Yoko Onos Kunst ist "verträumt und utopisch"

Ingrid Pfeiffer im Gespräch mit Britta Bürger · 14.02.2013
Yoko Ono wird 80 und die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main ehrt sie mit der großen Retrospektive "Half-a-Wind Show". Dass die Künstlerin heute zurecht als Pionierin der Konzeptkunst und Performance Art gesehen wird, erläutert die Kuratorin Ingrid Pfeiffer.
Britta Bürger: Die New Yorker Künstlerin Yoko Ono wird zu ihrem 80. Geburtstag ab morgen in der Frankfurter Schirn mit einer großen Retrospektive geehrt. Jene Frau, die als Witwe von John Lennon in die Annalen der Popkultur eingegangen ist: Ein Mythos, an dem sie selbst fleißig mitgestrickt hat, zugleich aber auch nach Befreiung gesucht hat.

O-Ton Yoko Ono: "Als John starb, konnte ich nicht mehr lächeln. Ich habe immer so traurig geguckt, und als ich in den Spiegel geschaut habe und mein trauriges Gesicht gesehen habe, dachte ich: Das ist schlecht für mich, das macht mich krank, und ich muss mich retten. Also habe ich beschlossen, zu lächeln. Am Anfang dachte ich noch, oh, das ist ja so künstlich, das ist ja ein nachgemachtes Lächeln. Und am Anfang ist es vielleicht auch künstlich, aber dann, Stück für Stück, wird es ein richtiges Lächeln."

Bürger: Auch daraus hat Yoko Ono später eine Performance entwickelt, in der Museumsbesucher in einem Raum Platz nehmen können, um dann zu Lächeln! Vor der heutigen Eröffnung der großen Yoko-Ono-Retrospektive in der Frankfurter Schirn bin ich jetzt mit der Kuratorin Ingrid Pfeiffer verbunden. Schönen guten Tag, Frau Pfeiffer!

Ingrid Pfeiffer: Guten Tag!

Bürger: Wird es diesen Raum zum Lächeln in der Schirn auch geben?

Pfeiffer: Nein, aber es wird die "Box of Smile" geben. Das ist eine kleine Metalldose aus den 60er-Jahren. Da schaut man hinein und unten ist ein Spiegel und kann sich da jederzeit lächeln sehen.

Bürger: Es gab in den vergangenen Jahren schon hier und da kleinere Ausstellungen von Yoko Ono in Europa, jetzt aber erstmals eine umfassende Retrospektive, die sich vor allem auf ihre Arbeiten aus den 60er- und 70er-Jahren konzentrieren will, von heute aus betrachtet. Wie innovativ war das denn, was Yoko Ono damals in New York veranstaltet hat?

Pfeiffer: Also, wir sehen heute Yoko Ono als Pionierin sowohl auf dem Gebiet der Konzeptkunst als auch in der Performance und Body Art. Keiner hat so früh wie sie reine Texte an die Wand gehängt oder als Frau sich auf eine Bühne gesetzt und vom Publikum die Kleider vom Leib schneiden lassen. Also, beides sind ganz, ganz, soll ich sagen, radikale Aktionen gewesen. Und da war sie ganz vorne weg.

Bürger: Legendär ist die legendäre "Bed-in for Peace"-Aktion von Yoko Ono und John Lennon, in der die beiden – als Alternative zur klassischen Hochzeitsreise – in einem Amsterdamer Hotelbett eine Protestperformance gegen den Vietnamkrieg inszeniert haben. Friedensaktivismus, das ist eine Säule im Leben und Werk von Yoko Ono, und ihr feministisches Engagement ist die zweite wichtige Säule. Darauf haben Sie gerade selbst angespielt, Frau Pfeiffer, mit dieser Performance "Cut Piece". Was hat die uns heute zu sagen, in Zeiten, in denen wir wieder über Sexismus debattieren?

Pfeiffer: Also, Onos Performance war 1964 in Tokio und war natürlich um Vieles radikaler als das, was wir heute so kennen. Aber man ist immer noch angerührt, wenn man eine junge Frau sieht, die sich einem damals natürlich hauptsächlich männlichen Publikum komplett ausliefert. Sie beschreibt sogar an einer Stelle, dass jemand die Schere gehoben hat, als wolle er sie stechen. Aber Ono ist nicht so eindeutig in ihrer Aussage. Sie sagt auch in der "Instruction" dazu, also in der Handlungsanweisung, die Performance kann auch mit einem Mann ausgeführt werden. Also, auch Männer sind Gewalt ausgesetzt. Sie ist da viel offener. Sie kommt nicht mit dem großen Holzhammer daher und will uns belehren.

