeniert werden. Ist Marta deshalb ein "Spektakel"-Gehäuse? Viele der originellen Ausstellungen auch nach der Amtszeit Jan Hoets haben intensive Erfahrungen vermittelt: die Villen des Architekten Richard Neutra wurden hier vorgestellt und die Geniestreiche des Konstrukteurs Richard Buckminster-Fuller.
Vom Design aus Istanbul über die Klangapparaturen Bildender Künstler bis zu ihren obsessiven Privat-Sammlungen reichte das Spektrum. Nicht wenige dieser Präsentationen haben sich positiv im Gedächtnis festgesetzt. Gegenwärtig stehen architektonische Visionen im Mittelpunkt, und in der oberen Etage finden die Fotos mit und von Frida Kahlo ein noch größeres Publikum.
Rund 60.000 Besucher kommen pro Jahr – fern der Metropolen scheint das viel zu sein, und ist doch ausbaufähig aufgrund des Aufwands, der oft großen Namen und reizvollen Themen:
"Ich kenne nach wie vor kein Museum für zeitgenössische Kunst, das so viele Besucher hat wie die Stadt Einwohner. Man sieht es auch, wenn man hier im Museum ist: es ist eigentlich immer was los. In diesem Haus ist viel Leben, es wird genutzt und ist deshalb in meinen Augen ein großer Erfolg."
Ein Ufo, das nicht mehr wegzudenken ist.
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