Zank und Streit bei WikiLeaks

Markus Beckedahl im Gespräch mit Katrin Heise · 30.09.2010
Markus Beckedahl von netzpolitik.org glaubt, dass andere Plattformen womöglich besser und transparenter mit geheimen Informationen umgehen könnten als WikiLeaks. Er fordert "mehr Konkurrenz" für die Online-Plattform.
Katrin Heise: Der deutsche WikiLeaks-Sprecher Daniel Schmitt ist ausgestiegen aus dem Projekt. Anfang dieser Woche gab er im Nachrichtenmagazin "Spiegel" sein Zerwürfnis mit Wikileaks-Gründer Julian Assange bekannt. Inzwischen ist er auch nicht mehr der einzige. Die Vorwürfe sind schwerwiegend: Intransparenz und Machtkonzentration. Und das bei einem Portal, das genau das ja bekämpfen will.

WikiLeaks und sein Gründer, der Australier Assange, sind angetreten, verschlossene, geheime Dokumente zu veröffentlichen, eine dezentrale Enthüllungsplattform zu sein. Am spektakulärsten ist das sicherlich gelungen in diesem Sommer, als tausende und abertausende von US-Militär-Dokumenten über Aktionen und Operationen im Afghanistankrieg veröffentlicht wurden. Am Telefon begrüße ich jetzt Markus Beckedahl vom Internetblog und der Plattform netzpolitik.org, schönen guten Tag!

Markus Beckedahl: Guten Tag!

Heise: Ist das Ihrer Meinung nach ein interner Streit? Oder liegt doch wirklich was im Argen bei WikiLeaks?

Beckedahl: Beides. Es ist natürlich ein interner Streit über die Ausrichtung. Man hat das Gefühl, dass verschiedene interne Aktive, also sehr aktive, im Projekt Mitwirkende etwas verändern wollten, die … zwischen Anspruch und Möglichkeit. Also sie wollten die Organisation reformieren, die ja sehr auf eine Person zugeschnitten war, und sind damit gescheitert und jetzt wohl ausgestiegen. Und das ist so der Stand der Dinge.

Heise: Welche Bedeutung hat WikiLeaks, also bisher, sagen wir mal? Welche Bedeutung es danach hat, werden wir dann noch erörtern.

Beckedahl: Also WikiLeaks ist nicht die erste Plattform, die einen sicheren Hafen gewährleistet, die also Whistleblowern die Möglichkeit gibt …

Heise: … also Informanten.

Beckedahl: … ja, Informanten, anonym Geheimnisse zu verraten. Aber es ist die erste Plattform dieser Art, die das Ganze populär gemacht hat. Also durch diese erfolgreichen Scoops in den letzten Monaten allein ist ja WikiLeaks in den Nachrichtensendungen gelaufen, ist ja direkt in unsere Wohnzimmer gekommen, ist schon fast Teil der Populärkultur geworden, und hat, ja, generell das, ja, Informationsverbreiten, das Geheimnisverraten ein klein wenig populärer gemacht.

Heise: Die Veröffentlichung von abertausenden Geheimnissen, geheimen Afghanistan-Dokumenten zum Beispiel, und, wie Sie sagen, dann dafür den sicheren Hafen zu bieten, das heißt, die Informanten ja auch zu schützen, auch die Quellen zu schützen, das erfordert ja eine gigantische Manpower. Ist die eigentlich vorhanden?

Beckedahl: Also WikiLeaks sagt immer, dass sie ja mehr als 1000 Menschen in ihrem Netzwerk hatten. Das kann man natürlich von außen nicht verifizieren. Aber sie brauchen natürlich erst mal eine ganz gute Infrastruktur. Die müssen sie auch administrieren, die müssen sie auf verschiedensten Servern, am besten in verschiedensten Ländern, verteilen, damit ein einzelnes Land die Plattform nicht abschalten kann. Und sie brauchen im Optimalfall natürlich zusätzlich noch Rechercheleistung, um die Einreichungen zu verifizieren, um Schlechtes und Falsches von Richtigem auszusortieren und zu entscheiden, was ist relevant und was nicht.

Heise: Ja, das heißt, da braucht man auch eine sehr starke Urteilskraft. Wie ist die eigentlich gewährleistet?