Bürger: "Cut Piece", sie sitzt da also und lässt sich die Kleider vom Leib schneiden. Das erinnert ja ein bisschen an Performances, wie Marina Abramovic sie heute macht. Hat Yoko Ono dafür tatsächlich als Erste Impulse auch gegeben, Impulse, die bis heute weiter wirken beziehungsweise weiter entwickelt werden?

Pfeiffer: Na ja, Yoko Ono und Carolee Schneemann, die waren zehn Jahre früher als Marina Abramovic, das muss man sich ansehen. Es gab dazu noch keine Theorie in den frühen 60er-Jahren, es gab keine feministische Theorie, es gab keine Theorie zur Performance Art. Das alles hat sich erst Anfang der 70er entwickelt und Ono war sozusagen eine Pionierin und Vorläuferin darin.

Bürger: Das Private ist politisch, Yoko Ono hat diesen Slogan der 68er mit Überzeugung gelebt. Und zugleich ist sie ja so eine Art Ikone der Popkultur geworden, für die sich auch die Boulevardmedien interessieren. Verweigert sie sich der Mediengesellschaft oder spielt sie diese Spiele auf ihre Weise auch mit? Sie setzt sich ja schon gerne auch in Szene mit ihrer Sonnenbrille, dem schwarzen Hut, den schwarzen Kleidern!

Pfeiffer: Ja, das hat sicher zwei Seiten. Wäre sie nicht mit einer berühmten Person zusammengekommen, also John Lennon, dann wäre sie vielleicht heute so bekannt wie George Maciunas oder Nam June Paik oder andere Vertreter der Fluxusbewegung. Aber sie wäre sicher auch Teil der Kunstgeschichte geworden. Vielleicht noch stärker als jetzt, wo der Blick verstellt wird auf ihre künstlerische Arbeit. Auf der anderen Seite ist ihr der Friedensaktivismus und auch der Einsatz für die Umwelt – sie setzt sich gerade sehr stark gegen das Fracking ein – sehr, sehr wichtig. Und …

Bürger: Diese Gasgewinnungsmethode.

Pfeiffer: Genau. In der Kunstwelt ist es ungewöhnlich, wenn eine Künstlerin sowohl als bildende Künstlerin im Museum aktiv ist, wenn sie in der Popwelt Platten herausbringt und sich noch als Friedens- und Umweltaktivistin einbringt. Das ist absolut unüblich und wird eher negativ betrachtet. Also, diese Vielseitigkeit, die ich gerade als ihre Stärke ansehe und die natürlich zu ihrer Persönlichkeit und auch zu ihren Überzeugungen gehört, die verstellt manchmal den Blick auf ihre kunsthistorische Bedeutung, würde ich das mal nennen.

Bürger: Yoko Ono wird 80 und die Frankfurter Schirn ehrt die New Yorker Künstlerin aus diesem Anlass mit einer großen Retrospektive. Vor der heutigen Eröffnung sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der Kuratorin Ingrid Pfeiffer. Die Fluxusbewegung, Konzeptkunst, Performances: Vieles davon ist heute Kunstgeschichte, sagen Sie selbst ja auch. Wie ist das denn nun für die nun fast 80-jährige Yoko Ono, hat sie sich gleich mal offensiv dagegen gewehrt, hier möglicherweise historisiert zu werden?

Pfeiffer: Nein. Also, natürlich beruht ihr gesamtes künstlerisches Konzept auf Ideen der 60er-Jahre, das kann man nicht wegdiskutieren. Also, auch neuere Installationen, Objekte fußen auf Grundelementen, die sie früher schon mal formuliert hat, würde ich sagen. Sie selber sieht sich natürlich als lebende Künstlerin und möchte gerne auch mit aktuellen Arbeiten in der Ausstellung vertreten sein, und das haben wir eben auch umgesetzt.

Bürger: "Ab 39 Euro mit der Bahn zu Yoko Ono" – diese Ausstellung hat ein umfassendes Marketingkonzept! Wird das denn dem künstlerischen und politischen Anspruch von Yoko Ono gerecht, wenn man das jetzt als Event verkauft?

Pfeiffer: Ach, wissen Sie, die Leute kommen wegen des Namens. Und im Grunde ist es eine Konzeptkunstausstellung, was ich auch einen schönen Widerspruch finde. Weil, die Ausstellung ist auch sehr still auf ihre Weise und die Kunst Yoko Onos ist im Grunde auch eher der Stille verhaftet als dem Lärm.

Bürger: Und doch besteht die Gefahr, dass so eine Schau als Show wahrgenommen wird, dass die Besucher mit der Bahn kommen, mit dem Yoko-Ono-T-Shirt und -Poster zurückfahren und das Ganze so eine Art Freizeit-Shopping-Event mit Kunst-Emblem wird!

