"Zärtliches Raubein mit Ecken und Kanten"

Torsten Körner im Gespräch mit Gabi Wuttke · 23.07.2013
Er ist weit mehr als Kommissar Schimanski: ein sensibler Darsteller, der perfektionistisch die Rollen seines Lebens auszufüllen sucht. Jetzt hat sich Götz George das Leben seines Vaters vorgenommen - ein Projekt, das er lange abgelehnt habe, berichtet sein Biograf Torsten Körner.
Gabi Wuttke: Mit 15 spielte er zum ersten Mal in einem Film. Da war der erste Auftritt am Theater schon Geschichte. Drei Jahre später bekam er seine erste Hauptrolle – er war Kalle und Fred, der Mörder Fritz Haarmann, der KZ-Arzt Josef Mengele und Büchners Danton, heimste Preise ein und ist doch bis heute für viele vor allem …

"Mein Name ist Schimanski, Kriminalpolizei ..."

Wuttke: Am 75. Geburtstag von Götz George ist Torsten Körner im Studio, er hat die erste autorisierte Biografie über den Schauspieler geschrieben, der nur sehr selten Interviews gibt. Einen schönen guten Morgen.

Torsten Körner: Guten Morgen, hallo.

Wuttke: Ist der Mann ein Raubein, ein kantiger Typ oder tut er nur so? Wie haben Sie ihn erlebt?

Körner: Er ist ein Raubein, aber er ist wahrscheinlich ein zärtliches Raubein und ein Raubein mit Ecken und Kanten, aber auch eins, das leise Töne beherrscht und kann.

Wuttke: Leise Töne zum einen, aber wenn der Mann den Raum betritt, dann ist er da, oder? Er kann schon für sich vereinnahmen oder von sich einnehmen machen?

Körner: Er hat eine große physische Kraft und Präsenz, und das wollen ja die Kameras und die Augen der Öffentlichkeit auch sehen. Er ist jemand, der Räume füllt, er ist aber andererseits als Schauspieler auch immer wieder ein dienender Mensch, der den Raum nicht nur mit sich selbst füllt, sondern auch mit seinen Kollegen und mit Perspektiven, und das macht einen guten Schauspieler aus.

Wuttke: Wie haben Sie ihn denn erlebt, als er zum ersten Mal den Raum betrat, in dem Sie Gespräche mit ihm geführt haben?

Körner: Als ich ihn das erste Mal traf und kennenlernte, so vor vier, fünf Jahren, haben wir zusammen Tee getrunken. Und ich habe mein Projekt vorgestellt, und da war er natürlich raumgreifend und ich war eher derjenige, der zugehört hat. Er hat dann aber auch zuhören können, und ich habe mein Projekt vorgestellt, und dieses Raum-Greifen, diese Wucht, diese physische Präsenz – das gilt im Übrigen auch für seinen Bruder Jan George, und wenn man die beiden im Doppelpack erlebt, dann ist das ein schönes Doppelporträt und man bekommt eine Ahnung, was für ein Kraftkerl auch der Heinrich George, der Vater, war.

Wuttke: Mit 13 hat Götz George zum ersten Mal auf der Bühne gestanden, die Schauspielerei dann später gelernt. Konnte er, der Sohn von Berta Drews und Heinrich George, womöglich gar nicht anders oder hat er verpasst, sich beizeiten vom Vater abzunabeln, den er ja eigentlich gar nicht gut gekannt hat, den er zum letzten Mal gesehen hat, als er sieben war, und an den er sich als einen erinnert hat, der ihn oft auch schlecht behandelt hat?

Körner: Ich glaube nicht, dass die Auseinandersetzung mit dem Vater die ständige Antriebsfeder für seine Schauspielerwerdung gewesen ist. Und ich glaube auch nicht, wie viele Kritiker das deuten, dass ständig der Vater als, ja, Bedrohung über seinem Schauspielhaupt geschwebt hätte. Ich finde, dass er sich eine ganz eigene Schauspieleridentität erspielt hat, dass er einen ganz eigenen Weg gegangen ist und dass man diese beiden Leben, also das von Heinrich George und das von Götz George, aber auch die Spielstile überhaupt nicht miteinander vergleichen kann. Natürlich ist Götz jemand, der einen großen, nostalgischen Glanz in seinen Augen hat, wenn er an den Vater denkt. Aber er hat ihn, glaube ich, zu wenig gekannt, um ihn als echte Belastung empfinden zu können.

Wuttke: Aber kolportiert wird ja, dass er nach seinem ersten Bühnenauftritt als Steppke zu seiner Mama gerannt ist und gefragt hat: War ich besser als der Heinrich?

Körner: "War ich so gut wie Vater?", hat er seine Mutter gefragt. Aber das würde ich dann eher als Auseinandersetzung mit der Mutter deuten und nicht mit dem abwesenden Vater. Da, glaube ich, war die Mutter eine viel wichtigere Figur, weil die am Leben war, weil die den Vater in ihren Erzählungen immer wieder zum Leben erweckte. Und auch sie war eine große Nostalgikerin, aber auch eine, die die Zeiten verband, denn Berta Drews hat dann ja doch bis in die 60er-, 70er-, 80er-Jahre großen Erfolg gehabt, auch hier im Schiller-Theater in Berlin. Also das war eine Frau, die die Jahrzehnte zusammenhielt, und die war, glaube ich, dann wichtiger für ihn als der Vater.

Wuttke: Haben Sie ihn als einen Menschen erlebt, der sich bei all dem, was sie schon beschrieben haben, trotzdem immer auch unter Kontrolle hat? Oder lässt er auch mal die Zügel sausen?

