"Wut ist ein sehr starker kreativer Antrieb"

Von Nina Rehfeld · 04.02.2008
Der Regisseur Mike Nichols wurde für seinen Film "Die Reifeprüfung" mit einem Oscar ausgezeichnet und heimste auch sonst recht viele Preise ein. Der 76-Jährige, der in Berlin geboren wurde, kommt nun mit einem Film in die Kinos, der einen ähnlichen Charakterkopf, wie er selber einer ist, zum Vorbild nimmt.
Nur wenige Hollywoodregisseure nennen eine so umfangreiche Preise-Sammlung ihr eigen wie Mike Nichols. Sein legendärer Film "Die Reifeprüfung" von 1967 mit Anne Bancroft und dem jungen Dustin Hofmann wurde mit einem Oscar belohnt. Daneben erhielt Nichols zahlreiche Preise für seine Fernseh- und Theaterarbeit. Zuletzt wurde er 2005 für die Regie des Monty Python-Musicals "Spamalot" ausgezeichnet.

Auch sein neuer Film "Der Krieg des Charlie Wilson" ist wieder im Oscar-Rennen. Er handelt von dem texanischen Abgeordneten Charlie Wilson, gespielt von Tom Hanks, der in den 80er Jahren praktisch im Alleingang die afghanischen Mudschaheddin gegen die sowjetischen Invasoren bewaffnet. Neben Julia Roberts als Wilsons Verbündete ist auch Seymour Philipp Hoffman in der Rolle eines CIA-Agenten zu sehen, Hoffmann ist als bester Nebendarsteller für den Oscar nominiert.

Doch das Bemerkenswerteste an diesem in jeder Hinsicht hochkarätigen Film: Er beruht auf einer wahren Geschichte.

Mike Nichols: "Ich las die Wilson-Biografie von George Crile, ich las das Drehbuch von Aaron Sorkin, und dann traf ich Charlie. Da war es um mich geschehen. Er ist ein echtes Original."

Was Nichols nicht ahnte, als ihm dieses Projekt auf den Schreibtisch wehte: Seine eigene Frau, die amerikanische Fernsehjournalistin Diane Sawyer, war einst mit dem notorischen Frauenheld Charlie Wilson ausgegangen.

"Sie sagte, er ist verrückt. Sie sagte, er war betrunken, er saß hinten auf seinem Cabriolet, mit dem Fahrersitz zwischen den Knien, und er steuerte mit den Füßen. Stierhörner zierten seine Stoßstange. Und sie dachte: Das halte ich nicht aus. Wissen Sie, Diane war Miss Teenage Amerika gewesen, oder Miss Junior Miss, oder was auch immer. Sie war mit ihrer Krone und ihrem Zepter umhergereist. Sie wusste bereits, was Demütigung bedeutet."

Aber auch Nichols weiß, was Erniedrigung heißt. Und vielleicht hat es etwas mit seiner eigenen Biographie zu tun, dass der 76-Jährige sich so sehr dafür interessiert, wie Charlie Wilson in die Weltgeschichte eingriff und ihren Verlauf zu ändern suchte.

Nichols wurde in Berlin geboren, als Sohn eines russisch-jüdischen Arztes und einer deutschen Mutter. Er erinnert sich noch gut an seine Kindheit und den Schatten des Nationalsozialismus. Als er sieben Jahre alt war, entschloss sich die Familie zur Flucht. Im Mai 1939 erreichte sie an Bord der "Bremen" New York, und der junge Mike Nichols sollte zu einem jener jüdischen Emigranten werden, die die amerikanische Kultur entscheidend mitprägten - ganz ähnlich, wie seine Großeltern die deutsche Kultur mitgeformt hatten. Hedwig Lachmann war eine bekannte Übersetzerin und Librettistin für Richard Strauß gewesen, Gustav Landauer ein bekennender Anarchist und Pazifist, der zu den wichtigsten politischen und kulturellen Personen des späten Kaiserreiches zählte.

"Mein Großvater war Teil der Münchner Räteregierung. Als sie zerfiel, verhaftete man ihn und prügelte ihn im Hof des Polizeireviers zu Tode. Meine Mutter erfuhr davon in der Straßenbahn, sie war zwölf Jahre alt. Der beste Freund meines Großvaters entkam, schaffte es in die Vereinigten Staaten nach Santa Fe, änderte seinen Namen in B. Traven und schrieb 'Der Schatz der Sierra Madre'. Das nenne ich Akklimatisierung an ein fremdes Land! Aber ich glaube, das lag im Kern der Sache damals. Die wenigen überlebenden jüdischen Künstler aus Deutschland schufen eine ganze Kultur in den Vereinigten Staaten. Für mich ist das die Kultur von 'Casablanca' - es sind alles Flüchtlinge, Flüchtlingsideen, Flüchtlingshumor."

Auch Mike Nichols Liebe zu Komödie und Satire stammt aus dieser Flüchtlingserfahrung. Anfang der Sechziger, er war Ende zwanzig, wurde er mit dem Comedy-Duo Nichols and May bekannt. Bis heute ist ihm alles suspekt, was nicht zumindest zum Teil komisch ist. Dass die Deutschen keinen Humor hätten, hält er trotz allem für ein Gerücht. Unverhofft kramt er ein Gedicht von Christian Morgenstern hervor, obwohl ihm, wie er sagt, die deutschen Worte eigentlich längst fehlen.

"'Links sind Bäume, rechts sind Bäume, und dazwischen Zwischenräume. In der Mitte fließt ein Bach. Ach. In der Bahnhofshalle, nicht für es gebaut, läuft ein Huhn. Sagen wir es laut, dass ihm unsere Sympathie gehört, auch an diesem Platze, wo es stört.' Hey, there it is, see?!"

Das Gefühl, fehl am Platz zu sein wie Morgensterns Huhn, hat Nichols mit seinem Werk letztlich überwunden.

"Es gibt viele Motoren für Kreativität, aber einer der verlässlichsten und meist benutzten ist Rache. Wut ist ein sehr starker kreativer Antrieb. Ich habe davon noch immer eine Menge. Ich habe meinen Frieden damit gemacht, weil diese Wut nie verschwinden wird. Ich habe dazu mal einen Psychiater befragt: Hey, ich bin glücklich, ich liebe meine Frau, ich habe wunderbare Kinder, ich habe Geld und Freiheit - warum bin ich nur so wütend? Er sagte, das werden Sie nie los. Das überraschte mich. Aber wenn ich es schon nicht loswerde, kann ich es zumindest nutzen."