Zehn Jahre Mohammed-Karikaturen

"Ich war traurig, meinen Propheten so zu sehen"

Der Religionswissenschaftler Ahmad Milad Karimi
Der Religionswissenschaftler Ahmad Milad Karimi © Deutschlandradio / Volker Finthammer
Milad Karimi im Gespräch mit Philipp Gessler · 04.10.2015
Vor zehn Jahren brachten Mohammed-Karikaturen aus Dänemark die Welt in Aufruhr. Milad Karimi, Professor für Islamische Philosophie und Mystik, ist zwar überzeugt: Religion lebt von Kritik. Über die Karikaturen konnte er damals trotzdem nicht lachen. Aus mehreren Gründen.
Philipp Gessler: Seit Anfang der Woche und noch eine Woche lang stellen wir in Deutschlandradio Kultur Menschen vor, die ihre Heimat verlassen mussten. "Neues Zuhause" heißt diese Serie, "Geschichten vom Ankommen".
Sie haben im Zuge dieser Serie heute schon einiges von Milad Karimi mitbekommen. Geboren 1979 in Kabul, Afghanistan, aufgewachsen mitten im Krieg, floh er als Kind mit seiner Familie über Moskau, übrigens mithilfe eines Schleppers, nach Deutschland – und hat hier eine unglaubliche Karriere gemacht: Milad Karimi ist einer der führenden Köpfe des Islam in Deutschland, ja in Europa. Wenn es jemals so etwas wie den Euro-Islam geben sollte, dann wird man an seinem Namen nicht vorbeikommen.
Aber mit Milad Karimi, Professor für Islamische Philosophie und Mystik an der Universität Münster, wollen wir in "Religionen" nicht noch einmal über seine Flucht sprechen, sondern über die sogenannten Mohammed-Karikaturen, die vor zehn Jahren die halbe Welt in Aufruhr gebracht haben. Meine erste Frage an Milad Karimi war, ob er sich noch daran erinnern könne, wo und wie er damals von den Mohammed-Karikaturen erstmals gehört habe.
Milad Karimi: Ja, eigentlich schon. Es war so vor zehn Jahren ungefähr, ich war ziemlich überrascht, weil ich war in Indien in dieser Zeit und habe es dort erlebt. Ich war in der Altstadt in Delhi, und plötzlich sah ich eine Masse von Menschen, die protestieren, und da gab es auch die dänische Flagge, und da hab ich mir schon gedacht, da muss irgendwas Großes passiert sein. Aber aus der Demonstration heraus konnte ich nicht entnehmen, was los ist, sondern erst im Nachhinein.
Gessler: Dann haben Sie wahrscheinlich auch die Karikaturen in den Zeitungen oder wo auch immer gesehen. Hat Sie das verwundert, dass es auf einmal diesen großen Ärger damit gab?
"Künstlerisch nicht gelungen genug, um sich aufzuregen"
Karimi: Es hat mich nicht verwundert, weil ich hab mir schon gedacht, als ich das gesehen habe, was für Gefühle, was für eine Wut das Ganze auslösen kann. Ich war ein bisschen überrascht, weil ich die Karikaturen einfach nicht schön genug fand, also künstlerisch einfach nicht gelungen genug, um darüber sich aufzuregen. Daran kann ich mich gut erinnern.
Gessler: Gerade die Karikatur mit Mohammed, sein Turban als eine Art Bombe, das ist ja fast zu einer Ikone geworden, und man kann natürlich schon fragen, ist das eigentlich eine wirklich gelungene Karikatur. Was war eigentlich da das Entsetzliche oder das, was die Leute aufgeregt hat – dass Mohammed karikiert wurde oder dass er mit einer Bombe karikiert wurde?
