Wunderkammer des Absurden

Von Volkhard App · 17.04.2008
Mit der Ausstellung "Ad Absurdum" leitet Museumsdirektor Jan Hoet seinen Abschied vom MARTa, dem Museum für Design und Kunst in Herford ein. Neben Zeitgenössischem, wie einer Müllinstallation von Jason Rhoades, zeigt er Narren-Darstellungen aus dem 16. Jahrhundert: Die Absurdität der Gegenwart ist ganz offenbar zeitlos.
Dies ist kein Orkan, der das gediegen geschwungene Museumsgemäuer von Frank Gehry zum Einsturz bringen möchte – vielmehr handelt es sich um einen simplen Föhn, der sich mächtig aufbläst und dessen Geräusch vom Künstler Michael Sailstorfer über einen Lautsprecher verstärkt wird. Die sich hier schon aufdrängende Frage nach Sinn, Aussage und womöglich Funktion des Werks begleitet den Besucher durch die ganze Ausstellung – und stellt sich auch bei einer Waschmaschine ein, die Lebensmittel aufnimmt und verdaut und weiter unten würstchenförmige Exkremente ausscheidet. Und vor dem Gebäude treiben es zwei Holzhütten miteinander – jedenfalls hat sich die eine kraftvoll über die andere geschoben. "Von Hinten" heißt diese Installation von Via Lewandowsky. Museumssprecher Nils Vandré über den Geist dieser Schau:

"Ein durchgängiges Merkmal ist die Frage, was denn passiert, wenn sich uns die Realität anders präsentiert als erwartet. Es geht in der Ausstellung um das Betrachten und um den Effekt, der entsteht, wenn man etwas geboten bekommt, das man so seiner Gewohnheit nach nicht einschätzen kann."

Allerdings ist die Absurdität dieser Kunst zuweilen auch nur ein erster Eindruck, der sich schnell verflüchtigt. So erweist sich eine Ansammlung ausgemusterter Alltagsobjekte als recht raffinierte Komposition: Jason Rhoades hat Bildmotive des Genter Altars mit allerlei Müll nachgestellt, was originell erscheint und gar nicht blasphemisch. Und die riesige Wand von Fabio Mauri aus alten, abgeschabten Koffern erweist sich als Klagemauer, als konkrete Erinnerung an den Holocaust. Und denkwidrig ist auch der aufgeschichtete riesige Zuckerberg nicht, in dem ein Einkaufswagen aus dem Supermarkt geradezu versinkt:

"Das ist eine Arbeit von Thomas Rentmeister, der sich mit Alltagsphänomenen beschäftigt. Man denkt sofort an den Butterberg, den wir mit Subventionen errichten, aber nicht verschenken können, sondern mit Investitionen zerstören müssen, damit der Preis gehalten wird. In unserem Fall ist es ein Zuckerberg, der aus einem Einkaufwagen herauszulaufen scheint und mittlerweile so aufgestiegen ist, dass der Wagen blockiert wird. Intuitiv spüren wir hier, dass Konsum uns hemmen kann, wenn er haltlos wird. Zucker gibt uns eigentlich ja Energie – aber dieser Wagen steckt fest."

So spiegelt Kunst unseren Alltag. Aber die Herforder Ausstellung greift auch tief in die Geschichte, streut Drucke aus dem 16. Jahrhundert mit Narren-Figuren ein und schlägt einen Bogen vom Dadaismus und Surrealismus bis zum Fluxus.

"Ad Absurdum" ist eine große Anstrengung, die von Picasso über Beuys bis zu Polke reicht, von Magritte bis zu Kippenberger, von Man Ray bis zu Bruce Nauman. Von vielem ein bisschen. Eine Art Wunderkammer des Absurden, eine bunt-assoziative Gemengelage, die beileibe nicht untypisch ist für Ausstellungen Jan Hoets. Fest umrissene Botschaften werden hier nicht vermittelt, keine Katalogaufsätze illustriert. Jeder Besucher muss selber versuchen, eine Schneise zu schlagen, was mancher vielleicht als absurd empfinden wird. Aber eine solche Wunderkammer setzt im Kopf ja auch Phantasie frei – und das ist mit das wichtigste Kriterium.

Als Allegorie des Menschseins und des Künstlerdaseins im Besonderen erscheint Kathryn Cornelius, die sich unermüdlich mit einem Staubsauger über einen Strand bewegt. Ein moderner Sisyphos in weiblicher Gestalt. Museumsdirektor Jan Hoet:

"Der Künstler im 20. Jahrhundert, das Camus als gottlose Welt bezeichnet hat, erfährt die Entfremdung in der Beobachtung der Wirklichkeit. Und steht als Individuum im Konflikt mit der Gesellschaft. Und hat deshalb das Bedürfnis, sich auszudrücken, und zwar in Formen der Verzweiflung."

Erstaunlich ist aber dann doch die Behauptung in dem Begleit-Material, in Herford versuche man überhaupt zum ersten Mal, die "Energien des Absurden" zum Ausdruck zu bringen. Davon leben schließlich unzählige Kunstausstellungen – ob sie nun ganze Stilepochen verhandeln oder einzelne Persönlichkeiten der zeitgenössischen Moderne präsentieren. Was also heißt hier "erstmals"?

"Erstmalig findet sich alles unter diesem Thema: nicht allein Surrealismus, Neo-Dada oder Fluxus. Sondern auch zeitgenössische Kunst von Jason Rhoades, Thomas Rentmeister und Fabio Mauri. Es ist eine Zusammenfassung der Geschichte des 20. Jahrhunderts, von Anfang bis jetzt, von Picasso 1906 bis zu Sailstorfer, einem sehr jungen Künstler."

Mit dieser Schau, so Hoet in seinem Vorwort, habe in Herford sein Museumsabschied begonnen. Und da darf man ruhig mal fragen, ob er nach so mancher Reibung vor Ort nicht nur die jetzt gezeigten Kunstwerke als "absurd" empfindet, sondern auch seine Rolle als Direktor:

"Man könnte beides sagen. Das Absurde habe ich in der ganzen Gegenwartskunst erfahren. Aber es gilt auch für mein eigenes Leben: Hier in der Provinz eine Ausstellung zu starten, ist eine doppelte Bedeutung von 'absurd'. Weil es eigentlich ein Anachronismus ist: Frank Gehry und ein Direktor, der sich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt – in einer kleinen Stadt, wo es erfahren wird als eine Hemmung von allem, was Veränderung bedeutet."