Pfeiffer: Es gibt bei uns keine T-Shirts!

Bürger: Aber vielleicht die kleine Dose mit dem Spiegel zum Lächeln?

Pfeiffer: Nein, aber es gibt ganz zarte, kleine Arbeiten. Also, Sie können zum Beispiel in der Ausstellung den Air-Despenser benutzen: Sie stecken 50 Cent hinein und bekommen ein mit Luft gefülltes kleines Gefäß, das ist eine Arbeit von Yoko Ono, es sieht aus wie so ein Bonbonapparat, den man von früher kennt … Nein, es ist so, dass die Ausstellung eigentlich erstaunlich ruhig ist.

Bürger: Und derzeit wird noch aufgebaut, im Hintergrund zumindest wird ganz schön gehämmert! Die Show – darauf würde ich gern noch mal eingehen –, die taucht ja auch im Titel Ihrer Retrospektive auf: "Half-a-Wind Show" ist sie überschrieben. Was steckt da für eine Botschaft in diesem Titel?

Pfeiffer: Also, diesen Titel gab es schon einmal, 1967, da hatte Ono eine Ausstellung in London in der Lisson Gallery, und zeigte damals "Half a Room". Das ist eine sehr schöne Installation, alles in der Hälfte, wir alle sind ja auch halbe Wesen manchmal oder fühlen uns so. Ja, sie wollte selber gerne auf diese alte Ausstellung verweisen, und "Half a Wind" ist ja auch etwas sehr Absurdes. Ono sagt ja sehr oft utopische Dinge, sie sagt: Höre den Klang der Erde, wie sie sich dreht, schau in die Sonne, bis sie ein Quadrat wird. Also, ihr Werk hat auch diese verträumte und utopische Komponente.

Bürger: Welche Botschaft aus dieser Zeit der 60er-, 70er-Jahre können Sie für sich aus dieser Kunst herausziehen, eine Botschaft, die auch gut in unsere heutige Zeit passt?

Pfeiffer: Was mir sehr gut daran gefällt, ist, dass es eine Absage an diese Materialmasse ist, die heute im Kunstmarkt vorherrscht. Bei ihr ist es wirklich die Idee, die die Größe hat, und die kann sich realisieren im Objekt, in der Installation, aber sie muss es nicht. Sie sollten vielleicht lieber größere Ideen suchen und kleinere Objekte!

Bürger: Und können Sie uns noch ein Beispiel für eine Idee geben, die Sie besonders anspricht?

Pfeiffer: Also, eben, die ich nannte, Dinge, die man vielleicht nicht ausführen kann. Sie gibt uns Handlungsanweisungen, die ganz konkret sind – also: träume!, oder: fliege!, oder: atme!, oder: berührt einander! –, aber sie sagt auch Dinge, die einfach etwas absurd sind. Und die setzen dann sozusagen den geistigen Prozess in Gang. Das Ganze kommt aus dem Koan, das waren die Handlungsanweisungen buddhistischer Mönche an ihre Schüler: Indem sie ihnen etwas sagen, was sie nicht tun können, wird sozusagen der Geist mobilisiert. Also, das ist Kunst eben, dass es nicht so zweckgebunden ist, sondern auch Raum lässt für Fantasie.

Bürger: Sie selbst haben Yoko Ono ja nun immer wieder auch persönlich erlebt. Als was für eine Frau nehmen Sie sie heute wahr, und vor allen Dingen: Wie hält sie sich so fit mit 80, dass sie am Sonntag in Berlin noch ein Konzert gegen kann?

Pfeiffer: Ja, sie lebt sicher sehr gesund und sie reist sehr viel. Sie macht sicher auch Yoga und trinkt grünen Tee und solche Dinge, sie trinkt keinen Alkohol. Aber ich glaube, es ist vor allem die geistige Fitness bei so einer Person, die seit 60 Jahren Kunst macht und, glaube ich, bis zu ihrem Tod auch nie damit aufhören wird!

Bürger: Ingrid Pfeiffer, Kuratorin der großen Yoko-Ono-Retrospektive in der Frankfurter Schirn. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Pfeiffer: Vielen Dank!

Bürger: Und zu sehen ist die Ausstellung bis zum 12. Mai. Gleich nach der Eröffnung heute Abend hören wir in unserer Sendung "Fazit" in der Stunde vor Mitternacht dann, wie unsere Kunstkritikerin die Ausstellung bewertet. Auch Yoko Onos musikalisches Werk wird in der Frankfurter Schirn in einem separaten Raum dokumentiert, und kommenden Sonntag gibt sie, wie gesagt, in Berlin ein Konzert.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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