Karimi: Ich denke, die Differenzierung hat man damals, glaube ich, nicht gehabt. Ich kann von mir persönlich sagen, ich bin ein gläubiger Muslim und zugleich bin ich auch ein Verfechter der Meinungsfreiheit, insofern ist das schon in Ordnung, dass er karikiert wird und das müssen wir Muslime auch ertragen können, das durchaus. Nur der Kontext, in dem er so dargestellt wurde, wie er dargestellt wurde, und durch diese ganze terroristische Note und der Leitartikel dahinter, das ist schon ein bisschen verwunderlich, finde ich, weil man natürlich auch immer mit diesem Argument gerne dann gearbeitet hat – und seit zehn Jahren bis heute hat sich nämlich gar nichts geändert: Muslime können nicht mit der Meinungsfreiheit und mit der Demokratie umgehen, sie verstehen keinen Humor, und das ist aber unser Recht, und wir müssen und wir können, wir müssen uns für unser Recht einsetzen und auch Mohammed, darüber muss man auch lachen können. Das ist natürlich ziemlich eindimensional, denn man muss erst mal zunächst auch zwischen Recht und Moral unterscheiden.
Es ist natürlich unser Recht, sagen zu können, und über jede Person, die wir kennen, auch eine Karikatur zeichnen können. Das ist in der Tat wahr. Und dafür setze ich mich auch persönlich ein, und nicht nur ich, sondern viele Muslime auf dieser Welt. Aber zugleich ist es so, dass man sich fragen muss, ob man nicht den Begriff der Freiheit missverstanden hat, denn alles, was man tun kann, muss man eigentlich nicht machen. Wir beide sprechen gerade, Sie werden jetzt auch kein Lied von Britney Spears singen, weil Sie auch gewisse Rahmenbedingungen haben. Sie haben einen Redaktionsschluss, Sie haben auch Redaktionsbesprechungen, es gibt eine Abmachung, worüber wir reden, wie wir miteinander reden, aber ich würde nicht sagen, dass wir beide uns in unserer Freiheit eingeschränkt sehen, weil wir nicht "I'm not a Girl" singen, weil das einfach sich nicht gehört, so etwas zu tun.
Und ich finde, das ist auch in diesem Kontext von Mohammed und religiöse, sakrale Figuren schon da. Es gibt keinen Sinn für Religiosität, für Heiligkeit in unserer Zeit, und weil es sie nicht gibt, denkt man, dass man das auch mit den Füßen treten kann im Namen der Freiheit, und das finde ich bedenklich.
Schlecht gezeichnet oder falscher Kontext
Gessler: Haben Sie denn den Eindruck, dass seit den Mohammed-Karikaturen tatsächlich Religion satirisch anders behandelt wird als vorher?
Karimi: Nein, also ich meine, die Sache mit der Mohammed-Karikatur, also von dort bis Charlie Hebdo, hat eine ganz eigene Dimension. Es gibt auch Bücher, die schon darüber geschrieben worden sind. Das ist eine eigene Figur. Aber über Religion lachen zu können, über religiöse Figuren, über Themen, das ist nicht neu, das hat es auch in der islamischen Welt schon immer gegeben, wissen Sie. Denken Sie an Monty Python – also sowohl im Christentum als auch im Judentum und im Islam gibt es das, und da gibt es immer auch religiöse Menschen, die damit ein Problem haben. Sie werden "Life of Brian" nicht in Köln im Dom aufführen – so etwas gehört sich nicht.
Es gibt Menschen, die uns in einer gewissen Weise berühren. Ob es jetzt Jesus ist, ob es Maria ist, Mohammed ist oder Abraham ist, wir sind kritisch, wir nehmen nicht alles für wahre Münze. Auch wir religiösen Menschen können auch kritisch denken ausnahmsweise, aber es gibt auch eine Art Respekt. Und das ist etwas, was natürlich schwerlich zu vermitteln ist. Zunächst, weil man immer Freiheit als so etwas verstanden hat wie, tun zu können, was man will. Das ist aber Willkür, das hat schon Kant gezeigt. Aber nicht tun zu können, was man will, ist Freiheit, sondern einfach seine Grenzen einsehen, zu sehen, wann kann ich einen Menschen verletzen. Und mit der Karikatur von Mohammed, das ist die Verletzung von dem inneren Glaubensgefüge von Milliarden von Menschen, denn auch ich fühlte mich beleidigt. Ich war einfach traurig, meinen Propheten, den ich so sehr liebe, so zu sehen.