Körner: Entgegen der verbreiteten Meinung ist er im öffentlichen Bild zwar ein Raubein und impulsiv und jemand, der frei heraus sagt, was ihm nicht passt, aber andererseits ist er doch ungeheuer preußisch und pflichtbewusst. Manchmal sogar ängstlich pflichtbewusst. Ich hab in den letzten Jahren ziemlich viel mit Prominenten zusammengearbeitet, und ich hab selten jemanden erlebt, der so allürenfrei dann im Umgang mit anderen war und der auch zugearbeitet hat.

Also, Götz George lebt überwiegend auf Sardinien, und wenn er dann in Deutschland war, dann hat er mich immer angerufen und gesagt: Hast du jetzt Zeit, kommst du vorbei, wollen wir ein Interview machen? Ich glaube andererseits, dass er am Set auch ein schwieriger Zeitgenosse sein kann, weil er Schludrigkeit hasst und weil er pünktlich exakt vorbereitet ist. Und wenn da ein Komma steht im Drehbuch, dann findet er auch, kann man das Komma spielen, wenn das zu dieser Figur passt. Und da ist er natürlich kein einfacher Partner für Leute, die eine andere Arbeitsauffassung haben.

"Überraschend fragil hinter der Fassade des Raubeins"
Wuttke: Dass ihm die Moral so wichtig ist, erklärt sich das für Sie nur aus seinem preußischen Dasein, aus seinem Blickwinkel, der sehr diszipliniert ist?

Körner: Ich glaube grundsätzlich, dass er – ja, dass er immer einen Arbeitsnachweis liefern wollte, vielleicht in der Auseinandersetzung mit dem Vater, sicher in Konfrontation mit der Mutter. Kinder wollen ja doch immer Liebesbeweise abliefern und wollen sie sich abholen. Und das tun sie oft über Arbeit. Und da ist er sicherlich, ja, vergangenheitsgetrieben ein Stück weit, aber auch andererseits – er war immer bemüht, eine eigene Identität zu erspielen, ein eigenes Ego zu erspielen. Und das war dann hinter dieser Fassade des Raubeins doch überraschend fragil mitunter und gefährdet und ich glaube, dass daher so eine ungeheure Arbeitswut entstanden ist, also sich eigene Bedeutung zu erspielen, sich eigenes Können zu erspielen, erfordert immer neue Anläufe. Und nur, wer wirklich gefährdet ist, ist auch bereit dazu. Und in dem Sinne ist er in einem gesunden Sinne gefährdet.

Wuttke: Gab es damals in den Gesprächen, die Sie mit ihm geführt haben, aus Ihrer Sicht Anzeichen, dass er sich einmal tatsächlich an seinen Vater filmisch, auch filmisch so weit heranmachen würde, dass dieses Doku-Drama entstehen würde, das er mit einigem Pathos präsentiert im Vorlauf?

Körner: Götz George hat diese Angebote, den eigenen Vater zu spielen, immer abgelehnt. Es gibt … über 30, 35 Jahre haben namhafte Produzenten versucht, ihn dazu zu bewegen, diese Rolle des Vaters zu übernehmen. Er hat das immer abgelehnt, einerseits aus einem Respekt vor dem Vater, andererseits weil das nicht gut vorbereitet war, weil die Bücher vielleicht nicht gut genug waren.

Wuttke: Und warum jetzt?

Körner: Warum jetzt, ist natürlich eine interessante Frage. Ihn hat sicherlich überzeugt, dass das Buch des Regisseurs und Autors Joachim R. Lang gut war seiner Auffassung nach. Es hat sicherlich damit zu tun, dass diese alten Zeiten immer mehr und mehr verblassen und Heinrich George als Theaterstar und Filmstar immer mehr aus unserem Bewusstsein schwindet und der Sohn natürlich den Auftrag empfindet, das Leben des eigenen Vaters wachzuhalten, das Leben und Werk des Vaters wachzuhalten.

Wuttke: Aber es heißt ja jetzt schon, es sei die Wahrheit von Götz George, nicht die Wahrheit über Heinrich George.

Körner: Das würde ich nicht so sehen. Ich würde sagen, das ist ein Amalgam, das ist eine Überschneidung, das ist ein Zwischenbild. Das ist, wenn man auch die Kritiken oder die Rezeption jetzt verfolgt in diesen Tagen, wird von vielen doch diese differenzierte Sicht geschätzt. Zumal man sich ja auch nicht den Film als Werk von Götz George vorstellen darf, sondern Film ist immer ein mehrteiliges Produkt. Also dass Götz George nun diesen Film benutzt hätte, um seinen Vater weißzuwaschen, halte ich für eine einigermaßen naive Vermutung.

Wuttke: Weiß er wirklich nicht, Herr Körner, was er für ein großartiger Schauspieler ist?

Körner: Ich glaube, er hat leise Ahnungen davon, dass er ein großartiger Schauspieler ist, er ist aber klug genug, sich immer wieder zu erschüttern und sich immer wieder mit großen, großen Fragezeichen zu versehen. Und wer das in seinem Beruf nicht tut, der ist kein guter Schauspieler. Und seine Sensibilität rührt, glaube ich, daher, dass er auch immer wieder Angst zulässt, im Beruf, und er versucht, dieser Angst mit Perfektion zu begegnen. Und das macht ihn groß.

Wuttke: … sagt Biograf Torsten Körner über Götz George, der heute seinen 75. Geburtstag feiern kann und morgen Abend um 21.45 Uhr als Heinrich George im Ersten Deutschen Fernsehen zu sehen ist. Ich danke schön.

Körner: Danke.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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