Zähflüssige Inszenierung

Von Elske Brault · 07.04.2010
Lile fährt nach Georgien, um ihren sterbenden Vater ein letztes Mal zu sehen. Völlig unvermittelt bricht in Georgien ein Krieg aus – Lile ist mittendrin und berichtet davon in E-Mails ihrer Freundin Zoe in Deutschland, die diesen Krieg nur aus Fernsehbildern kennt.
Der Plot von "Radio Universe" beruht auf dem tatsächlichen E-Mail-Verkehr der aus Georgien stammenden Autorin Nino Haratischwili, die 2008 in den Blitzkrieg um die abtrünnige Kaukasus-Republik Süd-Ossetien geriet, mit der in Hamburg lebenden Regisseurin Nina Mattenklotz. Die hat jetzt auch die Uraufführung des neuen Stücks in der Hamburger Kampnagelfabrik besorgt. Doch die große Nähe zum Stoff, womöglich auch die Ehrfurcht vor der Freundin und Autorin erweist sich als Nachteil: Poesie und Sarkasmus des Textes verlieren sich in einer eher zähflüssigen Inszenierung.

Nino Haratischwili hat bisher eher überschaubare Zweier- oder Dreierkonstellationen bearbeitet, und das mit Erfolg: Einige ihrer Stücke werden nachgespielt, "Liv Stein" gewann beim Heidelberger Stückemarkt, zudem hat Haratischwili gerade den Adalbert-von-Chamisso-Förderpreis erhalten und ihren ersten Roman veröffentlicht.

Auch "Radio Universe" dreht sich im Prinzip um drei Personen: Um Lile im georgischen Krisengebiet, Zoe in der Bar einer deutschen Großstadt und um Liles Hund Giorgi, der wegen komplizierter EU-Quarantänebestimmungen sein Frauchen nicht begleiten darf.

Doch an diese Grundkonstellation docken weitere Figuren an, die früheren Haratischwili-Stücken entsprungen scheinen. Der aus Russland stammende Ilja sucht die Liebe so verzweifelt wie der Held in "Le Petit Maître" und glaubt sie bei Lile zu finden: Für sie verlässt er seine Frau Adel, die nun jede Nacht die Kindfrau vom Balkon gegenüber mit ihrer Kamera verfolgt und im Übrigen ihre Einsamkeit bei einem Radiomoderator ablässt. Der tritt hier nur als Videoprojektion auf einer riesigen Leinwand auf, die als Breitbildfernseher die Bühne beherrscht. Diese Wand kann sich auch um die eigene Achse drehen und so als mächtiges Schaufelrad Figuren auf die Bühne oder von ihr hinunter fegen.

Leider nutzt Regisseurin Nina Mattenklotz diese Steilvorlage für rasante Aktion wenig: Meist lässt sie eine Figur auftreten, ihren Monolog aufsagen, wieder abtreten. Und der Nächste bitte. Das mag dem Anliegen dienen, die Vereinzelung der Figuren trotz modernster Kommunikationsmittel aufzuzeigen, aber eine dramatische Situation entsteht so nicht.

Hinzu kommt, dass die noch nicht allzu lange der Schauspielschule entronnenen Darsteller eher hölzern agieren. Einzig Vincent Heppner als ganz in weiß gekleideter Hund Giorgi und Susanne Pollmeier als verlassene Frau vermögen einige komische und berührende Momente zu schaffen. Dabei ist der Text von Nino Haratischwili an vielen Stellen genau dies: Komisch und berührend zugleich.

"Wer war da, als ich fiel, als ich blutete und auf den Knien lag?" fragt die verlassene Adel und vergleicht so ihren Liebeskummer mit dem Krieg in Georgien. "Mein Leid zählt wohl nicht, nur weil ich im Supermarkt zwischen Weiß- und Schwarzbrot wählen kann?" Im Leid ist jeder sich selbst der Nächste, das Mit-Leiden bleibt auf der Strecke. Und das, obwohl wir heute so gut über das Leiden unserer Mitmenschen informiert sind wie nie zuvor.

Über dieses spannende Thema hat Nino Haratischwili Variationen anhand von sechs Figuren geschrieben, die zumindest in dieser Inszenierung über bemühte Fingerübungen nicht hinauskommen.
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