Ich wäre aber genauso traurig, wenn meine Mutter sexistisch dargestellt worden wäre. Ich würde niemanden dafür töten, aber ich wäre schon entsetzt. Und ich glaube, wir dürfen traurig sein, auch wir religiösen Menschen, darüber und unsere Trauer natürlich auch anders zeigen, auch vielleicht die gesamtgesellschaftliche Debatte auch mitprägen, mitgestalten, auch Sensibilität schaffen und nicht nur Opfer spielen. Was man leider auch dann getan hat.
Gessler: Finden Sie denn, dass Religion überhaupt Thema von Satire sein sollte?
Karimi: Ja, sehr sogar, weil auch die Satire, sowohl Humor als auch das indirekte Reden, das Verspielte, das Nichtgesagte, das Verschwiegene, das Andeutende eine unglaubliche Errungenschaft ist, auch literarisch etwas zu vermitteln. In unseren Ländern, islamischen Ländern, ist Satire ja gerade so die Form der Vermittlung, weil man nicht direkt sagen kann in Ländern, wo Diktaturherrschaften sind, was man eigentlich will, welche Kritikformen. Und da sind diese Satireformen unglaublich gegeben, dass man in anderen Formen versucht, sich Ausdruck zu verschaffen, und Religion lebt von Kritik. Religionen leben von Menschen, die sich damit wirklich auseinandersetzen, so kritisch und so distanziert wie möglich. Da müssen wir religiösen Menschen sehr dankbar sein für diese Form. Nur der Kontext muss irgendwie stimmen.
Wie gesagt, es muss wenigstens gut sein, was da gezeichnet wird. Es muss ein Kontext sein, bei dem man sich nicht gleich beleidigt fühlt, sondern zum Nachdenken angeregt wird. Und da bin ich sehr dankbar, wenn man mich mit so einer Karikatur konfrontiert. Das ist leider nicht geschehen in diesem Zusammenhang.
"Meine Moralität verbietet mir dies"
Gessler: Darf Religion satirisch aufgespießt werden, aber bei Mohammed hört dann die Satire auf, oder wie soll man das verstehen?
Karimi: Nein. Nein, nein. Ja, genau, alle anderen Religionen dürfen, nur der Islam nicht – nein, so war das nicht gemeint ... (...) Wie gesagt, ich kann auch mit einer Karikatur über Mohammed leben. Es ist schwer, aber ich kann sehr gerne damit leben, und ich begrüße das auch sehr, wenn es gut gemacht ist, wenn es mich zu etwas bringt, was ich sonst nicht denken würde, das schon – also sehr gerne, nur wie man das tut, in welchem Kontext man das tut und was man damit will. Wissen Sie, wenn man mir dann nicht ...
Wenn ich darüber jetzt kritisch denke, dann vorwirft, du bist nicht Demokrat genug, du hast ein Problem mit der Meinungsfreiheit, denn das ist so ein Totschlagargument, das stimmt ja gar nicht. Sie werden auch von diesen großen Zeitungen, die so gerne für die Freiheit kämpfen, genau dieselbe Satire für Holocaust kaum finden. Über Schoa, ich bitte Sie, darüber mache ich keinen Witz. Ich schreibe darüber auch keine Satire und auch keine Karikatur über die Opfer von so einer Gräueltat, gerade in Deutschland ja nicht, aber ich werde auch den Teufel tun, zu sagen, wenn man das nicht tun kann, dann ist man nicht frei genug. Da merken Sie, es gibt das Recht, sich lustig zu machen über Holocaust, das ist mein gutes Recht als ein freier Bürger, auch darüber zu lachen und Witze zu erzählen.