Beckedahl: Also bisher hat WikiLeaks eigentlich keinen mir bekannten Fehler begangen. Also man hat anscheinend schon auch mit externem Sachverstand alles geprüft, und die Glaubwürdigkeit, die Reputation steht ja und fällt damit, was man veröffentlicht. Und da kann man bisher WikiLeaks nichts vorwerfen.

Heise: Trotzdem werden WikiLeaks, vor allem dem Gründer Assange, jetzt intransparente Strukturen bei WikiLeaks vorgeworfen. Kaderstrukturen, davon ist sogar die Rede. Wie kann denn dabei für Transparenz gesorgt werden?

Beckedahl: Ja, das ist die spannende Frage. Also WikiLeaks ist angetreten als Plattform, die sich für mehr Offenheit und Transparenz in der Welt einsetzen möchte, die das von allen anderen verlangt. Aber selbst ist man da sehr zurückhaltend. Das kann man natürlich, ja, damit auch argumentieren, dass die Plattform sehr schnell in den letzten Monaten gewachsen ist. Dass man nicht die richtigen Strukturen vorher gefunden hat, um mit so einem Wachstum klarzukommen. Aber anscheinend gab es auch Vorbehalte, ob diese Organisation, die halt sehr auf den Gründer zugeschnitten war, überhaupt reformierbar ist, und was halt dann zu diesem Eklat und den Austritten geführt hat.

Heise: Was bedeuten denn eigentlich diese Vorgänge jetzt für Informanten, für Quellen? Ich meine, es gab ja sowieso Vorwürfe im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Afghanistan-Papiere, dass die Quellen unzureichend geschützt sind, zum Teil die Namen ja gar nicht geschwärzt und die Menschen jetzt in Lebensgefahr sind.

Beckedahl: Also es bedeutet erst mal eher so ein bisschen Unsicherheit, wie es mit …

Heise: Ja, aber Unsicherheit ist doch eigentlich der Tod eines solchen sicheren Hafens, wie Sie ihn nennen.

Beckedahl: Also es bedeutet eher Unsicherheit, wie es jetzt mit WikiLeaks weitergeht. Man kann immer noch davon ausgehen, dass diejenigen, die da Sachen einreichen, ausreichend geschützt sind, dass die anonym bleiben. Das Problem und der Vorwurf bei diesen Afghanistan-Tagebüchern war ja, dass man sich nicht ausreichend Zeit gelassen hat, diese 75.000 veröffentlichten Dokumente noch mal genauer nach personenbezogenen Daten durchzuschauen. Das hat man argumentiert, man hätte die Manpower nicht, aber intern gab es da auch Vorbehalte, die halt sagten, okay, dann müssen wir halt diese Manpower auftreiben. Wir dürfen nicht die Menschenleben gefährden, und jedes Menschenleben ist eigentlich wichtiger, als die ganzen Sachen jetzt ein bisschen vorschnell zu veröffentlichen.

Heise: Im Deutschlandradio Kultur geht es um das Zerwürfnis der Enthüllungsplattform WikiLeaks, ich spreche mit dem Betreiber von netzpolitik.org, Markus Beckedahl. Herr Beckedahl, es soll bei Wikileaks ja – so hat man in Zeitungsberichten gelesen – demnächst Veröffentlichungen ähnlichen Ausmaßes zum Irakkrieg geben. Ist das eigentlich sinnvoll, sich immer diesen großen Schauplätzen so in dieser Form zu widmen?

Beckedahl: Das ist, ja, so die große Frage, die auch zum Zerwürfnis beigetragen hat. Es scheint wohl so zwei Lager bei WikiLeaks zu geben, das eine Lager um Julian Assange, die versuchen, sich auf die großen, medienwirksamen Sachen zu konzentrieren, für die man auch viel Manpower braucht, aber über die man dann auch wiederum die ausreichende mediale weltweite Öffentlichkeit bekommt, um Spenden einzutreiben, die man auch zum Betreiben der Plattform braucht. Auf der anderen Seite gibt es das Lager, was jetzt wohl mit ausgetreten ist, die der Meinung waren, wir brauchen einen sicheren Hafen für alles, was relevant ist, …

Heise: … auch für kleinere Dinge.

Beckedahl: … auch regionale und nationale Geheimnisse, die jetzt nicht die ganze Weltöffentlichkeit interessieren, aber die trotzdem helfen können, das Leben von Menschen zu verbessern, indem sie auf soziale und politische Missstände hinweisen. Und das ist natürlich in diesem Jahr zu kurz gekommen. Es gab so gut wie keine kleinere Veröffentlichung, sondern nur diese beiden riesigen medialen Ereignisse.

Heise: Wie kann man denn tatsächlich dieses Ziel der, ja, der Korruptionsverhinderung, der größeren Transparenz, die diese Plattform und auch andere Plattformen wollen, wie kann man das tatsächlich durchsetzen? Wo muss man jetzt Fehler vermeiden, zum Beispiel auch, wenn die Ausgeschiedenen aus WikiLeaks eine neue Plattform aufmachen wollen?

Beckedahl: Also es spricht nichts dagegen, neue Plattformen aufzubauen, wie gesagt, WikiLeaks ist nicht die erste Plattform dieser Art und sie wird auch längst nicht die letzte sein. Vielleicht ist es auch ein bisschen problematisch, wenn sich alles auf eine Plattform konzentriert, weil eine Plattform ist leichter auszuschalten als viele verschiedene Plattformen.

Wenn man jetzt neue Plattformen gründet, so sollte man natürlich aus diesen Erfahrungen lernen. Man sollte schauen, dass man eine - wenngleich auch nicht ganz so transparent, aber zumindest innerhalb einer Organisation - eine demokratische Infrastruktur hinbekommt, demokratische Entscheidungen, dass nicht alles auf eine Person zugeschnitten ist. Und man sollte natürlich, um Vertrauen zu schaffen, mehr Transparenz in der Verwendung von Spendenmitteln einplanen.

Also im Moment ist ja relativ unklar: Wo fließen Gelder, die man an WikiLeaks spendet, hin? Da gibt es nur eine halbwegs transparente Möglichkeit, das ist die deutsche Wau Holland Stiftung, die sich Informationsfreiheit und Transparenz in die Stiftungssatzung geschrieben hat. Und diese Stiftung unterliegt deutschem Steuerre… Stiftungsrecht, und da, das ist jetzt kein Bankkonto oder Girokonto, wo halt die WikiLeaks-Organisatoren einfach drauf zugreifen können und das Geld irgendwo anders hinbringen können, wie es bei anderen Quellen so ist.

Also die Verwendung der Steuer… Spendengelder sollte halbwegs transparent gewährleistet werden. Und man sollte halt eine Organisationsstruktur aufbauen, die es ermöglicht, genug Ressourcen zu haben, damit man personenbezogene Daten aus Informationen und aus, ja, Dokumenten herausnehmen kann. Und man sollte halt zusehen, das Ganze nicht auf eine Person zuzuschneiden.

Heise: Wenn Sie, wenn ich Sie richtig verstehe, jetzt gerade in der Konkurrenz solcher Enthüllungsplattformen eine gewisse Sicherheit sehen, kann man doch auch dagegen setzen: Je mehr Menschen sich um diesen Enthüllungsmarkt kümmern, desto mehr Zeitdruck entsteht wieder, und dann haben wir wieder das Problem, was jetzt gerade bei den Papieren aus dem Afghanistankrieg ja vorgeworfen wird, nämlich dass man nicht die Zeit hatte, sich die Zeit nicht genommen hat, tatsächlich zu prüfen, zu schwärzen und zu schützen. Dieser Zeitdruck wird doch noch, bei vermehrter Konkurrenz noch viel schärfer werden.

Beckedahl: Da wäre ich mir nicht so sicher. Also was ich mit mehr Konkurrenz-Situation meine, ist, dass man einen Wettbewerb der verschiedenen Betreibermodelle hinbekommen könnte, dass halt innerhalb, in einem Wettbewerb zu anderen Projekten jedes Projekt ein anderes Betreibermodell entwickeln könnte. Die einen sind transparenter, die anderen sind nicht transparenter. Und gemeinsam kämpft man quasi um den Markt des Vertrauens derjenigen, die halt einerseits Dokumente veröffentlichen wollen, und derjenigen, die halt Spenden und menschliche Ressourcen an so eine Organisation spenden wollen.

Und auch hier denke ich wird sich dann zeigen, welche Plattform sorgsamer mit denen ihnen zuge-'leakten', also zugeschickten Dokumenten umgeht, und langfristig wird sich das beste Modell durchsetzen.

Heise: Über die Situation bei WikiLeaks Markus Beckedahl, Betreiber von netzpolitik.org, vielen Dank, Herr Beckedahl, für das Gespräch! Er sieht seine Hoffnung in der Konkurrenz auf dem Markt.