Mein Recht schon, aber meine Moralität verbietet mir dies. Und weil ich eine gewisse Verantwortung verspüre gegenüber allen Verbliebenen, über Glaube überhaupt, über die Menschheit, über die Würde des Menschen, dass ich das nicht tue. Und in demselben Kontext, finde ich, dass wir Religion ebenso sehen können. Wir können darüber lachen, wir können darüber Satire schreiben, Karikaturen entstehen lassen, was auch gut ist, aber dennoch in einem Rahmen der Verantwortung und Respekt. Und wenn das geschieht, dann kann man machen, was man will, dann wird man auch gerne das sehen.
Gessler: Es gibt ja Leute, die sagen, generell wird Religion nicht so viel Respekt entgegengebracht, wie man eigentlich Religion Respekt entgegenbringen sollte. Finden Sie das auch?
Karimi: Im Allgemeinen ist das schwierig. Wissen Sie, wir leben schon in einer postmodernen, post-postmodernen Zeit, in der wir überhaupt keinen Halt mehr haben. Was ist uns schon heilig? Weder die Ehe noch die Familie, was ist schon geblieben bei uns. Der Begriff der Wahrheit ist schon seit hundert Jahren verschwunden, alles ist einfach nur in einem Netz vernetzt in dieser Form, in dieser Weise, wie wir leben. In diesen Gesellschaften, ist Religion ohnehin so eine verrückte Sache. Da behauptet man, es gebe einen Gott, und dieser Gott ist die Wahrheit, und es gibt eine Offenbarung – all das hört sich gut an, aber nur im Kontext von diesen Religionen, außerhalb von denen ist Religion kaum mehr salonfähig.
Insofern verstehe ich schon, dass man kaum Respekt davor hat, denn Religionen haben auch irgendwie ein bisschen verpasst, Kommunikabilität zu schaffen, sich selbst zu erklären, auch Respekt zu zeigen, auch zu zeigen, warum man ihnen überhaupt Respekt gegenüber haben sollte. Allein das zu fordern, das überzeugt doch niemanden, aber zu zeigen, warum Mohammed eine Person ist, die respektabel ist. Wenn uns Muslimen gelingen könnte, nicht nur für uns selbst, sondern für alle Menschen wirklich zeigen zu können, dass Mohammed eine respektable Person ist, dann haben wir unsere Aufgabe getan. Und ich finde, immer Respekt zu fordern, ist auch ein bisschen einseitig.
Gessler: Sondern?
Karimi: Auch eben zu zeigen, dass man erst einmal Respekt auch gegenüber denen, von denen man Respekt haben will, auch Respekt zeigt. Und das wäre so etwas, wenn jemand eine Karikatur zeichnet, dass man (....), ich finde das ist nicht gut, das betrifft mich, ich sehe, dass es verantwortungslos ist, auch der Kontext war verantwortungslos, die Sprache, der Duktus, diese ganze Zeitung war nicht in Ordnung, aber dennoch respektiere ich die Arbeit von diesem Menschen und respektiere auch die Freiheit, da dahintersteckt. Auch der Idee dieser Freiheit habe ich großen Respekt entgegengebracht, aber zugleich versuche ich auch – und da sehe ich meine Aufgabe darin –, zu zeigen, kommunikabel zu machen, was für ein Problem ich damit dennoch habe.
Und wenn das klar ist, wenn das deutlich ist, worin die Heiligkeit so einer Person liegt, warum ich als Muslim so was nicht tun würde – ich würde alles tun, aber nicht über den Propheten Mohammed lachen –, wenn das mir gelingen könnte, dann würde so etwas wie Respekt sich von alleine generieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema